Sauerstoffkrisen in der Adria sind nicht nur vom Menschen verursacht
28. März 2017Langzeitveränderungen in marinen Lebensgemeinschaften im Fokus der Forschung
Marine Todeszonen sind nicht ausschließlich ein Phänomen der letzten Jahre. Paläontologen der Universität Wien um Martin Zuschin haben aus 500 Jahre alten Sedimentkernen der nördlichen Adria auch frühere Sauerstoffkrisen des Mittelmeeres abgelesen – und zwar aus Schwankungen im Auftreten der "Körbchenmuschel", einer tierischen Überlebenskünstlerin, die bei Sauerstoffmangel ihre Stoffwechseltätigkeit umstellt. Ihre Ergebnisse, die sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Geology" publizieren, belegen aber auch, dass die Eutrophierung, also vom Menschen verursachter Nährstoffüberschuss in den Meeren, die Situation der Adria klar verschärft.
Weltweit wurden marine küstennahe Lebensräume in den letzten Jahrzehnten von Sauerstoffkrisen heimgesucht, die zur Ausbildung sogenannter Todeszonen geführt haben, in deren Verbreitungsbereich es kaum mehr vielzellige Lebewesen gibt. Dies trifft auch immer wieder auf die Nordadria während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Eutrophierung, also vom Menschen verursachter Nährstoffüberschuss, daraus resultierende Algenblüten und sogenannter Meeresschnee, eine Mischung aus abgestorbenen Algen und organischen Zerfallsprodukten, haben tiefe Spuren im Ökosystem hinterlassen. Die Ursachen und Auswirkungen dieser vom Menschen stark geprägten Sauerstoffkrisen sind gut untersucht, über ältere Krisen und die Rolle von Klimaschwankungen bei ihrer Ausbildung ist bislang hingegen kaum etwas bekannt.
Zuschin und sein Team verfolgten in ihrer Untersuchung zwei Ziele: Einerseits ermittelten sie die Beiträge von Eutrophierung – resultierend aus dem Einsatz von Dünger in der Landwirtschaft sowie Abwässern aus den größeren Städten – und den Einfluss von natürlichen Klimaschwankungen. Andererseits untersuchten sie, ob ältere Lebensgemeinschaften der Nordadria auf Sauerstoffkrisen ähnlich reagierten wie die heutigen. Dazu haben die ForscherInnen Dauer und Frequenz ebendieser über längere Zeiträume verfolgt.
Zu diesem Zweck rekonstruierten die WissenschafterInnen Sauerstoffkrisen aus rund 500 Jahre alten Sedimentkernen in elf Metern Wassertiefe im Golf von Triest. Ein wesentlicher Indikator war dabei die Körbchenmuschel "Corbula gibba", eine sehr widerstandsfähige, kleine Muschelart. Sie ist in der Lage, saisonale Sauerstoffkrisen zu überleben, indem sie ihre Klappen dicht zumacht und auf anaeroben Stoffwechsel umschaltet. "Dadurch dass wir Schwankungen im Auftreten dieser Muschelart nachweisen konnten, war es möglich, quasi die Zeiträume der Sauerstoffkrisen zu dokumentieren", erklärt Zuschin.
Im Untersuchungszeitraum zeigten sich starke Fluktuationen der Körbchenmuschel, mit Peaks in den Jahren 1980, 1890, 1810 und 1780. Dabei erreichten die hochgerechneten Häufigkeiten von Corbula gibba deutlich mehr als 1.000 Individuen pro Quadratmeter. "Diese für Sauerstoffkrisen indikativen Massenauftreten sind aber nicht an anthropogene Eutrophierung gebunden, sondern stimmen sehr gut mit Schwankungen der Wassertemperatur überein, die aus anderen Gebieten der Adria bekannt waren", so der Paläontologe weiter. Höhere Wassertemperaturen führen bekanntermaßen zu einer Abnahme des Sauerstoffgehaltes in Bodennähe und zur stärkeren Bildung von Meeresschnee, der zusätzlich zum Verbrauch von Sauerstoff im Wasser beiträgt.
"Unsere Ergebnisse bedeuten natürlich nicht, dass vom Menschen verursachte Eutrophierung keine Bedeutung für Sauerstoffkrisen am Meeresboden hat, sondern vielmehr, dass das unaufhaltsame Ansteigen der Meerestemperaturen in den nächsten Dekaden die tödlichen Effekte der Überdüngung sogar noch steigern kann", schließt der Wissenschafter.
Publikation in "Geology":
Stratigraphic unmixing reveals repeated hypoxia events over the past 500 yr in the northern Adriatic Sea. Adam Tomašových, Ivo Gallmetzer, Alexandra Haselmair, Darrell S. Kaufman, Jelena Vidović, and Martin Zuschin. In GEOLOGY, April 2017; v. 45; no. 4; p. 363–366
http://geology.gsapubs.org/content/45/4/363.abstract
DOI: 10.1130/G38676.1
Wissenschaftlicher Kontakt
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