Medien brauchen immer wieder Apokalypsen

Ganze 648 Beiträge in österreichischen Tageszeitungen haben bereits 2011 das Thema "Weltuntergang" behandelt. Heuer verdoppelte sich die Artikelanzahl auf über 1.000. Lesen Sie hier "Anmerkungen zur medialen Begleitung des jüngsten Weltuntergangsversuchs am 21. Dezember 2012" von Fritz Hausjell.

"Die Uhr tickt ... Noch fünf Tage bis zur Apokalypse" betitelte das Boulevardblatt "Österreich" am letzten Sonntag ihre zentrale Story zum für fünf Tage später angekündigten Weltuntergang. Im Untertitel wurde gefragt: "Rettende Ufos oder der Eintritt in ein neues Zeitalter: Was bringt der 21.12.2012?" Der für einen Teil des Boulevardjournalismus typischen spekulativen Zuspitzung folgen nicht nur Antworten darauf, sondern auch verhältnismäßig nüchterne Informationen: zusammen jedenfalls für alle Leser- und Leserinnentypen etwas und selbstverständlich möglichst viel Prominenz.

Das journalistische Gegenstück am gleichen "letzten" Sonntag in der "Presse am Sonntag" fragte im Lead "Weltuntergang? Welcher Weltuntergang?" und stellt im Artikeltitel mit einem Wortspiel rasch klar "Wir lassen uns nicht Maya machen". Zudem erfährt man bereits im Vorspann weiters: "Für ein Ereignis von dieser Tragweite steht der Großteil der Österreicher dem 21.12.2012 sehr gelassen gegenüber. Was uns nicht daran hindert, ihn gründlich abzukonsumieren." Dieses "uns" meint dann zwar Teile der nicht nur heimischen Gesellschaft, deren Verhaltensweise im Text beschrieben wird. Es könnte aber auch enger gesehen werden, im Sinne von "uns" Medien, "uns" Journalistinnen und Journalisten, was dieser "Presse"-Artikel indes nicht beabsichtigte.

Verkaufsschlager Weltuntergang

Weltuntergang-Stories haben sich schon früher gut verkauft. Wer will, kann sich davon heute ganz ohne zeitraubendes Aufsuchen der Nationalbibliothek und Schmökern in alten Zeitungsbänden vergewissern, indem man von zuhause via Internet in den digitalisierten Zeitungen und Zeitschriften, die vor 70 und mehr Jahren erschienen sind, zügig blättert (siehe ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online)

Doch zurück in die Gegenwart: Der Begriff "Weltuntergang" kommt in der Berichterstattung moderner Medien in unterschiedlichsten Kontexten vor, mitunter ist es auch nur eine sprachliche Floskel wie: "Das bedeutet nicht gleich den Weltuntergang", die bei der Suche nach der einschlägigen Berichterstattung zu Ergebnissen führt.



Stöbern wir in der Datenbank APA Defacto Campus nach jenen Artikeln in der österreichischen Tagespresse, die zumindest einmal den Begriff "Weltuntergang" aufweisen, so sehen wir, dass dies zwischen 2001 und 2010 jährlich in zwischen 208 und 555 Artikel insgesamt bei allen Tageszeitungen des Landes der Fall war.



Wer schneller untergeht ...


Durch die zunehmend heftigere Konkurrenz am Medienmarkt werden Berichterstattungstermine allerdings immer frühzeitiger besetzt, viele Medien wollen die ersten sein – oft viele Monate im Voraus –, die über ein kommendes Ereignis ähnlich wie bei Jubiläen und Gedenkfeiern berichten. Daher verwundert es nicht, dass in der heimischen Tagespresse der mit Berufung auf den Maya-Kalender irrtümlich für Ende des Jahres 2012 prognostizierte Weltuntergang schon ein Jahr früher bei etlichen Blättern zum Thema gemacht wurde: 2011 war die Zahl der Beiträge in österreichischen Tageszeitungen, die das Thema "Weltuntergang" zumindest nebenher behandelten, auf 648 angestiegen. Heuer verdoppelte sich die Artikelanzahl von Jahresbeginn 2012 bis 13. Dezember auf mittlerweile 1.149.

Dieser quantitative Anstieg ist zwar beachtlich, aber nicht als enorm zu klassifizieren. Für eine qualitative Beurteilung der rezenten "Maya-Apokalypse"-Medienberichterstattung fehlt vorläufig eine brauchbare Analyse. Eine grobe Sichtung zeitigt lediglich ein breites Spektrum zwischen emotionalisierender und vernunftorientiert-distanzierter Thematisierung.



Was möglicherweise erstmals zu notieren ist: Eine spezifisch nur zu diesem Anlassfall auf den Markt gebrachte Zeitschrift aus dem Verlagshaus von Red Bull, die in Anspielung auf den bereits ab Ende 2009 sehr erfolgreich gelaufenen Hollywood-Weltuntergangsfilm "2012" (der immerhin 760 Millionen Dollar eingespielt haben soll) ebenso betitelt wurde und die Erscheinungsnummern wie ein Countdown herunterzählte.



"Kometenpillen" und Weltuntergangs-Parties


Angstbewirtschaftung durch Medien ist freilich auch außerhalb von Weltendzeit-Szenarien ein gutes Dauergeschäft mancher Medien, wenn man etwa an die Kriminalberichterstattung denkt. Wo die diffuse Angst vor einem Welt-Ende nicht an reale Ängste vor den Folgen von (Welt)Wirtschaftskrisen, also Anleger- und Arbeitsplatzverlusten, andocken kann, bleibt immer noch ein gerüttelt Maß an Unterhaltung. Vielleicht spielte diese diesmal für viele eine stärkere Rolle als jemals zuvor.

Dass Untergangsszenarien die einen ängstigen und andere amüsieren, zeigte spätestens diese Situation vor gut 100 Jahren: Damals war der nächste Weltuntergang für den 11. Mai 1910 angesagt, als sich der vom englischen Astronomen Edmond Halley bereits 1682 erkannte und nach ihm benannte "Halleysche Komet" der Erde näherte. Als daraufhin der Direktor der Pariser Sternwarte "das Ende der Welt" vorhersagte, boten Spekulanten Veranstaltungen an, "bei denen Sie bis zum Weltuntergang Ihr gesamtes Vermögen verprassen können".

Andere Geschäftemacher verkauften teure "Kometenpillen", die vor dem Tod durch Blausäure schützen sollten, die im Schweif des "Halleyschen Kometen" enthalten wäre.



Die Welt stand am Abend des 11. Mai 1910 freilich noch immer und Tausende Wiener gingen zum Heurigen, um das – überraschende? – Überleben zu feiern. Und der zentrale Medienkritiker jener Zeit, Karl Kraus, quittierte die von Theologen, Sekten-Gurus, selbsternannten Experten und Medien beschworene Kometen-Angst mit der Bemerkung: "Wenn die Erde erst ahnte, wie sich der Komet vor der Berührung mit ihr fürchtet!"



Immer wieder Weltuntergang ...


Haben wir uns vorerst damit abgefunden, dass inzwischen vieles zum hochstilisierten Medienereignis gemacht wird, dass weiters nutzloses Wissen in Umlauf gebracht und damit Geschäft gemacht wird? Auch der Untergang unserer Existenz wird daher immer wieder einmal am medialen Tablett serviert, von ernst-besorgt über augenzwinkernd-ironisch und unterhaltend bis hin zur intellektuellen Beschäftigung auf der Metaebene (beispielsweise der Frage nachgehend: Warum machen Medien es so, wie sie es eben machen?).

Letzteres geschieht gerade auch hier, gleichwohl ich gedacht hatte, zu eben dem Thema keine Zeile schreiben zu wollen ... Aber als jemand, der sich auch mit der Kommunikationsgeschichte intensiv beschäftigt, war nicht nur klar, dass am 21. Dezember 2012 ein Kalender-Zyklus endet und danach der nächste wohl beginnt, sondern dass der aktuelle begleitende mediale Bewirtschaftungszyklus seine Vorgänger hatte – und gewiss nicht der letzte gewesen sein wird. Da dazwischen ausreichend lange Phasen liegen, die das Vergessen ermöglichen, wird die erneute mediale Aufmerksamkeit gegenüber Wiederkehrendem in der Zukunft vermutlich wieder funktionieren.


Fritz Hausjell


ZUM AUTOR:
Dr. Fritz Hausjell, Jahrgang 1959, lehrt als außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Die aktuelle Weltuntergangsankündigung empfindet er als grob verfrüht und jedenfalls ungerecht, da seine Kinder (16 und 18) noch nicht genügend Gelegenheit hatten, die Vielfalt des Lebens zu gestalten, und in seinem Keller einfach noch zu viele vorzügliche Wein auf den richtigen Genusszeitpunkt warten. Die Apokalyptiker mögen sich also etwas gedulden.
Website von Fritz Hausjell