Larisa Schippel: Translation als interkultureller Wissenstransfer

In der modernen Internetgesellschaft kommt der Translation eine wachsende Bedeutung zu: Im globalen Dorf übernimmt sie eine wichtige Schlüsselfunktion bei der Vermittlung von Wissen, Werten und Welten. Doch wie funktioniert dieser transkulturelle Transfer und welche Rolle spielt der/die ÜbersetzerIn dabei? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum der Antrittsvorlesung von Larisa Schippel, seit Oktober 2010 Professorin für Transkulturelle Kommunikation und neue Leiterin des Zentrums für Translationswissenschaft (ZTW), die am Dienstag, 4. Oktober 2011, im Rahmen des Hieronymus-Tags 2011 stattfand.

"Die meisten Menschen glauben, dass die Globalisierung dazu geführt hat, dass nur mehr wenige Sprachen – insbesondere Englisch – gebraucht werden. In Wirklichkeit haben Mehrsprachigkeit und der transkulturelle Austausch von Wissen in den letzten Jahren ungemein an Bedeutung gewonnen", erklärt Larisa Schippel. Dies zeigt sich auch an verschiedenen EU-Initiativen, die das Beherrschen mehrerer Sprachen als Voraussetzung für interkulturellen Dialog, kulturelle Vielfalt und damit für ein gelungenes Zusammenwachsen Europas begreifen und fördern.

Die Translationswissenschaft bekommt diese Entwicklung deutlich zu spüren. "Wir verzeichnen großen Zuwachs, was den Bedarf an Translationen unterschiedlichster Art betrifft", stellt Schippel fest. Für die mehreren tausend Studierenden, die derzeit in Wien dieses Fach belegt haben, hat das durchwegs positive Konsequenzen: "Die Berufsaussichten sind sehr gut. Die Translationsindustrie hat europaweite Zuwachsraten von sechs bis sieben Prozent – das schafft aktuell kein anderer Wirtschaftszweig. Eine Voraussetzung für den Erfolg ist allerdings, dass man nicht am 'heimischen Herd' klebt, sondern die Welt als Arbeitsplatz begreift."

Faible für Übersetzungsgeschichte

Schippel selbst bezeichnet sich in erster Linie als Übersetzungswissenschafterin, wobei der Aktionsradius im Laufe der Beschäftigung mit dem eigenen Fach immer breiter wird. "Meine persönliche 'Lieblingsspielwiese' sind all jene Bereiche, die sich mit der Geschichte des Übersetzens beziehungsweise des Wissenstransfers beschäftigen", fasst sie zusammen. Weiters forscht sie zur Medialität der Kommunikation, Translations- und Diskursanalyse, Mündlichkeitstheorie sowie Kulturgeschichte (romanistisch und slawistisch).

Der gegenwärtige inhaltliche Fokus der Diplom-Sprachmittlerin für Russisch und Rumänisch liegt aber eindeutig auf dem transkulturellen Wissenstransfer: "Die Kernfragen lauten: Wie wird Wissen aus einem Kulturraum in einen anderen transferiert und wie verändert es sich dabei? Ich interessiere mich aber vor allem für die Rolle, die ÜbersetzerInnen bei diesem Prozess spielen." Auf diese und ähnliche Aspekte ging sie auch in ihrer Antrittsvorlesung ein: "Ich habe versucht, den Begriff 'transkulturelle Kommunikation' zu erläutern und meine eigene Interpretation dazu vorzustellen."

Vielseitige Zielsetzungen

Die Antrittsvorlesung nutzte Schippel gleichzeitig dazu, um sich und ihre spezifischen Ziele vor KollegInnen zu präsentieren. "Mein wichtigstes Anliegen ist es, die öffentliche Wahrnehmung der Translationswissenschaft zu steigern", so die designierte Zentrumsleiterin. Als eine der ersten Maßnahmen in diesem Zusammenhang veranstaltete das ZTW am 4. Oktober den sogenannten Hieronymus-Tag 2011.

Daneben hat sich Larisa Schippel, deren akademische Laufbahn sie bislang unter anderem nach Berlin, Bukarest, Leipzig, Jena, Graz und Magdeburg geführt hat, zudem der Verbesserung der allgemeinen Studiensituation verschrieben. "Ich habe mich gleich nach meiner Ankunft in Wien mit der Studierendenvertretung getroffen, um meine Vorstellungen von einer gemeinsamen Lehre zu diskutieren. Hier halte ich es mit dem alten Humboldt'schen Leitsatz, dass eine Universität eine Korporation von Lehrenden und Studierenden sein soll", betont Schippel, der zufolge StudentInnen schon so früh wie möglich an das spätere praktische Aufgabenfeld herangeführt werden sollten. "Wir müssen dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Fähigkeit vermitteln, kritisch zu reflektieren, was ihm in der Praxis begegnet."

In Wien gelandet

Dass Schippel nun die Leitung des ZTW antritt, das sie als "international sehr renommierte und hoch geschätzte Forschungseinrichtung" beschreibt, gibt ihr die Möglichkeit, ihre bisherige Arbeit in einem deutlich größeren Umfang fortzusetzen. Dabei war es anfangs gar nicht so sicher, dass die Translationswissenschafterin in Wien landen wird. "Ich habe zur gleichen Zeit zwei Rufe – einen aus Graz und einen aus Wien – erhalten und mich dann schlussendlich für die Bundeshauptstadt entschieden", beschreibt sie die näheren Umstände.

Ausschlaggebend für diese Entscheidung sei nicht nur das fachliche Renommee des ZTW, sondern auch die Neugier auf Wien gewesen. "Ich fühle mich hier ungeheuer wohl", freut sich Schippel, die sich neben dem reichhaltigen Kulturangebot auch von der Qualität österreichischer Weine begeistert zeigt. Dass die zweifache Mutter, die ausgiebiges Spazierengehen, Lesen und gutes Essen zu ihren Hobbies zählt, jetzt fast alle zwei Wochen zwischen ihrem Mann in Berlin und dem Arbeitsplatz in Wien hin- und herpendelt, sei kein Problem: "Ich reise sehr gerne und freue mich auf die neuen Aufgaben, die mich in Wien erwarten." (ms)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Larisa Schippel, Professorin für Transkulturelle Kommunikation am Zentrum für Translationswissenschaft, zum Thema "Zwischen Konsens und Entgrenzung: Zur Transkulturalität des kommunikativen Handelns" fiand am Dienstag, 4. Oktober 2011, um 18 Uhr im Rahmen des "Hieronymus-Tages" im Hörsaal 5 des Zentrums für Translationswissenschaft der Universität Wien statt.