"Übersetzung wird interessant, wenn sie außer Kontrolle gerät"

Ob im Alltag oder an der Universität: Viele Bücher, die wir zur Hand nehmen, sind deutschsprachige Übersetzungen und ermöglichen uns den Zugang zu internationalen Autoren und Autorinnen. Obwohl von zentraler Bedeutung, rückt das Übersetzen selbst nur selten in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dem tritt das 2009 gegründete Projekt "METAMORPHOSIS" der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät entgegen. "uni:view" sprach mit dem österreichischen Schriftsteller und Übersetzer Peter Waterhouse, der im Sommersemester 2011 die heuer erstmals im Rahmen des Projekts eingerichtete Gastprofessur innehat.

"Auch in Disziplinen, die sich klassischerweise mit Sprache auseinandersetzen, wurde das Übersetzen bisher nur peripher behandelt", erläutert Peter Waterhouse, der selbst an der Universität Wien Germanistik und Anglistik studierte und 1984 promovierte. Er erinnert sich: "Das kenne ich auch aus meiner Studienzeit. Obwohl die meisten Autoren und Autorinnen als ÜbersetzerInnen tätig sind, werden diese Texte nur selten ihrem Werk zugerechnet."

Übersetzung im Mittelpunkt

Das 2009 von Arno Dusini, Lydia Miklautsch, Werner Michler und Peter Waterhouse vom Institut für Germanistik initiierte Projekt "METAMORPHOSIS" richtet sich an die Studierenden der Universität Wien. Neben einer regelmäßig stattfindenden Ringvorlesung ergänzen Seminare, Workshops und Gastvorträge das Angebot. Ziel ist es, sowohl die Geschichte als auch die Schwierigkeiten und Möglichkeiten von Übersetzung und Übersetzen zu vermitteln – theoretisch und praktisch.

Interdisziplinäres Arbeiten

Angesiedelt ist das Projekt am Institut für Europäische und vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaften und am Institut für Germanistik. Kooperationen mit weiteren Instituten sind erwünscht, sagt Peter Waterhouse und führt fort: "Das Feld des Übersetzens betrifft viele Fachrichtungen. Es hat sowohl zeitliche als auch ästhetische Dimensionen und braucht Input von vielen Seiten – ob von der Geschichte, Philosophie, Theologie, Sozialwissenschaft oder natürlich den klassischen Philologien."

Übersetzung vs. Original

"Die traditionelle Vorstellung, dass jede Übersetzung dem Original gleiche, ist falsch. Übersetzen verändert und belebt die Sprache. Sie kann sogar dem Ursprungswerk widersprechen", erklärt der Schriftsteller weiter. Ihm ist es wichtig, den Studierenden vor allem den Unterschied zwischen "Übersetzen" und "Interpretieren" zu verdeutlichen: "Bei der Übersetzung kann ich im Gegensatz zur Interpretation nicht sagen 'Ich verstehe die dritte Strophe nicht, deshalb lasse ich sie aus'. Übersetzung muss auch dort arbeiten, wo sie nicht versteht. Sie wird erst interessant, wenn sie außer Kontrolle gerät."

Was macht eine gute Übersetzung aus?

Der Autor selbst übersetzt am liebsten das "Gesamtwerk" eines/einer Schriftstellerin: Das Schaffen des britischen Lyrikers Michael Hamburger begleitet er beispielsweise seit ungefähr 15 Jahren, den italienischen Dichter Andrea Zanzotto übersetzt er seit mehr als 20 Jahren.
Eine Formel für eine gute Übersetzung gibt es laut Peter Waterhouse nicht. Entscheidend sei jedoch das Detail: "Das Wichtigste beim Übersetzen ist das Lesen. Immer und immer wieder. Wenn man ein Gedicht hunderte Male gelesen hat, dann übersetzt es sich fast von alleine."
 
Offenes Ende

Von den Studierenden wird das Studienangebot rund ums Übersetzen begeistert angenommen. "Es wäre zu wünschen, dass 'METAMORPHOSIS' als Grundlage für ein Graduierten-Kolleg oder eine Forschungsplattform genutzt wird, damit die Übersetzung weitere wissenschaftliche Beachtung findet", stellt Peter Waterhouse fest. Der 55-Jährige wird auf jeden Fall auch nach Ende der Gastprofessur das Projekt weiter begleiten. (mw)


Die konzeptionelle Leitung des 2009 gegründeten Projekts "METAMORPHOSIS" unterliegt Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Arno Dusini, Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Lydia Miklautsch, Ass.-Prof. Mag. Dr. Werner Michler und Univ.-Prof. Dr. Peter Waterhouse, MA, alle vier vom Institut für Germanistik. Derzeit werden Lehrveranstaltungen am Institut für Europäische und vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaften und am Institut für Germanistik angeboten.