Vienna meeting Nanjing

Gleichsam als Postkolloquium zum 23. Weltkongress für Philosophie in Athen haben die Kulturhistoriker und Konfliktforscher Friedrich Schipper und Rainer Feldbacher von der Universität Wien KollegInnen der Nanjing Normal University (China) zum Kooperations-Kick-Off nach Wien eingeladen.

Ermöglicht wurde die Kick-Off-Veranstaltung auch durch die Zusammenarbeit mit dem Philosophen Paul Ertl und dem Psychologen Günther Fleck vom Institut für Human- und Sozialwissenschaften der Landesverteidigungsakademie Wien. Der Grund, diese international renommierte militärische Forschungs- und Lehranstalt miteinzubeziehen, ist offensichtlich: die chinesischen Gäste, Zhen Chen, Xianxia Shao, Shengda Guo und Altdekan Zhicang Zhang, allesamt vom Institut für Philosophie der Universität von Nanjing, befassen sich mit weltanschaulichen Divergenzen und der Frage, wie es zu bewaffneten Konflikten kommt.

Lehr- und Forschungsaufenthalte in China


Dem Besuch der Delegation aus Nanjing in Wien gingen zwei Lehr- und Forschungsaufenthalte von Rainer Feldbacher in China und Südostasien voraus:  soziologische Feldforschung in Myanmar, Sprachunterricht in Kambodscha sowie historische und archäologische Untersuchungen, Vorträge und Vorlesungen in China.

Initiiert wurde die Reise durch das Eurasia-Pacific Uninet, die aufgrund der gebotenen Möglichkeiten länger ausfiel als ursprünglich geplant. Auch wenn Feldbacher letztendlich die Kontakte vor Ort ausweiten konnte, verdankte er diesem Netzwerk den Sprung nach Asien, immerhin hält Eurasia-Pacific Uninet, gegründet im Jahr 2000 und Europas größtes universitäres Netzwerk dieser Art , Kontakt zu derzeit 146 Partnerinstitutionen in ganz Asien und der Pazifikregion. Es geht hierbei um multilaterale wissenschaftliche Zusammenarbeit, gemeinsame Forschungsprojekte und Konferenzen sowie den Austausch von Universitätsangehörigen, unterstützt vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und dem Österreichischen Akademischen Austauschdienst.

Über die Nanjing Normal University


Bei einer der Universitäten dieses großen Netzwerks handelt es sich um die Nanjing Normal University, eine Bildungseinrichtung, die 1902 gegründet wurde, und durch Fusion mit weiteren Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstituten und pädagogischen Akademien im Laufe der Jahre erweitert wurde. Sie ist eine der Top 5 Normal Universities in China und Mitglied des Project 211, dem Zusammenschluss der strategisch wichtigsten 100 der insgesamt 1.700 Universitäten Chinas für das 21. Jahrhundert. Nicht zuletzt aufgrund dieser Einrichtung bleibt Nanjing ein nationales Zentrum der Bildung und Forschung und gehört nach Shanghai zu den führenden Zentren in dieser Region.

Bewegte Geschichte einer Stadt


Nanjing ist u.a. auch als Kriegsschauplatz des 20. Jahrhunderts bekannt: Nachdem die Stadt im Laufe der Jahrhunderte immer wieder als Hauptstadt Chinas gedient hatte, fiel ihr mit der Gründung der Republik China im Januar 1912 erneut diese Position zu. Da die Qing-Dynastie immer noch die nördlichen Provinzen kontrollierte, übernahm, mit der Zusage der Abdankung des Kaisers, Yuan Shikai die Rolle als Präsident, welcher Beijing (Peking) als Hauptstadt wählte. Dennoch erwählten die Chinesische Nationalpartei Kuomintang unter ihrem Führer Chiang Kai-shek 1927 erneut Nanjing zur Hauptstadt.

Mit dem Zweiten Sino-Japanischen Krieg, dem Vorspiel des Zweiten Weltkriegs im Ostpazifikraum, kam es zum berühmtesten und traurigsten Kapitel der Stadt: dem Massaker von Nanjing. Die Kaiserlich Japanische Armee besetzte nach monatelanger Belagerung Nanjing und führte systematisch Ermordungen und Vergewaltigungen durch - ein Terror, dem nach Schätzungen des Internationalen Militärtribunals zumindest 200.000 Menschen, nach heutigen chinesischen Schätzungen 300.000 Menschen zum Opfer fielen. Heute kann man die 1985 gegründete Nanjing Massacre Memorial Hall besuchen, eine monumentale Denkmalarchitektur, die an die Ereignisse erinnert. Ein Mahnmal, das einem die Schrecken des Krieges sehr intensiv, eindrücklich und nachhaltig vor Augen führt.


Neben Objekten und Fotografien aus dieser Zeit sind es vor allem die archäologischen Ausgrabungen der Massengräber, die erschüttern: All die Überreste der Opfer, die einfach verscharrt worden waren, wurden freigelegt, forensische Untersuchungen durchgeführt und mit Beschreibungen für den heutigen Besucher der Nanjing Massacre Memorial Hall versehen, wie die jeweiligen Menschen zu Tode kamen.



Impulsvortrag und Diskussion

Gegenstand der Gespräche im Rahmen der Veranstaltung "Vienna meeting Nanjing" am 12. August waren schließlich Konflikte, die Objektivierung ihrer Bewertung und Formen des Gedächtnisses. In seinem Impulsvortrag "Moral Relativism, Moral Objectivity, and Conflicts of Ideologies" führte Zhen Chen seine alternativen Grundsatzpositionen aus, die anschließend mit den anderen Gästen der Nanjing Normal University sowie den beteiligten Wissenschaftern der Universität Wien, der Landesverteidigungsakademie, des Instituts für Religion und Frieden des Militärordinariats und der Offiziersgesellschaft Wien diskutiert wurden. Eine Fortsetzung des Gesprächs im Mai 2014 in Nanjing im Rahmen des Eurasia-Pacific Uninet wurde bereits ins Auge gefasst: Nanjing meeting Vienna.