Historisches Musikarchiv im Stephansdom nach Wasserschaden vollständig gerettet

Durch einen tropfenden Wasserhahn wurden Tausende Notenblätter im Wiener Stephansdom in Mitleidenschaft gezogen. Doch Musikwissenschaftlerin Elisabeth Hilscher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ihre Studierenden von der Universität Wien konnten das historische Musikarchiv in monatelanger Arbeit retten. Nun wurden die Sicherungsmaßnahmen erfolgreich abgeschlossen.

Wasser und Papier vertragen sich bekanntlich nicht allzu gut: Vor einem Jahr wurde bekannt, dass im Curhaus (dem "Pfarrhof") des Stephansdoms in Wien Tausende, teils wertvolle und einzigartige Notenblätter durch einen Wasserschaden in erhebliche Mitleidenschaft gezogen worden sind. Ein tropfender Wasserhahn hatte lange Zeit unbemerkt die im Archivraum im 4. Stock gelagerten historischen Bestände der Dommusik durchfeuchtet. Mehrere Zentimeter Wasser hatten sich am Boden angesammelt. Mit Schimmelflecken, verwaschener Tinte und gewelltem Papier präsentierten sich die historischen Noten bei der ersten Bergung, Pfarre wie auch Expert/innen gingen von unrettbaren Schäden aus.

Doch dank einer Zusammenarbeit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit der Universität Wien und dem Domarchiv der Pfarre St. Stephan konnte nach dem vollständigen Trocknen das Notenmaterial wieder aufbereitet werden. Studierende der Universität Wien arbeiteten unter der Leitung von ÖAW-Musikwissenschaftlerin Elisabeth Hilscher im Rahmen einer Lehrveranstaltung zwei Semester lang an der Sanierung der historischen Quellen, die fachlich begutachtet, professionell gereinigt, dokumentiert und katalogisiert wurden. Damit können alle Musikalien in Kürze an ihren neuen Platz im Domarchiv gebracht werden, wo sie fachgerecht verwahrt und wieder für Forschung und Musikpraxis zugänglich gemacht werden.

557 Signaturen aus drei Jahrhunderten
Es handelt sich um insgesamt 557 Signaturen – den letzten Rest des historischen Dommusikarchivs, das durch den Brand von Dom und dem angrenzenden Curhaus im letzten Kriegsjahr 1945 fast vollständig zerstört wurde. Die Werke wurden in erster Linie für Chor und Orchester bzw. Orgel komponiert.

Die betroffenen Noten stammen von 1669 bis in die 1960er Jahre hinein, umspannen also drei Jahrhunderte und beinhalten hauptsächlich Musik zur Liturgie am Stephansdom, vor allem zu Weihnachten, zur Fastenzeit, der Karwoche sowie Ostern und Pfingsten. Einige der festgestellten Schäden resultieren übrigens nicht vom Wasserschaden des Vorjahres, berichtet Hilscher, sondern aus den Kriegsjahren sowie falscher Lagerung in den Jahrzehnten davor und danach.

Wertvolle Abschriften der Werke Mozarts und Haydns
Zu den wertvollsten nun restaurierten Beständen zählen Hymnare aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert sowie Abschriften von Werken Georg Reutters dem Jüngeren, von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn sowie dessen Bruder Michael Haydn aus der Zeit um 1800, die mehrere Jahrzehnte im Dom im Gebrauch standen. Auch zeitgenössische Kopien von Stücken des Domkapellmeisters Johann Baptist Gänsbacher oder von Maximilian Stadler finden sich darunter.

"Die Geschichte und Herkunft der Noten ist oft höchst spannend. Es finden sich in vielen Fällen Stempel anderer Kirchen und Musikvereinigungen. Teils wurden die Werke nur einmal gespielt und gesungen, die Noten sind aber dann im Stephansdom verblieben – warum, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren", sagt Hilscher. Neben wichtigen Angaben zur Aufführungs- und Spielpraxis gebe es auf vielen Werken "eine wilde Mischung an Karikaturen, Rechenaufgaben und Witzen, die von Zeitgenossen – vor allem den Chorknaben – auf die Noten gekritzelt wurden", so die ÖAW-Musikwissenschaftlerin. Somit handelt es sich beim Musikarchiv des Stephansdoms nicht nur um musikhistorische, sondern auch wichtige alltagsgeschichtliche Zeugnisse, die nun glücklicherweise für die Nachwelt gerettet werden konnten.

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Stephan Brodicky

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