"Maskiertes Gesicht ist ein unvollständiges"

Die Einführung der Maskenpflicht erinnert uns an das Distanzhalten und hilft beim Einhalten der Maßnahmen gegen das Coronavirus, so der Psychologe Helmut Leder. Doch der Mund-Nasen-Schutz mache es auch schwer, das Gesicht einer anderen Person "zu lesen".

Die schrittweise verpflichtende Einführung des Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Raum zwingt die Gesellschaft ein Stück weit zum Umlernen. Was die Wahrnehmung des Gegenübers betrifft, führt das teilweise Vermummungsgebot dazu, dass ganz zentrale Hinweise auf die Verfasstheit des Gegenübers wegfallen. Dass nun tatsächlich "wesentliche Informationen aus dem Gesicht nicht mehr 'gelesen' werden können", lasse sich auch nicht einfach kompensieren, indem etwa die Aufmerksamkeit auf andere Teile des Gesichts gelenkt wird, so Helmut Leder, Experte für Schönheit und Gesichter von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien.

Entfall von Identitätsmerkmalen

So fallen etwa wichtige Merkmale zum Erkennen der Identität weg. "Das ist ja auch eine Bedeutung des Begriffs 'Maskieren'", so Leder. Die Maske macht es aber auch schwieriger, rasch einzuschätzen, wie es einer Person geht. Nicht zuletzt sind auch die Möglichkeiten zum Einschätzen des vermeintlichen Alters, des gesundheitlichen Eindrucks, des Geschlechts, der Wachheit oder der Attraktivität des Gegenübers eingeschränkt. 

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Daran, dass die Masken neben der Einschränkung der Tröpfchenübertragung auch dazu führen, dass besser auf Distanzvorgaben geachtet wird, glaubt der Kognitionspsychologe: "Der Effekt ist vermutlich sehr positiv, da ja die Masken an das vorgeschriebene und vielleicht noch nicht automatisierte Verhalten ermahnen." Da sie im öffentlichen Raum noch so neu sind, "ziehen sie Aufmerksamkeit auf sich". Das erinnere uns auch daran, achtsam zu sein und im Verhalten nicht in alte Gewohnheiten zu verfallen.

Rasche kognitive und emotionale Umdeutung

Die kognitive und emotionale Umdeutung der Maske von eher skeptisch bis ängstlich betrachteten zum nun schützenden Utensil könnte schnell gelingen. In den vergangenen Wochen zeige sich ja insgesamt, dass neue Verhaltensweisen durchaus rasch eingeübt und breit angenommen werden, so der Psychologe. Ob der mittlerweile fast omnipräsente Mund-Nasen-Schutz auch längerfristig zum Modeartikel oder zum wiederkehrenden Thema in der Kunst mutieren könnte, "ist schwer vorherzusagen", sicher habe sich hier schon etwas verändert. Wie nachhaltig sich das Bild verankert, hänge "sicher stark von der Dauer der Maßnahmen ab". Man dürfe in dieser Diskussion allerdings nicht vergessen, dass die meisten Menschen ja eigentlich herbeisehnen, "dass die Masken in absehbarer Zeit wieder überflüssig werden", so Leder. (APA/red)

Helmut Leder ist Professor für Cognitive Psychology and Vorstand des Instituts für psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden an der Universität Wien. Er ist außerdem stellvertretender Leiter der Forschungsplattform "Cognitive Sciences" an der Universität Wien.