Hoher Wasserdruck hemmt Tiefsee-Mikroorganismen
28. November 2022In der Tiefsee wird weniger organischer Kohlenstoff verbraucht als angenommen
Ein internationales Team um Gerhard J. Herndl von der Universität Wien hat herausgefunden, dass in der Tiefsee weniger organischer Kohlenstoff verbraucht wird als bisher angenommen. Denn die Tiefsee-Mikroorganismen am Meeresboden bzw. unter 1.000 Meter Tiefe sind einem so hohen Wasserdruck ausgesetzt, dass sie in ihrer Stoffwechselproduktion stark gehemmt sind und daher weniger organisches Material als Nahrung (ver)brauchen als gedacht. Wenn man ihre Aktivität, wie allgemein üblich, an Bord von Forschungsschiffen – unter Oberflächendruckbedingungen – misst, zeigen sie eine bis zu hundertmal höhere Aktivität als unter den Druckbedingungen der Tiefsee, was Forschungsergebnisse bislang verfälscht hat. Die Ergebnisse haben große Auswirkungen auf unser Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs der Tiefsee und der Ozeane allgemein und erscheinen aktuell im renommierten Fachjournal "Nature Geoscience".
Die Tiefsee, der Bereich von 200 m Tiefe und tiefer sowie der Meeresboden selbst, ist der Lebensraum mit dem größten Volumen auf unserer Erde, aber auch jener Bereich, der am wenigsten erforscht ist. Die Tiefsee unter 1.000 m Tiefe ist generell ein kalter Lebensraum mit Wassertemperaturen zwischen 0-4°C und zudem lastet auf den dort lebenden Organismen ein enormer Wasserdruck. Die Tiefseewassermassen unterhalb von 1.000 m Tiefe fließen über mehr als hundert Jahre durch die drei großen ozeanischen Becken, dem Atlantik, Pazifik und dem Indischen Ozean, bekannt als Teil der „Thermohalinen Zirkulation“. Diese sorgt dafür, dass kaltes Wasser von den Polen zu den Tropen transportiert wird und warmes Oberflächenwasser von den Tropen zu den Polen gelangt. Diese ozeanische Zirkulation bestimmt wesentlich unser Klima.
Abbau von organischem Material
In den sonnendurchfluteten Oberflächenschichten des Meeres wird organisches Material produziert, das als Basis des Nahrungsnetzes dient und auch größtenteils im Oberflächengewässer in Kohlendioxid und anorganische Nährstoffe zerlegt wird. Nur rund 10 bis 20 Prozent des organischen Materials sinken in die Tiefen des Ozeans und dienen den Lebensgemeinschaften der Tiefsee als Nahrungsquelle. Der Abbau von organischem Material wird dort vorwiegend von einer komplexen mikrobiellen Gemeinschaft bewerkstelligt, deren Zusammensetzung und Stoffwechsel sich mit zunehmender Tiefe ändert. Bakterien sind die wichtigste Gruppe von Tiefseeorganismen, die den Partikelregen an organischen Stoffen aus den Oberflächenschichten des Meeres wieder in anorganische Verbindungen umwandeln.
In der aktuellen Studie untersuchte ein Team um Gerhard J. Herndl von der Universität Wien gemeinsam mit Kolleg*innen aus Spanien und Japan den Stoffwechsel der mikrobiellen Gemeinschaft in den drei großen Ozeanbecken der Erde unter den Druckbedingungen in den jeweiligen Tiefen und verglichen diese Aktivität mit jener, die an Bord des Forschungsschiffes unter Oberflächendruckbedingungen gemessen wurde. Dabei stellte sich heraus, dass mit zunehmender Tiefe der Unterschied in der Aktivität der Bakteriengemeinschaft in der Tiefe und jener unter Oberflächendruck immer größer wird. “In 4.000 m Tiefe ist die gemessene Aktivität nur etwa ein Drittel von der Aktivität, die wir an Bord der Forschungsschiffe gemessen haben“, so Gerhard J. Herndl, der Initiator der Studie.
Nicht alle Bakterien sind gleich sensitiv auf Druck
Die Wissenschafter*innen untersuchten auch, ob die gesamte Bakteriengemeinschaft gleichermaßen unter den hohen Druckbedingungen der Tiefsee mit reduziertem Stoffwechsel und Wachstum reagieren, oder ob das nur Teile der Bakteriengemeinschaft betrifft. Mit Einzelzellanalysen fand das Team heraus, dass ca. 85% der Tiefsee-Bakteriengemeinschaft unempfindlich auf Änderungen des Wasserdruckes reagiert und nur 5% der Bakterien den hohen Wasserdruck der Tiefsee benötigen, um zu wachsen. Nur etwa 10 % der Tiefseebakteriengemeinschaft reagiert auf das Heraufholen aus der Tiefsee, also der Druckreduktion, mit einer bis zu hundert Mal höheren Aktivität als in der Tiefsee. "Dieser kleine Teil der Bakteriengemeinschaft, der offensichtlich unter den Druckbedingungen der Tiefsee leidet, stammt offensichtlich ursprünglich aus den Oberflächengewässern und wurde mit sinkenden Partikeln in die Tiefsee verfrachtet und zeigt dort nur wenig Aktivität. Werden die Bakterien jedoch wieder an die Oberfläche gebracht, reagieren sie sofort mit sehr hohen Wachstumsraten", so Herndl.
Was bedeuten diese Ergebnisse für den Kohlenstoffkreislauf in der Tiefsee?
Insgesamt zeigt der Befund der Forscher*innen, dass der Bedarf an organischem Kohlenstoff der Tiefseeorganismen wesentlich geringer ist als bisher angenommen. Das heißt, dass die bisher gemessene Diskrepanz zwischen einem hohen organischen Kohlenstoffbedarf der Tiefsee-Bakteriengemeinschaften bei gleichzeitig geringem Kohlenstofffluss in die Tiefsee so nicht gegeben ist. "Diese Diskrepanz zwischen Verbrauch und Anlieferung deutet darauf hin, dass die Forschung verschiedene Parameter nicht beachtet oder nicht richtig gemessen hat. Unsere Studie zeigt, dass der Großteil der Bakterien gegen Druck relativ unempfindlich ist. Es ist aber überraschend, dass nur 10 Prozent der Bakteriengemeinschaft einen so großen Einfluss auf die Gesamtaktivität der Bakterien haben können, sodass die bisherigen Messungen verfälscht sind", erklärt Chie Amano, Erstautorin der Studie.
Die Studie über den Einfluss von hydrostatischem Druck auf Mikroorganismen der Tiefsee wurde unter anderem vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie vom European Research Council (ERC) gefördert.
Originalpublikation:
Chie Amano, Eva Sintes, Thomas Reinthaler, Julia Stefanschitz, Murat Kisadur, Motoo Utsumi, Gerhard J. Herndl. Limited carbon cycling due to high pressure effects on the deep sea microbiome. Nature Geoscience
DOI: https://doi.org/10.1038/s41561-022-01081-3
Abbildung:
Der "In Situ Microbial Incubator” wird zu Wasser gelassen, um in 4.000 m Tiefe die Bakterienaktivität unter den dort herrschenden Druckbedingungen (400 bar) zu messen. © Chie Amano
Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Gerhard J. Herndl
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Mag. Cornelia Blum
Leitung Kommunikation & PressesprecherinUniversität Wien
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