Vier ERC Consolidator Grants für die Universität Wien

Förderung für Forschungsprojekte zu Familien in einer flexiblen Arbeitswelt, zur Entstehung von Erde, Mars und Venus, zu Seegräsern und zu digitalen Zwillingen

Soziologin Caroline Berghammer, Astrophysikerin Kristina Kislyakova, Meeresmikrobiologin Jillian Petersen und Politikwissenschafterin Alice Vadrot erhalten je einen ERC Consolidator Grant, der je mit knapp 2 Millionen Euro dotiert ist. Damit wurden insgesamt bereits 127 ERC Grants an die Universität Wien vergeben. Mit dem Programm des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) soll grundlagenorientierte Pionierforschung mit hohem Innovationspotenzial ermöglicht und vorangetrieben werden.

"Der Disziplinenmix aus Natur- und Sozialwissenschaften zeigt die Breite hochkarätiger Forschung an der Uni Wien. Wir freuen uns mit allen Preisträgerinnen über diesen großartigen Erfolg", so Rektor Sebastian Schütze. 

Familien und Ungleichheit in einer flexiblen Arbeitswelt

Heutzutage sind in den meisten Familien beide Partner*innen erwerbstätig. Sie stehen vor der Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinbaren und erleben häufig ein hohes Ausmaß an Stress. Der aktuelle Trend hin zu flexibler Arbeit – größere Entscheidungsfreiheit, wo und wann man arbeitet (z.B. Homeoffice) – veränderte das räumliche und zeitliche Verhältnis von Beruf und Privatleben grundlegend. In ihrem ERC-geförderten Forschungsprojekt FLIN schafft die Soziologin Caroline Berghammer mit ihrem Team neues Wissen darüber, wie Familien heutzutage Beruf und Familie im Kontext flexibler Arbeit kombinieren.  Im Projekt werden Auswirkungen der "neuen Normalität" (nach der Corona-Pandemie) von flexibler Arbeit auf drei Bereiche betrachtet werden: (1) Familienzeit: Zeit mit Kindern und Partner*in; (2) Aufteilung von (un)bezahlter Arbeit: Kinderbetreuung, Hausarbeit, Erwerbsarbeit; (3) Geburten und Trennungen von Partnerschaften.

Zudem werden auch soziale Ungleichheiten in den Blick genommen: Flexible Arbeit ist deutlich weiter verbreitet unter Personen mit höherer Bildung und höherem beruflichen Status. Wenn flexible Arbeit positive Auswirkungen hat (z.B. mehr Zeit mit den Kindern ermöglicht), könnten Familien mit höherem sozioökonomischem Status überproportional von den neuen Entwicklungen profitieren und die soziale Kluft könnte sich verschärfen. Bisher ist unklar, ob flexible Arbeit eine bessere Balance zwischen Beruf und Familie fördert oder zu einer Entgrenzung der beiden Lebensbereiche führt. Das Projekt ist ländervergleichend angelegt und bezieht den institutionellen und kulturellen Kontext mit ein, z.B. rechtliche Regelungen in Bezug auf flexible Arbeit, Geschlechternormen, Arbeitswerte. Es kombiniert eine detaillierte Länderanalyse (Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Österreich und Polen) mit einem Vergleich aller Länder der Europäischen Union. Als Datenbasis dienen repräsentative Daten mit sehr hohen Fallzahlen: Zeitverwendungserhebungen, Registerdaten und die EU Labour Force Surveys.

Über Caroline Berghammer

Caroline Berghammer ist seit 2019 Assistenzprofessorin am Institut für Soziologie der Universität Wien. Sie promovierte 2010 an der Universität Wien und war von 2011 bis 2018 am Institut für Soziologie als Universitätsassistentin (Post doc) beschäftigt. Von 2018 bis 2022 hatte sie eine Elise-Richter-Stelle, gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF, inne. Im Jahr 2006/07 nahm sie an der European Doctoral School of Demography am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock/Deutschland teil. Seit 2005 ist Caroline Berghammer auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Sie absolvierte kurze Forschungsaufenthalte an der Princeton University, University of California, Berkeley, University of Toronto und University of British Columbia (Vancouver).

Mehr zur Forschung von Caroline Berghammer lesen Sie hier im Interview im Wissenschaftsmagazin Rudolphina der Universität Wien

Frühe Erde, Venus und Mars als Exoplaneten (EASE)

In den letzten Jahrzehnten wurden Tausende von Planeten entdeckt, die andere Sterne als die Sonne umkreisen und als Exoplaneten bezeichnet werden. Da diese Welten weit entfernt sind, können wir die Exoplaneten nicht verstehen, ohne einen Blick auf die Wiege des Lebens, wie wir es kennen, zu werfen – die Erde. Warum wurde die Erde zu einem habitablen Planeten? Warum haben sich Mars und Venus unterschiedlich entwickelt? Was würden die großen Teleskope sehen, wenn sie die Planeten des Sonnensystems so betrachten würden, wie sie vor Milliarden von Jahren waren? Im Projekt EASE werden Kristina Kislyakova und ihr Team die langfristige Evolution der Atmosphären und spektralen Fingerabdrücke von Erde, Venus und Mars erforschen. Das Projekt stellt eine kombinierte Studie von Vulkanismus, atmosphärischem Verlust ins All und Spektroskopie dar.

EASE zielt darauf ab, unser Wissen über die Evolution der Erde, Venus und Mars signifikant zu erweitern und auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein terrestrischer Planet sich zu einem habitablen Planeten entwickelt, viel besser abzuschätzen. Das Team wird insbesondere mögliche "fehlgeschlagene" Analoga der Erde charakterisieren und untersuchen, ob sie unter leicht unterschiedlichen Bedingungen möglicherweise habitable Planeten hätten werden können. Das Projekt wird wissenschaftliches Neuland betreten, indem es die einzigartige Kombination der Faktoren untersucht, die eine entscheidende Rolle für die Evolution erdähnlicher Welten spielen.

Über Kristina Kislyakova

Kristina Kislyakova ist Senior Scientist am Institut für Astrophysik der Universität Wien. Sie promovierte erstmals 2012 in Sonnenphysik an der Lobatschewski-Universität Nischni Nowgorod und 2014 ein zweites Mal in Exoplanetenforschung an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie studierte die Habitabilität von Exoplaneten als Postdoc zunächst am Institut für Weltraumforschung in Graz (2012-2016) und anschließend am Institut für Astrophysik an der Universität Wien, wo sie auch das Projekt EASE durchführen wird.

Seegräser – die "Lungen des Meeres"

Seegräser erfüllen einige wichtige Funktionen für die Gesundheit von Küstenmeeren und werden auch als die "Lungen des Meeres" bezeichnet. Sie verankern etwa den Sand und verhindern so, dass Strände weggespült werden. Sie bieten Hunderten bis Tausenden anderer Arten ein Zuhause, darunter einige, die wichtige Fischereiressourcen sind. Sie reinigen das Wasser von überschüssigen Nährstoffen, die von Landwirtschaftsflächen ins Meer gepumpt werden, und sie oxygenieren ihre Umgebung. Seegräser sind blühende Pflanzen, die von Landpflanzen abstammen, die vor fast 100 Millionen Jahren die Ozeane (erneut) kolonisiert haben. Wie Landpflanzen, benötigen sie auch Gemeinschaften von mikrobiellen Symbionten, um ihre Gesundheit und Produktivität zu erhalten, aber diese sind bei weitem nicht so intensiv erforscht worden wie jene an Land.

In ihrem Projekt SeaSym wird Jillian Petersen und ihr Team die Biodiversität und ökologischen Funktionen einer weit verbreiteten Art von mikrobiellen Symbionten in küstennahen marinen Ökosystemen, einschließlich Seegraswiesen und Salzmarschen, die ebenfalls für die Gesundheit des Ozeans essentiell sind, untersuchen. Diese Symbiontengruppe wird Sedimenticolaceae genannt. Petersen und ihr Team werden die Theorie testen, dass Sedimenticolaceae-Symbionten ihren Wirten durch ihre Stickstofffixierungsaktivität einen natürlichen "Dünger" liefern und dass sie die Umwelt von toxischen Sulfiden reinigen, wodurch die Pflanzengesundheit gefördert wird. Sie werden untersuchen, wie sich die Funktion solcher Symbiosen in zukünftigen, sich erwärmenden Meeren anpassen könnte. Ein weiteres Merkmal dieser bemerkenswerten Symbionten ist ihre Fähigkeit, sowohl tierische als auch pflanzliche Wirte zu besiedeln. Zu verstehen, wie sich ein solch einzigartiger Lebensstil entwickelt hat, ist ebenfalls ein spannender Aspekt der geplanten Forschung.

Über Jillian Petersen

Jillian Petersen ist Assoziierte Professorin am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft an der Universität Wien. Petersen studierte Meeresmikrobiologie am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Deutschland, wo sie auch ihre Promotion und Postdoktorarbeit absolvierte. Sie kam 2015 als Assistenzprofessorin mit einem Grant der "Vienna Science and Technology Fund" Vienna Research Group nach Wien. Ihre Forschungsgruppe konzentriert sich auf Wirt-Mikroben-Interaktionen in breiten ökologischen Kontexten, von marinen Seegraswiesen bis hin zu landwirtschaftlichen Feldern. Ziel ist es, die Bedeutung der Interaktionen zwischen Pflanzen und Tieren und ihren symbiotischen mikrobiellen Partnern in der Evolution und für die Gesundheit unserer Ökosysteme zu verstehen. Petersen erhielt bereits 2018 einen ERC Starting Grant zur Erforschung von Wirt-Mikroben-Interaktionen in marinen Tieren, SeaSym ist nun ihr zweites ERC-gefördertes Projekt.

Mehr zur Forschung von Jillian Petersen sehen Sie hier im Videobeitrag im Wissenschaftsmagazin Rudolphina der Universität Wien

Digitale Zwillinge für eine nachhaltige Zukunft der Meere

Um der Dringlichkeit für Maßnahmen im Bereich des Klimawandels und der Erhaltung der biologischen Vielfalt Rechnung zu tragen, baut die Europäische Kommission derzeit einen digitalen Zwilling des Ozeans (DTO). Digitale Zwillinge sind eine Methode zur Analyse komplexer Systeme und zur Ausarbeitung von "Was-wäre-wenn"-Szenarien, welche die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele beschleunigen sollen. Der EU DTO ist Teil umfassenderer globaler und nationaler Anstrengungen zur Entwicklung hochpräziser digitaler Modelle des Ozeans für eine bessere politische Entscheidungsfindung im Bereich des Meeresschutzes. 

Das ERC Projekt TwinPolitics untersucht die Entwicklung digitaler Zwillinge als (geo-) politisches Phänomen, das die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik nachhaltig verändern könnte. Im Fokus steht hierbei die Frage, ob, und wenn ja, wie digitale Zwillinge in Zukunft zu einer gerechteren Ausgestaltung multilateraler Verhandlungen beitragen können. TwinPolitics wird neue Methoden entwickeln, um digitale Zwillinge als sozio-technische und politische Beziehungen empirisch zu untersuchen und deren Entstehung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu modellieren. Hierzu wird Alice Vadrot mir ihrer Forschungsgruppe Methoden der Ethnographie und computergestützten Sozialwissenschaft miteinander verbinden und auf digitale Ozean-Zwillinge in der EU, China und den USA anwenden. Um herauszufinden, welche Merkmale digitaler Zwillinge Inklusion, Vielfalt und Gerechtigkeit fördern, werden ethnographische Daten auf verschiedenen politischen Ebenen und einer Vielfalt an Forschungsstandorten gesammelt. Diese werden dann in sozio-technische Modelle eingespeist. In einem letzten Schritt wird die Anwendung digitaler Zwillinge in multilateralen Verhandlungen anhand von drei Beispielen erprobt: der Internationalen Meeresbodenbehörde, Verhandlungen über ein neues UN-Plastikabkommen und Verhandlungen zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität.

Über Alice Vadrot

Die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot ist seit Februar 2022 Assoziierte Professorin für Internationale Beziehungen und Umwelt am Institut für Politikwissenschaft. Sie promovierte 2013 zum Weltbiodiversitätsrat und kehrte im Jahr 2017 nach einem 2-jährigen Forschungsaufenthalt an der Cambridge University als Erwin Schrödinger Fellow des Österreichischen Forschungsfond (FWF) an die Universität Wien zurück. Ihr Fokus liegt auf der Erforschung der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik in der internationalen Umweltdiplomatie und der Entwicklung neuer methodologischer Ansätze zur Untersuchung der Rolle von Wissen in internationalen Verhandlungen. Im Jahr 2018 erhielt die Politikwissenschaftlerin einen ERC Starting Grant für ihr Projekt MARIPOLDATA (2018-2024), in dem sie mit ihrer Forschungsgruppe Verhandlungen über ein neues Abkommen zum Schutz der Hochsee sowie die Entwicklung des Wissenschaftsfelds der marinen Biodiversität kartiert. Im Rahmen des EU-Projekts MARCO-BOLO (2022-2026) untersucht sie den Datenbedarf in der Biodiversitätspolitik und Naturschutzpraxis. Vadrot ist Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des Mission Boards der EU-Gewässermission, des Management Boards des Environment and Climate Hubs der Universität Wien und des Leitungsteams des österreichischen Biodiversitätsrats.  

Mehr zur Forschung von Alice Vadrot hören Sie hier im Audimax-Podcast des Wissenschaftsmagazins Rudolphina der Universität Wien

Abbildungen: 

Abb. 1: Hauptgebäude der Uni Wien C: Alex Schuppich

Abb. 2: Caroline Berghammer C: Luiza Puiu

Abb. 3: Kristina Kislyakova C: Kristina Kislyakova

Abb. 4: Jillian Petersen C: Der Knopfdruecker

Abb. 5: Alice Vadrot C: Fotostudio Floyd

Rückfragehinweis

Mag. Alexandra Frey

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