Ein Leben nur für Kunst? Die politische Seite Karajans

Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte analysierte neue Briefe und Dokumente des Dirigenten Herbert von Karajan. Am Freitag präsentiert er seine Ergebnisse im Rahmen eines Workshops, der anlässlich des 70. Geburtstags des Historikers Gernot Heiß an der Universität Wien stattfindet.

Anhand bisher unzugänglichen Materials hat Oliver Rathkolb vor allem die nationalsozialistische Komponente von Karajans Karriere neu aufgerollt. "Es ist an der Zeit, diese Konstruktionen, die sich Karajan aufgebaut, juristisch gebastelt und am Ende vielleicht wirklich selbst geglaubt hat, endlich wissenschaftlich zu untersuchen", so der Zeithistoriker.


Herbert von Karajan (1908-1989) zählt zu den bedeutendsten Orchesterleitern des 20. Jh. Die Biografie des österreichischen Dirigenten ist über ein Dutzend Mal in Buchform gebracht worden, drei Filme widmen sich seinem Leben. "Dennoch gibt es immer noch sehr wesentliche Aspekte von Karajans Geschichte, die nicht befriedigend erforscht sind", so Rathkolb.




Die deutsch-nationale Prägung Karajans lasse sich schon in die Jugend des Dirigenten zurückverfolgen. In Salzburg war er Mitglied der Alldeutschen Gymnasialverbindung Rugia. Rathkolb konnte außerdem frühe Briefe Karajans sichten, in denen er sich offen antisemitisch äußert und etwa über die "verjudete Volksoper" schreibt, in der er niemals dirigieren würde. "Aus diesem deutsch-nationalen Umfeld kommend war es nur natürlich, dass er ideologisch an die NSDAP andockte", erklärte Rathkolb.

Workshop zu Ehren des Historikers Gernot Heiß

Seine Ergebnisse präsentiert der Zeithistoriker am Freitag, 14. Dezember, im Zuge des Workshops "Universität und ihre (Zeit)Geschichte" an der Universität Wien, der zu Ehren des 70. Geburtstags des Historikers Gernot Heiß stattfindet.

Auf dem Workshop-Programm stehen u.a. Vorträge zum jüdischen Chemiker Guido Goldschmiedt, zur Bildenden Kunst zwischen Prag und Wien in den Jahren 1918 bis 1939 oder zu spannungsreichen Beziehung zwischen Geschichte und Film. Michael John von der Johannes Kepler Universität Linz spricht zu "Profiteure und 'Hyänen', sozialer Neid und organisierter Raub. 'Arisierung' und Vermögensentzug in der 'ostmärkischen' Provinz". Germain Weber, Dekan der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, hält den Vortrag "Ob Geschichte geschrieben wird? Überlegungen zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen".


Im Rahmen der Abschlussdiskussion am Freitag, 14. Dezember um 17.15 Uhr wird die Festschrift "Über die österreichische Geschichte hinaus" (Hrsg.: F. Edelmayer, M. Grandner, J. Pešek und O. Rathkolb) anlässlich des 70. Geburtstags von Gernot Heiß präsentiert. Website von Gernot Heiß am Institut für Geschichte




Karajan und die NSDAP

Streitpunkt der historischen Forschung ist immer wieder der NSDAP-Beitritt Karajans. "Karajan ist der NSDAP bereits am 8. April 1933 in Salzburg beigetreten", stellte Rathkolb klar. In Ulm habe er wenig später einen zweiten Antrag gestellt, der per 1. Mai 1933 akzeptiert wurde und sich später auch in Aachen bei der zuständigen Ortsgruppe gemeldet. 1939 habe er auch sein Mitgliedsbuch bekommen. Das beweise etwa eine Karteikarte samt Foto des Dirigenten sowie ein Dokument, in der er selbst seine Mitgliedsnummer am 26. November 1936 bestätige.

Vor dem Entnazifizierungskomitee der Alliierten habe Karajan dagegen ausgesagt, sich nie um eine Mitgliedschaft bemüht zu haben und nur aus Karrieregründen erst in Aachen beigetreten zu sein. Immer wieder würden Biografen des großen Orchesterleiters auf diesen selbst konstruierten Narrativ Karajans aufspringen. "Es geht darum, einen Übermenschen darzustellen, aber Karajan war bloß ein ausgezeichneter Dirigent, der wie alle Menschen seine Schwächen hatte", erklärte Rathkolb. Regelmäßig hätte Karajan mit Biografen, die nicht seiner Spur folgten, heftige Auseinandersetzungen gehabt.

Ein Leben nur für die Kunst? Politische Netzwerke

Der Orchesterleiter sei mit seinen Beteuerungen, nur für die Kunst und nicht für die Politik gelebt zu haben, immerhin gut gefahren. "Aber wenn man genau hinschaut, dann sieht man natürlich, dass er versucht hat, politisch mitzuschwimmen", so der Zeithistoriker. Dass es sich hier um nachträgliche Konstruktionen handle, zeige sich auch im Kleinen: So habe Karajan etwa keine einzige Technikvorlesung besucht, obwohl er später behauptete, drei Semester Technik studiert zu haben. "Man bekommt das Gefühl, Karajan hat sich zusammen mit seinem Anwalt eine biografische Strategie vor dem Entnazifizierungskomitee zurechtgelegt", meinte Rathkolb.

Immer wieder werde auch seine Heirat mit der "Vierteljüdin" Anita Gütermann, der Tochter eines sehr bekannten deutschen Nähseidenfabrikanten, bemüht, um Karajan von dem Vorwurf des nationalsozialistischen Gedankenguts freizusprechen, so Rathkolb. "Allerdings hat ihm diese Heirat mehr genützt, als geschadet." In den Akten des Vaters von Gütermann, der sich jedoch von der Mutter Anitas scheiden ließ, fand der Zeithistoriker den Hinweis, dass dieser schon 1933 um eine Mitgliedschaft bei der NSDAP angesucht hatte, um als Textilproduzent das Privileg zu bekommen, die braune "SS"-Seide zu liefern. Als während der Untersuchung seine Herkunft aufflog, musste er die Partei zwar wieder verlassen, jedoch passierte ihm weiter nichts. "Das Unternehmen florierte auch im Dritten Reich und Gütermann war politisch bestens vernetzt", so Rathkolb. So stand auch der Heirat Karajans mit Anita nichts mehr im Wege, Joseph Goebbels selbst stoppte das Untersuchungsverfahren.

Weit mehr als diese Heirat habe Karajan die Konkurrenz zu Wilhelm Furtwängler geschadet. "In der Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte der Gütermanns hat bis jetzt oft das kritische Element gefehlt", meinte Rathkolb. Das gelte auch für weitere Kapitel von Karajans Karriere. "Spannend wäre etwa zu sehen, wie stark Karajan seine politischen Netzwerke für seine Karriere eingespannt hat und wie diese funktioniert haben." Im Gegensatz etwa zu seinem Kontrahenten Furtwängler gebe es zu Karajan jedoch kaum Originaldokumente, was die Aufarbeitung deutlich erschwere. (APA/red)

Workshop "Universität und ihre (Zeit)Geschichte"
Freitag, 14. Dezember 2012
Institut für Zeitgeschichte, Campus der Universität Wien, Seminarraum 2
Spitalgasse 2-4, Hof 1090 Wien
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