Thomas Corsten: Griechische Epigraphik mit römischen Inschriften

Thomas Corstens Spezialgebiet ist – dank eines Dissertationsstipendiums – griechische Epigraphik, obwohl er ursprünglich Archäologe werden wollte. Nach seiner Habilitation und mehreren Auslandsaufenthalten arbeitete er beim "Lexicon of Greek Personal Names" an der University of Oxford mit. Im Februar 2010 folgte er dem Ruf an die Universität Wien. Der Althistoriker, der sich seit Jahren u.a. mit der antiken Stadt Kibyra in der heutigen Türkei beschäftigt, hält am Donnerstag, 3. März 2011 um 17 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Umbruch und Kontinuität im hellenistisch-römischen Kleinasien".

Das an der Universität Oxford angesiedelte "Lexicon of Greek Personal Names" umfasst inzwischen sechs Bände mit etwa 300.000 Einträgen. Thomas Corsten, der daran nach wie vor mitwirkt, kommt ins Schwärmen, wenn er in diesem großformatigen Nachschlagwerk blättert: "Damit kann man etwa prosopografische Studien anstellen, also Verwandtschaftsbeziehungen herausfinden, und erforschen, woher eine Person kommt, die einen für den Ort, an dem sie bezeugt ist, ungewöhnlichen Namen trägt. Das ist kulturhistorisch sehr interessant." Und wäre Thomas Corsten nicht nach Wien berufen worden, hätte er seine namenkundlichen Forschungen in Oxford sicher noch weiter intensiviert.

Hervorragende Arbeitsbedingungen – ausgezeichnete StudentInnen


So aber erzählt er jetzt begeistert von der österreichischen Küche – und da vor allem von "den süßen Dingen", dem musealen Angebot und der Oper. Von seinem neuen wissenschaftlichen Umfeld ist er ebenso angetan: "Hier bin ich genau richtig: Wien hat eine sehr alte Tradition der Beschäftigung mit griechischer Epigraphik, vor allem jener in Kleinasien – mein Spezialgebiet." So ist es sicher auch kein Zufall, dass Corsten fast zeitgleich mit seiner Berufung Mitglied der Kleinasiatischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde.

Auch von den Studierenden der Universität Wien ist er begeistert, denn: "Wer meine Seminare besuchen will, muss Griechisch können. Das ist in der Regel selten, aber hier gibt es überraschend viele, die sogar griechische Inschriften verstehen."

Corsten, der bis jetzt Forschungsstellen innehatte, macht die Lehre großen Spaß, obwohl die Vorbereitungen dazu viel Zeit in Anspruch nehmen. Dazu greift der Althistoriker, der sich in seiner Habilitation mit antikem Föderalismus auseinandergesetzt hat, auch gerne eigene Forschungsthemen auf – etwa die Frage, ob die griechische Region Epirus, bekannt durch König Pyrrhus, ein Königreich auf Stammesbasis oder ein "monarchischer Bundesstaat" war.

Kibyra: Wer hat die antike Stadt wirklich gegründet?

Seit gut 15 Jahren erforscht der Wissenschafter die antike Stadt Kibyra, die in der heutigen Provinz Burdur in der Nähe von Gölhisar in der Türkei liegt. "Kibyra ist deshalb so interessant, weil dort gleich mehrere Kulturen aufeinandertrafen: die Lykier, die Karer, die Phryger, die Pisider und die Lyder – aber auch die Griechen und später die Römer mischten kräftig mit", so Corsten.

Griechische Schriftsteller berichteten davon, dass die Stadt von den Pisidern gegründet wurde. Dieses Bergvolk, das sich vorwiegend im schwer zugänglichen Taurusgebiet aufhielt, breitete sich im 3. Jahrhundert v. Chr. nach Westen aus. "Das erstaunliche daran ist, dass diese Stadt innerhalb weniger Jahre nach ihrer Gründung wie eine griechische Polis funktionierte, denn es gibt Hinweise darauf, dass es eine Volksversammlung, einen Rat und zum Beispiel auch griechische Beamtentitel gegeben hat", so Corsten.

Sind die als barbarisch verrufenen Pisider bei der Stadtgründung nun also nach griechischem Muster vorgegangen, oder haben die Griechen nach kurzer Zeit die Stadt übernommen? Die Quellenlage aus vorrömischer Zeit ist aufgrund der Schriftlosigkeit der Pisider und eines Erdbebens, das die Stadt der hellenistischen Zeit zerstört hatte, extrem dürftig und gibt keine Antworten darauf. Erst aus der Zeit der römischen Herrschaft sind in der Stadt selbst und in der näheren Umgebung an die 600 Inschriften überliefert. Die genaue Entstehungsgeschichte von Kibyra liegt nach wie vor im Dunkeln. Corsten versucht, sie mit Analysen der Textzeugnisse und der archäologischen Hinterlassenschaft zunehmend zu beleuchten. "Fest steht, dass die Gegend um Kibyra eine kulturelle Scheide war", sagt er.

Textzeugnisse aus der römischen Kaiserzeit

Warum sich ein Spezialist für griechische Epigraphik mit Textzeugnissen aus der römischen Kaiserzeit beschäftigt, ist Thema von Corstens Antrittsvorlesung. So viel verrät er schon jetzt: "Die Verbreitung des Griechentums im Osten ist durch die Ausdehnung der römischen Herrschaft erst so richtig in Schwung gekommen. Die Römer haben dort zwar die politische Herrschaft übernommen, nicht aber die kulturelle. Denn so, wie der römische Staat ja auch (unbewusst) die Verbreitung des Christentums gefördert hat, trug seine effiziente Verwaltung zur Etablierung der griechischen Sprache und Kultur im Osten bei."

Geisteswissenschaften in Gefahr

Sorgen bereitet Thomas Corsten die derzeitige Forschungspolitik. Ein Problem unter vielen ist seiner Meinung nach, dass die Verantwortlichen zu sehr auf die Naturwissenschaften fixiert seien, was den "Tod der Geisteswissenschaften" zur Folge haben könne. Der Historiker meint dazu u.a.: "Dass Drittmittel wichtig sind, bestreitet niemand, aber die Höhe der Drittmitteleinwerbung darf nicht das einzige Kriterium für erfolgreiche wissenschaftliche Forschung sein." (vs)

Die gemeinsame Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Thomas Corsten, stv. Vorstand des Instituts für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, und Univ.-Prof. Dr. Fritz Mitthof, Vorstand des Instituts für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, findet am Donnerstag, 3. März 2011 um 17 Uhr im Großen Festsaal statt.