Seltene Bakterien sind hauptverantwortlich für den Kohlenstoffkreislauf im Meer

Am Deck des Forschungsschiffs Pelagia ist die sogenannte CTD Rosette (Conductivity, temperature and density) zur Probennahme aus den Tiefen des Ozeans zu sehen.

Rare Bakterienarten sind im Ozean am aktivsten, häufige Arten hingegen sind weniger aktiv

Ein internationales Team aus Meeresbiolog*innen mit Beteiligung von Gerhard J. Herndl und Eva Sintes von der Universität Wien hat eine Methode entwickelt, die es erlaubt die Atmungsaktivität von einzelnen Bakterienarten zu bestimmen. Dabei fanden sie heraus, dass im offenen Ozean weniger häufige Bakterienarten die größten Atmungsraten haben, also mehr Sauerstoff verbrauchen und CO2 produzieren. Jene Bakterien hingegen, die besonders häufig im Ozean zu finden sind, verbrauchen eine relativ geringe Menge an organischem Material. Weniger als 3% der Bakterien im Ozean konsumieren so ein Drittel des gesamten Sauerstoffs. Diese Ergebnisse haben große Auswirkungen auf die Sichtweise auf den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane und erscheinen aktuell im renommierten Fachjournal "Nature".

Häufig ist nicht gleich wichtig

In einem Liter Ozeanwasser finden sich hunderttausende verschiedene Bakterienarten. Die meisten dieser Bakterien veratmen, so wie wir, Sauerstoff, um Energie aus organischem Material zu gewinnen und erzeugen dabei Kohlendioxid. Um abzuschätzen, wie hoch die Atmungsaktivität von Meeresmikroben ist, haben Forscher*innen bisher die Summe die gesamte Atmungsaktivität durch die Anzahl der vorhandenen Organismen geteilt. Dieser Ansatz berücksichtigt jedoch nicht die überwältigende Artenvielfalt der verschiedenen Meeresbakterien, die nicht alle die gleiche Atmungsaktivität haben.  

Die im Fachjournal Nature publizierte Studie zeigt nun, dass die Unterschiede zum Teil gravierend sind: "Die Atmungsaktivität der einzelnen Bakterienarten im Meerwasser kann bis zu tausendfach variieren. Wir haben herausgefunden, dass gerade jene Bakterien, die im Ozean weniger zahlreich vertreten sind die höchsten Atmungsaktivitäten zeigen, während sehr häufig vorkommende Bakterien geringe Atmungsaktivitäten haben", erklärt Gerhard J. Herndl von der Universität Wien, einer der Co-Autor*innen der internationalen Studie. Das bedeutet, dass für den Kohlenstoffkreislauf in den Meeren die seltenen Bakterien insgesamt wichtiger sind als die Mikroorganismen, die in großer Anzahl im Meerwasser vorkommen. "Das ist ein häufiges Missverständnis in der Ökologie und in der Betrachtung der biogeochemischen Kreisläufe. Nicht jene Organismengruppen oder Nährstoffe, die in der höchsten Konzentration verkommen, sind besonders wichtig, sondern sehr oft jene, die nur in geringen Konzentrationen vorkommen", erklärt Herndl. 

Neue Methode verbindet die Messung der Atmungsaktivität mit mikrobieller DNA

Um die komplexe Gemeinschaft der Mikroorganismen im Ozean zu verstehen, entwickelte das internationale Team eine neue Methode, mit der sie die Atmungsaktivität und den genetischen Code einzelner Zellen verknüpfen können. Dabei verwendeten die Forscher*innen zuerst fluoreszierende Sonden, um die Atmungsraten einzelner Bakterienzellen zu messen. Je mehr eine Zelle atmet, desto mehr fluoresziert sie. Das Fluoreszenzsignal wird gemessen und die Zellen werden gleichzeitig nach ihrer Fluoreszenz sortiert. Anschließend werden die einzelnen Zellen einer genetischen Analyse unterzogen, um herauszufinden, um welche Art es sich handelt. Für die Studie wurden Bakteriengemeinschaften aus dem Golf von Maine, dem Mittelmeer und aus dem offenen Atlantischen und Pazifischen Ozean untersucht.

Bakterien und der Kohlenstoffkreislauf im Meer

Bakterien, die organisches Material wieder in anorganische Komponenten, wie etwa CO2  umwandeln, dominieren den Kohlenstoffkreislauf im Meer und setzen mehr organisches Material um, als all die anderen Lebewesen im Meer zusammen. Sie spielen also eine große Rolle im ozeanischen Kohlenstoffkreislauf und deshalb ist es außerordentlich wichtig, ihre Atmung als Aktivitätsparameter zu messen: "Wenn nun die meisten Bakterien im Meer nur wenig aktiv sind, so wie unsere Studie zeigt, dann heißt das, dass wenige Bakterienarten sehr hohe Stoffumsetzungsraten haben. Gleichzeitig werden diese hochaktiven Bakterien aber offensichtlich stark beweidet, das heißt von anderen Lebewesen gefressen, sodass sie nur in geringen Häufigkeiten vorkommen. Hohe Aktivität bedeutet also auch hohe Verlustraten durch Beweidung. Das bedeutet wiederum, dass nur wenige Bakterienarten dafür sorgen, dass wir einen hohen Kohlenstofffluss haben, während der Großteil der Bakterien eher wenig aktiv ist, langsam wächst und auch wenig beweidet wird. Diese neuen Erkenntnisse haben große Auswirkungen auf die Untersuchung von globalen Nährstoffkreisläufen wie dem Kohlenstoffkreislauf, da das Meer für einen Großteil des globalen Kohlenstoffkreislaufes verantwortlich ist.", so Gerhard J. Herndl.

Publikation in "Nature":

"Decoupling of respiration rates and abundance in marine Prokaryoplankton": Jacob H. Munson-McGee, Melody R. Lindsay, Julia M. Brown, Eva Sintes, Timothy D’Angelo, Joe Brown, Laura C. Lubelczyk, Paxton Tomko, David Emerson, Beth N. Orcutt, Nicole J. Poulton, Gerhard J. Herndl, Ramunas Stepanauskas. Nature

DOI: 10.1038/s41561-022-01081-3

Abb. 1: Forschungsschiff Pelagia. Am Deck die CTD Rosette (Conductivity, temperature and density) zur Probennahme aus den Tiefen des Ozeans. (C: Alexander Bachdansky)

Wissenschaftlicher Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Gerhard J. Herndl

Functional and Evolutionary Ecology
Universität Wien
1030 - Wien, Djerassiplatz 1
+43-1-4277-76431
+43-664-60277-76431
gerhard.herndl@univie.ac.at

Rückfragehinweis

Mag. Alexandra Frey

Media Relations Manager
Universität Wien
1010 - Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-17533
+43-664-8175675
alexandra.frey@univie.ac.at