Advent, Advent ... (Teil 2)

Das zweite Lichtlein brennt. Im Weihnachtsdorf am Campus erzählt Musikwissenschafter Christoph Reuter, wie er Weihnachten verbringt, weshalb das Fest oft mit Glockenklang in Verbindung gebracht wird und warum die Glocke auch in akustischer Hinsicht eine besondere Stellung einnimmt.


Christoph Reuter
Professor für Systemische Musikwissenschaft

Weihnachten bedeutet für mich ...
... eine schöne Gelegenheit, meine Eltern, Schwester samt Familie sowie Freunde in Deutschland zu besuchen. Die Geige bleibt in Wien. Heiligabend wird wahrscheinlich angenehm und ruhig ...

Mein Lieblingspunsch ...
Die Wiener Weihnachtsmärkte kenne ich noch nicht so gut, die Pünsche daher auch nicht ... Kulinarisch hat Wien ja das ganze Jahr über so viel zu bieten, dass ich die weihnachtlichen Seiten noch gar nicht richtig ausprobiert habe ...

Aus dem "musikwissenschaftlichen Nähkästchen" geplaudert ...
Akustisch wird Weihnachten häufig mit dem Klang der Glocke in Verbindung gebracht. So hat man es in Weihnachtsliedern entweder mit der Stille zu tun ("Stille Nacht, heilige Nacht", "Still, still, still, weil's Kindlein schlafen will", "Leise rieselt der Schnee" etc.), oder es läuten die Glocken ("Süßer die Glocken nie klingen", "Kling, Glöckchen, klingelingeling", "Campana sobre Campana" – d.h. Glocken über Glocken, etc.). Tatsächlich gehört Weihnachten zu den wenigen kirchlichen Feiertagen, an denen die tiefste und wertvollste Glocke im Geläute eines Kirchturms erklingt.

Im Glockenklang selbst vereinigen sich einige akustische Phänomene, die dem Instrument über seine religiös-gesellschaftliche Bedeutung hinaus auch in akustischer Hinsicht eine besondere Stellung einräumen: Bei der hin- und herschwingenden Glocke ist es zum einen der Doppler-Effekt (benannt nach dem österreichischen Physiker und Mathematiker Christian Doppler; seine Büste steht im Innenhof des Hauptgebäudes der Universität Wien): Doppler konnte mathematisch beweisen, dass sich die Wellenlänge (und damit die Frequenz) eines Signals ändert, wenn Sender und/oder Empfänger in Bewegung sind. Für die Schallausbreitung und -wahrnehmung bedeutet dies, dass die Frequenz eines Signals steigt (die Wellenlänge kürzer wird), wenn Sender und Empfänger aufeinander zukommen (z.B. ein Polizeiauto mit Martinshorn, das sich nähert) und wieder sinkt (d.h. die Wellenlänge länger wird), wenn sich Sender und Empfänger voneinander entfernen (z.B. das Polizeiauto vorbeigefahren ist und weiter weg fährt).

Schwingt die Glocke im Kirchturm hin und her, so bewegt auch sie sich einmal vom Hörer weg, dann wieder auf ihn zu, wodurch sich die beim Hörer ankommende Frequenz immer wieder minimal nach oben oder nach unten verstimmt. Da die Glocke nach jedem Schlag lange ausklingt, führen diese sich überlagernden Stimmungsänderungen zusammen mit ihren Reflexionen an umliegenden Häuserwänden etc. zu einem Schwebungseffekt, der dem Glockenklang einen etwas seltsam diffusen Schimmer gibt.

Zum anderen ist es der Schlagton der Glocke: Dies ist ein subjektiver, deutlich wahrnehmbarer Tonhöheneindruck, dessen Frequenz im Klangspektrum einer Glocke jedoch selbst nicht nachweisbar ist. Man kann heute davon ausgehen, dass es sich bei diesem Phänomen um einen Residualton ("residue") handelt. Dieses Phänomen, das 1940 von dem Niederländer Jan Frederic Schouten entdeckt wurde, beschreibt eine bemerkenswerte Ergänzungstendenz des Ohrs: Fehlt bei einer – allen Instrumentenklängen mit einer wahrnehmbaren Grundtonhöhe innewohnenden – harmonischen Teiltonreihe die Grundfrequenz, so scheint das Gehör aus der Summe der verbliebenen Teiltöne die fehlende Grundfrequenz, also den Rest (residue) automatisch zu ergänzen. Diesem Phänomen begegnen wir im Alltag ständig (z.B. bei der Abstrahlung von Musik aus viel zu kleinen Computer-Lautsprechern oder beim Telefonieren, wenn die Grundfrequenzen der meisten Stimmen gar nicht mit übertragen werden, wir aber unser Gegenüber dennoch wiedererkennen und deutlich verstehen können).

Da bei der Glocke aufgrund ihrer baulichen Struktur die Teiltonreihe ihrer Klänge nicht so harmonisch aufgebaut ist wie z.B. beim Klang einer Geige, weicht ihr Schlagton häufig vom tiefsten Ton im Spektrum ab. Wenn man genauer hinhört, entdeckt man im Glockenklang häufig zwei deutlich wahrnehmbare Tonhöhen: den Schlagton (der im Idealfall in der Nähe der Prime liegt) und die (meist eine kleine Terz darüber liegende) Terze. Durch den Abstand einer kleinen Terz zwischen dem Schlagton und der Terze klingt der Klang der Glocke meistens etwas traurig, düster, geheimnisvoll, da dieses Intervall das Erkennungsmerkmal für Moll-Tonarten ist. Aus diesem Grund klingt es auch seltsam, wenn von Turmglockenspielen Stücke in Durtonarten erklingen, da hier die große Terz als Erkennungsintervall für Dur klanglich ständig durch die im Glockenklang innewohnende kleine, an Moll gemahnende Terz konterkariert wird. 

Mein Lieblingsweihnachtslied ...
... Wahrscheinlich gehen die meisten MusikwissenschafterInnen mit Musik zur Weihnacht eher nüchtern um. Da ist der Geschenke-Song von Helge Schneider (aus "Weihnachten bei van den Bergs") sehr erfrischend (das dazugehörende Hörspiel ist ebenfalls sehr empfehlenswert).


Zur Person:
Christoph Reuter (geb. 1968 in Duisburg) ist seit September 2008 Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen: Instrumentenakustik und Instrumentenkunde/-geschichte, Klangsynthese/Klanganalyse/Klangverarbeitung, Psychoakustik/Gehörphysiologie/auditive Wahrnehmung und Raumakustik.
Website von Christoph Reuter