Eine Sekunde mehr Zeit

Wer es mit der Zeit sehr genau nimmt, sollte am 30. Juni 2015 die Uhren um eine Sekunde zurückstellen. Alle zwei bis drei Jahre beschließt der internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) die Einführung einer Schaltsekunde. Der Astrophysiker Thomas Posch erklärt, warum.

uni:view: Herr Posch, was ist eine Schaltsekunde?
Thomas Posch: Wir messen die Zeit – ohne dass es uns im Alltag auffällt –  mit zwei verschiedenen Maßstäben: mit Atomuhren und mittels astronomischer Beobachtungen. Die astronomischen Beobachtungen, die sich auf Auf- und Untergänge sowie vor allem auf Höchststände (Kulminationen) von Himmelsobjekten beziehen, spiegeln die Rotation unserer Erde wieder. Die Erdrotation ist seit jeher "die Mutter aller Uhren". Mit den Atomuhren haben wir aber ein Zeitmaß gefunden, das so genau ist, dass es zeigt, dass die Erdrotation selbst kein ganz strikt periodischer Vorgang ist. Ja, es gibt kleine Schwankungen der Erdrotation!

uni:view: Wann wird die Schaltsekunde eingeführt?
Posch: Wenn der Unterschied zwischen den beiden Zeitskalen (Atomuhr-Zeit versus astronomische bzw. Erdrotations-Zeit) größer werden würde als 0,9 Sekunden. Schaltsekunden können am 30. Juni oder 31. Dezember eingelegt werden. Seit 1972 gab es schon mehr als 35 Schaltsekunden!

Zwei Präzisionspendeluhren aus der Schausammlung des Instituts für Astrophysik aus dem 19. Jahrhundert. Damals gab es noch keine Atomuhren. Die Zeit wurde ausschließlich anhand astronomischer Beobachtungen gewonnen.


uni:view: Braucht es aus Ihrer Sicht überhaupt Schaltsekunden?
Posch: Es ist sinnvoll, solche Schaltsekunden einzulegen, weil sonst langfristig die Zeit der Atomuhren ganz abgekoppelt wäre – ganz wegdriften würde von der Zeit, die an astronomischen und somit alltäglich wahrnehmbaren Vorgängen ablesbar ist. Extrem ausgedrückt: Ohne Schaltsekunden würden die Zeitzeichen aus dem Rundfunk (die auf Atomuhren beruhen) in einer sehr fernen Zukunft z.B. "12 Uhr Mittag" lauten, während wir draußen gerade erst die Sonne aufgehen sehen.

uni:view: Welche Auswirkungen hat die Schaltsekunde auf Ihren Arbeitsalltag?
Posch: In der Praxis müssen sich AstronomInnen manchmal über Schaltsekunden ärgern, da sie zu Computer-Problemen führen können. (red)
 

Mag. DDr. Thomas Posch, Privatdoz. lehrt und forscht am Institut für Astrophysik der Universität Wien. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen u.a. Astromineralogie, Langzeit-Messungen der Nachthimmelshelligkeit und Geschichte der Astronomie.