Die politische Seite des Universalgenies Otto Neurath

Lange Zeit wurde das vielfältige Werk Otto Neuraths ignoriert. Günther Sandner vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien legt in seinem FWF-Projekt die erste intellektuelle und politische Biografie des renommierten österreichischen Ökonomen, Philosophen, Soziologen und Bildpädagogen vor, die auch Neuraths bedeutende politische Rolle aufzeigt.

Als "Universalgenie" bezeichnete William Johnston in seinem Buch "Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte" aus dem Jahr 1972 Otto Neurath. "Obwohl das wissenschaftliche Interesse an Werk und Wirken des Intellektuellen seit den 1970er-Jahren auch international gewachsen ist und zu einer ganzen Reihe entsprechender Publikationen geführt hat, gibt es bis heute keine intellektuelle und politische Biografie Neuraths", erklärt Günther Sandner vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Mit seinem nun abgeschlossenen FWF-Projekt "Otto Neurath – Eine intellektuelle und politische Biographie" schließt Sandner diese Lücke und ermöglicht so erstmals einen Einblick, der neben dem "Wissenschafter Neurath" auch den "politischen Menschen Neurath" erfasst.

Wer war Otto Neurath?
"Zunächst einmal macht es sein vielseitiges Werk schwer, ihn einer Wissenschaftsdisziplin allein zuzuordnen", so Sandner. Im Laufe seines ereignisreichen Lebens war Neurath als Soziologe, Ökonom, Bildpädagoge sowie als Philosoph tätig. Bekannt geworden ist er vor allem als Entwickler der "Wiener Methode der Bildstatistik“, Initiator und Organisator des Wiener Kreises, Leiter des Zentralwirtschaftsamtes in München (1919) und Gründer des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in Wien. Neurath veröffentlichte mehr als 350 wissenschaftliche und politische Aufsätze, Rezensionen und Bücher.

Als Sozialist flüchtete der 1882 in Wien geborene im Jahr 1934 vor dem Austrofaschismus in die Niederlande, wo er das Mundaneum Museum in Den Haag leitete. 1940 musste er vor den anrückenden deutschen Truppen nach England fliehen, woraufhin er in Oxford das Isotype (Akronym für International System of Typographic Picture Education) Institute gründete. Bis zu seinem Tod im Dezember 1945 blieb Neurath im englischen Exil.

Völlig neue Erkenntnisse
"Meine Neurath-Biografie zeigt, dass die politische Bedeutung dieser Figur, die so viele Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat, weitaus größer ist als bisher angenommen wurde", fasst Sandner seine Forschungsergebnisse zusammen. Diese Erkenntnis lässt sich dem Politikwissenschafter zufolge aus einer ganzen Fülle von Beobachtungen ableiten, die im Zuge der Beschäftigung mit der Biografie des österreichischen Philosophen gesammelt werden konnten: "So habe ich zahlreiche Dokumente und unveröffentlichte Schriften analysiert, die ein völlig neues Licht auf die Figur Neuraths – vor allem auch auf seine Jugend – werfen: Neurath war schon als Student massiv in politische Debatten involviert."

Die aufwändige biografische Spurensuche, die Sandner in den vergangenen drei Jahren nicht nur in den Archiven der Österreichischen Nationalbibliothek, sondern auch in den entsprechenden Nachlässen in der britischen Universitätsstadt Reading und dem Wiener Kreis-Archiv in Haarlem (nahe Amsterdam) betrieben hat, brachte ein weiteres interessantes Resultat zu Tage: Die einzelnen Werkteile Neuraths weisen einen sehr engen inhaltlichen Zusammenhang auf. "Es gab nicht einerseits den Ökonomen und andererseits den Bildpädagogen Neurath. Gerade soziale und politische Inhalte wie etwa die Orientierung an Lebensqualität und Glück der Menschen verbinden die unterschiedlichen Teile seines Werkes. In meiner Biografie wird dies klar ersichtlich."

Ökonomischer Fokus auf Lebensqualität
Neuraths Werk sei nach wie vor aktuell und darum derzeit so gefragt, sagt Sandner: "So ist er etwa schon damals dafür eingetreten, die Lehre der Ökonomie von den abstrakten Kategorien der wirtschaftlichen Kalkulationen wegzubringen und den Fokus stattdessen auf die Lebensqualität der Menschen zu lenken. Dabei ging es ihm aber nicht nur um materielle Dinge, sondern allgemein um eine Demokratisierung des Wissens – insbesondere des Zugangs zu Bildung und Kultur. Auch der Versuch, gesellschaftliche Probleme stets aus einem fächerübergreifenden Blickwinkel zu sehen, ist ein Ansatz Neuraths, der gerade in unserer modernen Wissenschaftskultur wieder sehr populär geworden ist."
 
Weitere Informationen
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M +43-699-109 51 489
guenther.sandner(at)univie.ac.at

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Öffentlichkeitsarbeit
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