Studie zur "Inseratenaffäre": Hinweise auf auffällig abweichende Berichterstattung

Bild eines Computers und Zeitungen

Häufigere Erwähnung des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz in OE24 nach vermeintlichen geheimen Absprachen

Ein Forschungsteam der Universitäten Wien und Fribourg/Freiburg (Schweiz) hat eine umfangreiche Studie zur "Inseratenaffäre" in Österreich rund um den Vorwurf beeinflusster Berichterstattung durch Regierungsinserate im Boulevardmedium OE24 umgesetzt. Die Studie beleuchtet mit einem aufwendigen und innovativen Forschungsdesign potenzielle Mechanismen von "Medienkorruption". Durch ihre Analyse konnten die Wissenschafter*innen zeigen, dass der ehemalige österreichische Bundeskanzler und ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz nach den mutmaßlichen Absprachen ab 2016 im Onlinemedium OE24 (Mediengruppe Österreich) erheblich häufiger erwähnt wurde als dies ohne politische Einflussnahme statistisch zu erwarten gewesen wäre. Darüber hinaus wurden Kurz’ politische Konkurrent*innen in OE24 tendenziell negativer dargestellt. Die Studie wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift The International Journal of Press/Politics veröffentlicht.

Im Mittelpunkt der Analyse steht der Skandal um den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine engen Vertrauten. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wirft ihnen vor, im Jahr 2016 durch geheime Absprachen eine positive Berichterstattung in der Mediengruppe Österreich mit staatlichen Werbegeldern (Inserate) erkauft zu haben. Diese mutmaßliche "Medienkorruption" soll dazu gedient haben, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Kurz' politischen Aufstieg zu fördern. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind noch nicht abgeschlossen. Ob es nach dem Zeitpunkt der mutmaßlichen Absprachen tatsächlich zu einer systematisch wohlwollenderen Berichterstattung über Sebastian Kurz kam, war wissenschaftlich bisher ungeklärt.

Das Forschungsteam aus Wien und Fribourg/Freiburg hat nun eine wissenschaftliche Analyse vorgelegt: Dabei wurden automatisierte Methoden der Inhaltsanalyse und ökonometrische Methoden zur Identifizierung kausaler Zusammenhänge kombiniert. Sie untersuchten 222.000 Nachrichtenartikel aus 18 österreichischen Medien von 2012 bis 2021. Mithilfe des ‚Difference-in-Differences‘-Verfahrens konnte eine Veränderung der Sichtbarkeit und Tonalität in der Berichterstattung über Personen und Parteien über die Zeit gemessen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Sebastian Kurz nach den mutmaßlichen Absprachen ab 2016 im Onlinemedium OE24 zwischen 50 und 100% häufiger erwähnt wurde, als dies ohne Absprachen (verglichen mit den Trends in anderen Medien) zu erwarten gewesen wäre. Bei anderen politischen Akteur*innen gab es keine vergleichbaren Veränderungen in der medialen Sichtbarkeit.

"Die umfangreichere Berichterstattung über Sebastian Kurz in OE24 ist sehr stabil – über verschiedene Varianten in der statistischen Methodik hinweg", erklärt Martin Huber, Professor für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation an der Universität Fribourg/Freiburg (Schweiz). "Die statistischen Verfahren vergleichen grob gesagt die Trends in der Berichterstattung in OE24 mit anderen Medien im Zeitverlauf, um den potenziellen Effekt der mutmaßlichen Absprachen zu ermitteln. Unterschiedliche Definitionen der Vergleichsmedien liefern dabei stets ein eindeutiges Ergebnis: Die Berichterstattung über Sebastian Kurz in OE24 ging im Zeitraum nach den vermeintlichen Absprachen stark nach oben."

Die Studienergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Berichterstattung über Kurz in OE24 in Bezug auf die Tonalität zwar nach den vermeintlichen Absprachen nicht in erheblichem Masse positiver war – verglichen mit den Trends in anderen Medien – dass stattdessen aber über andere Politiker*innen, insbesondere Kurz’ politische Konkurrent*innen, in OE24 nach den vermeintlichen Absprachen ab 2016 in der Tendenz etwas negativer berichtet wurde. Hier sind die Effekte aber weniger deutlich. 

Einschränkungen der Studie

Den Autor*innen der Studie ist es wichtig zu betonen, dass sie keine juristischen Schlüsse daraus ziehen, ob tatsächlich illegale Handlungen oder strafrechtlich relevante politische Einflussnahmen vorlagen. "Unsere Untersuchung zielt darauf ab, auffällige Muster in der Medienberichterstattung aufzudecken, die mit den Vorwürfen korrespondieren könnten. Diese Muster haben wir gefunden. Wir liefern jedoch keine direkten Beweise für Korruption oder unrechtmäßige Absprachen. Unabhängig davon, ob es 2016 tatsächlich zu Absprachen zwischen Kurz und der Mediengruppe Österreich kam, zeigen unsere Ergebnisse nach diesem Zeitpunkt bei OE24 eine auffällig abweichende Berichterstattung. Ein Umstand, der zumindest kritische Fragen aufwerfen sollte", erklärt Kommunikationswissenschafter Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien.

Bedeutung für die Medienfreiheit

Die Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit, die Unabhängigkeit der Medien vor politischer Einflussnahme zu schützen. Dies gilt insbesondere in Zeiten, in denen viele Medienhäuser unter finanziellem Druck stehen. "Politische Einflussnahme auf Medien bzw. das Bestreben danach war in der Vergangenheit immer wieder Teil der Strategie von österreichischen Regierungspolitiker*innen. Obgleich sich Redaktionen immer wieder auch gegen solche Einflussnahmen gewehrt haben, kann in extremen Fällen auch eine symbiotische, aber korrupte Beziehung entstehen, in der Medien bewusst mitspielen, besonders wenn finanzielle Anreize geboten werden", sagt Eberl. "Dieser spezielle Fall in Österreich unterstreicht einmal mehr, wie fragil die Medienunabhängigkeit in Demokratien sein kann. Es bedarf daher klarer Regelungen und größerer Transparenz bei staatlichen Werbeausgaben, um Risiken politischer Einflussnahme auf Medien zu minimieren und die journalistische Unabhängigkeit zu wahren."

Die Studie leistet auch einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über Inseratenkorruption und Medienkorruption und ihre Auswirkungen auf die Demokratie. Sie diskutiert, wie politische Einflussnahme und öffentliche Werbegelder dazu genutzt werden könnten, die Medienlandschaft in einem Land zu beeinflussen, und unterstreicht die Notwendigkeit von Reformen zum Schutz der Pressefreiheit.

Originalpublikation:

Balluff, P., Eberl, J.-M., Oberhänsli, S. J., Bernhard, J., Boomgaarden, H. G., Fahr, A., und M. Huber (2024):  The Austrian Political Advertisement Scandal: Patterns of "Journalism for Sale". The International Journal of Press/Politics.
DOI: 10.1177/19401612241285672

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