Kroatien in der EU: Die Erweiterung lebt

"Kroatien muss ein 'ehrlicher EU-Makler' für den Westbalkan werden", so der Politologe Vedran Dzihic in seinem Gastbeitrag für uni:view. Der seit den Beitritten Rumäniens und Bulgariens im Jahr 2007 ins Stocken geratene Prozess der EU-Erweiterung wurde mit dem Beitritt Kroatiens nun wieder belebt.

Kroatien ist seit 1. Juli 2013 28. Mitglied der EU. Mit der Erweiterung mitten in einer der größten Krisen seit ihrer Gründung, beweist die Union, dass sie weiterhin attraktiv ist. Die in den letzten Jahren akute Erweiterungsmüdigkeit innerhalb der EU wurde zumindest kurzfristig überwunden. Und: der kroatische Beitritt ist ein wichtiger Schritt für das Land selbst. Mit Kroatien ist zum ersten Mal ein Staat der EU beigetreten, der vor kaum 20 Jahren direkt in die Kriege am Westbalkan involviert war. Obwohl die militärischen Kampfhandlungen und die autoritäre Herrschaft von Franjo Tudjman seit längerer Zeit Geschichte sind, bestehen die grundlegenden Spannungen weiter.

EU-Beitritt ist kein Zauberstab

Der EU-Beitritt, so die meisten ExpertInnen, ist kein Zauberstab, mit dem alle Probleme des kroatischen Staates zu bereinigen sind: Die Wirtschaft wird nicht mit einem Schlag besser, die Justiz nicht automatisch transparenter und leistungsfähiger. Auch die Korruption wird nicht aus der Welt verschwinden. Insgesamt eröffnet aber der Beitritt für Kroatien die Chance, den 1999 nach dem Tod von Tudjman begonnenen Transformations- und Modernisierungsprozess abzuschließen. "Dieser wäre ohne die europäische Politik der 'Sticks and carrots' nicht denkbar gewesen", so die These jener EuropäisierungsforscherInnen, welche die positive Transformationskraft der EU hervorheben.


"Kroatien war im Verlauf der Annäherung der EU teils starkem Druck aus Brüssel ausgesetzt. Man erinnere sich nur an die Forderung zur Verhaftung und Auslieferung des kroatischen Generals Ante Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal, die den kroatischen EU-Beitrittsprozess eine Zeitlang zum Erliegen brachte. Die Reformforderungen an Kroatien waren nach den negativen Erfahrungen mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens besonders groß und wurden konsequent überwacht", so Politologe Vedran Dzihic.



Doppelte Wirtschaftskrise

Kroatien tritt der EU während einer "doppelten Wirtschaftskrise" bei. Neben der Schuldenkrise innerhalb der EU selbst, macht der Regierung vor allem die extrem angespannte wirtschaftliche Situation innerhalb Kroatiens zu schaffen: Das Wirtschaftswachstum ist schwach bis kaum vorhanden. Die Arbeitslosenzahlen explodieren. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg zuletzt auf 51,6 und das Haushaltsdefizit auf 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an.

Die ExpertInnen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche sprechen angesichts der düsteren Wirtschaftskennzahlen von einer "Ernüchterung vor EU-Beitritt". Vladimir Cavrak, Ökonom an der Universität Zagreb, erwartet für die erste Zeit nach dem EU-Beitritt einen "negativen Schock" und "Orientierungslosigkeit". Während die Gewerkschaften Proteste vorbereiten, scheint die Regierung nicht die richtigen Rezepte zu finden. Nach dem Sommer 2013 wird vermutlich im Herbst ein zunehmend rauer Wind der Kritik gegen die Regierung blasen. Die Regierung selbst wird dann radikale Schritte im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ziehen müssen, um die Krise zu stoppen. Auf all dies reagieren die Menschen in Kroatien derzeit mit Frust und Misstrauen.

Pessimismus statt EU-phorie

Die pessimistische Grundeinstellung der Bevölkerung beeinflusst die Einstellungen zur EU: So tritt Kroatien in die Fußstapfen westeuropäischer EU-Müdigkeit. Dieses Bild verfestigt sich mit Blick auf aktuelle Umfragen zum EU-Beitritt Kroatiens: Statt einer "EU-phorie" herrscht eher eine nüchterne Haltung zur EU. An der rechten Ecke wird die These von Kroatien als Bollwerk zum Schutz des Christentums besonders gerne bemüht. Wurde man im Verlauf des Beitrittsprozesses von der EU ermahnt, entzündete sich "der Volkszorn" der national-bewussten KroatInnen. In mehreren Demonstrationen wandten diese sich auch auf der Straße "gegen Europa". Der immer wieder aufflammende Widerstand am rechten Rand der kroatischen Gesellschaft geht auch mit Ängsten vor dem Verlust der Souveränität einher. Verbissen kämpft man für ein "authentisches Kroatentum".

Neben der Kritik von rechter Seite hat sich in den letzten Jahren auch auf der linken Seite des gesellschaftlichen Spektrums starkes Misstrauen gegen die EU entwickelt. Sie wird als neoliberales Projekt abgelehnt und kritisiert. "Die EU zielt mit ihrer Politik darauf ab, das wirtschaftlich nicht konkurrenzfähige Kroatien als billigen Absatzmarkt, und – im Umkehrschluss – als Vorratskammer für billige Arbeitskräfte und Rohstoffe beizubehalten", so das Argument der linken Bewegungen.



Kroatiens Beitritt zur EU ist letztlich auch ein sehr wichtiger Schritt zur Normalisierung der gesamten Region des Westbalkans. Vom kroatischen Beitritt zur EU erwartet bzw. erhofft man sich eine positive Sogwirkung auf die Nachbarstaaten.



Sogwirkung auf die Nachbarstaaten

In Bosnien lebt eine große kroatische Bevölkerungsgruppe. Kroatien ist nicht zuletzt auch ein Garant des Friedensabkommens von Dayton. Die innerbosnischen politischen Kämpfe zwischen BosniakInnen, KroatInnen und SerbInnen lähmen den bosnischen Staat. Sie schaffen eine Zone der permanenten Spannungen. Zagreb kann nicht die bosnische Innenpolitik betreiben, trägt aber eine große Verantwortung. Nicht nur für bosnische KroatInneen, sondern für das gesamte Land. 500.000 Menschen in Bosnien besitzen den kroatischen Reisepass.

Zagreb erhebt mit dem EU-Beitritt Anspruch auf regionale Führerschaft. Geht es nach dem kroatischen Präsidenten Josipović, dem Premierminister Milanovic oder der sehr aktiven Außenministerin Vesna Pusić, wird Kroatien zum neuen EU-Leader am Westbalkan. In dieser neuen Rolle muss man den schwierigsten Schülern in der EU-Schulbank – Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien oder Kosovo – auf ihrem Weg Richtung EU unter die Arme greifen. Voraussetzung dafür ist der gute Wille der kroatischen Regierung.

Zugleich darf der neue Leader der Region nicht auf den partnerschaftlichen Umgang mit anderen Staaten der Region vergessen. Einige KommentatorInnen warnen davor, nach dem slowenischen Muster mit Blockaden des EU-Beitrittsprozesses zu drohen. Kroatien müsse ein "ehrlicher EU-Makler" für die Region werden. Eine aktive und gestalterische Politik in Richtung der Staaten des Westbalkans kann in Zeiten der Krise und der Erweiterungsmüdigkeit jener Dienst sein, den man sowohl in der EU als auch in der Region erwartet.

Einige Argumente in diesem Beitrag entstammen dem im Juli 2013 von Mag. Dr. Vedran Dzihic und Astrid Reinprecht, beide vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, veröffentlichten Policy Brief des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip) "Kroatiens Beitritt zur EU Erwartungen, Euroskeptizismus und regionale Implikationen". Zum Policy Paper (PDF) von Vedran Dzihic und Astrid Reinprecht.