Viennale: Zwischen Rezeption und Produktion

Es ist Viennale-Zeit: Für Valentin Mertes und Jana Koch, Film- und MedienwissenschafterInnen der Universität Wien, heißt das ein "Delirium des Rezipierens", einen aufgemischten Tag-Nacht-Rhythmus und zum zweiten Jahr in Folge ein Seminar in Kooperation mit der Viennale rund um den AutorInennfilm.

uni:view: Ihre Lehrveranstaltung in Kooperation mit der Viennale ist dem AutorInnenfilm gewidmet – was verbirgt sich hinter diesem Konzept?
Valentin Mertes:
Der Begriff ist im Deutschen in den 60er Jahren verbreitet aufgetreten und war damals hauptsächlich mit dem Neuen Deutschen Film verbunden. Die FilmemacherInnen wollten sich bewusst von "Papas Kino" und den darin verborgenen nationalsozialistischen Implikationen distanzieren und haben daher mit alternativen, emanzipatorischen Produktionsweisen experimentiert. Der Begriff AutorInnenfilm versucht eigentlich, eine sehr subjektive Filmsprache beschreibbar zu machen, die sich den kommerziellen Produktionsweisen von Film subversiv widersetzt.

Jana Koch: Es geht weniger darum, fixe Schablonen über AutorInnenfilme und Essayfilme zu legen um bestimmen zu können, ob die Filme nun zur Gattung gehören oder nicht. Vielmehr geht es darum, die Grenzen des Genrebegriffs zur Diskussion zu stellen und die Kategorisierung von Kunst und Kultur sichtbar zu machen. In der Lehrveranstaltung wollen wir uns daher konkret anschauen, wozu Kino im Stande ist, welche Formen hervorgebracht und auch welche filmischen Konventionen ausgehebelt werden können.

uni:view: Wie gehen Sie dafür vor?
Koch:
Mit den insgesamt 35 TeilnehmerInnen schauen wir uns gemeinsam zehn Filme der Viennale an und diskutieren dann, wie sich der AutorInnenfilm an diesen Beispielen exemplifizieren lässt.  
Die Studierenden schreiben Rezensionen zu den gesehenen Filmen, die im Kurs besprochen und auch anschließend auf einem Blog veröffentlicht werden. Wir wollen den Studierenden so die Möglichkeit geben, dass ihre Arbeiten Anklang finden und nicht in der Schublade verschwinden.

Mertes: Für die Rezensionen geben wir eigentlich wenig vor. Die TeilnehmerInnen sollen das, was sie aus dem bisherigen Studium gezogen haben, anwenden und sich einer Gleichzeitigkeit von Rezipieren und Produzieren in Form von Schreiben, Diskutieren und Veröffentlichen aussetzen. Dabei entstehen spannenden Produkte.

uni:view: Das Angebot der Viennale ist groß – wie haben Sie die zehn Film für die Lehrveranstaltung ausgewählt?
Koch:
Eigentlich nur nach der Beschreibung, da wir die Filme noch nicht kennen. Es ist eine schöne "Werkschau" mit dokumentarischen Arbeiten, Fiktionen, aber auch essayistischen Formen – Filme, bei denen sich Fiktion und Dokumentation oft mischen. Es kann im Vorfeld aus der Filmbeschreibung rausgelesen werden, was einen erwartet, aber es gibt immer wieder Überraschungen.

Mertes: Es ist ein Pokerspiel auf Augenhöhe. Wir entdecken gemeinsam in der Diskussion mit Studierenden, was in den Filmen drinsteckt – oder eben nicht drinsteckt. Es tun sich spannende Allianzen auf und es entsteht ein diskursives, plurales Bild über die Filme, die man gemeinsam gesehen hat.

uni:view: Es geht also nicht um Konsens, sondern um Austausch?
Koch:
Ja, das dialogische Prinzip ist uns wichtig. Wir gehen mit derselben Kinowahrnehmung in die Diskussion und es findet ein multiple Form der Filmrezeption statt. Es ist nicht die Lehrperson, die eine gewisse Lesart als richtig befindet, sondern jede einzelne Lesart hat erstmal ihre Berechtigung. So kann die klassische pädagogische Form ausgehebelt und suspendiert werden, endlich mal. Dem zuträglich ist auch die Tatsache, dass sich die Seminarleitung des Öfteren mal uneinig ist...

Mertes: …und dass das auch in Ordnung ist. Ein hierarchisches Prinzip hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Und das ist letzten Endes auch die Botschaft des AutorInnenfilms. Es sollen horizontale anstelle von vertikalen Prinzipien durchgesetzt werden. Da lässt sich eine Inhalt-Form-Analogie von Seminar und dem Material ausmachen.

uni:view: Und warum braucht es für das Seminar die Viennale?
Koch:
Die Viennale zeigt Filme, die man sonst nicht sehen kann. Und im Vorfeld hat eine Selektion mit sehr viel Kompetenz stattgefunden. Eine Arbeit, die wir in diesem Ausmaß gar nicht leisten könnten. Wir sind sozusagen "NutznießerInnen" eines Teams, das ein großartiges Programm zusammengestellt hat.

Mertes: Diese 14 Tage Festival werden zu einem Delirium des Rezipierens, des Filmschauens, darüber sprechen und schreiben – dadurch entsteht eine große Intensität, die nicht reproduziert werden kann. Jana hat letztes Jahr knapp 30 Filme in zwei Wochen gesehen. Da verschwimmen die Filme, neue, eigene Bilder entstehen im Kopf. Diese Dynamik hätte das Seminar ohne die Festival-Besuche wohl nicht. (hm)

Dipl.-Sozialpäd. (FH) Jana Koch studierte soziale Arbeit sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Seit Juni 2013 hat sie eine Praedoc-Stelle am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft inne und schreibt an ihrer Dissertation zum Thema Erinnerungsbilder im Essayfilm.

Mag. Valentin Mertes studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Seit Mai 2013 hat er eine Praedoc-Stelle am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft inne und schreibt an seiner Dissertation zu medialen Verfahren bei Alexander Kluge.