Kurt Appel: Mit Gott am Stammtisch

Mit Kurt Appel kann man im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt reden. Die Gottesfrage beschäftigt den Professor für Theologische Grundlagenforschung (Fundamentaltheologie) seit seinem Studium der Theologie, Philosophie, Geschichte und Germanistik an der Universität Wien.

Der Stammtisch war für Kurt Appels Ausbildung mindestens ebenso wichtig wie der Hörsaal: Im Wirtshaus "Salzturm" hat er nächtelang mit einem engen Freund, einem theoretischen Physiker, über die Existenz Gottes diskutiert. Dabei kamen die beiden jungen Nachwuchswissenschafter mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch, oft Nachtschwärmer und Sinnsuchende wie sie selbst. Eines der Hauptthemen dieser Wirtshausdebatten war die Frage: "Was ist Zeit?"

Aspekte von Zeit

"Ich habe zehn Jahre lang studiert und so viel Wissen wie nur möglich aus den verschiedensten Bereichen aufgesogen – ein Privileg, das den jungen Leuten heute zu meinem großen Bedauern nur mehr selten zur Verfügung steht, da Lehrpläne und politische Rahmenbedingungen immer weniger Spielräume lassen", so der 43-Jährige. Zeit hatten die Studierenden seinerzeit also reichlich, Geld wiederum war knapp, darum jobbte der junge Kurt Appel neben dem Studium als Fließbandarbeiter – und auch hier offenbarten sich ihm verschiedene Aspekte des Wesens von Zeit: "Das Fließband gibt einem das Tempo vor. Es gibt keine individuelle Zeit mehr, über die man selbst verfügen kann."

Aber noch zwei weitere Erfahrungen haben den Theologen und seinen heutigen Zugang zu Forschung und Lehre sehr geprägt: zum einen seine Studien- und Forschungsaufenthalte in Mailand und Bologna – "wo ich von den Italienern wieder eine andere Art des Umgangs mit Zeit kennengelernt und viel über die Muße nachgedacht habe" – und zum anderen die Teilnahme an Lesekreisen: "Für mich ist die starke Gemeinschaft zwischen Studierenden und Lehrenden der eigentliche Kern einer Universität, und die Arbeit am Text – das gemeinsame Lesen, Interpretieren und Diskutieren – wiederum der Kern jedes geisteswissenschaftlichen Studiums."


Recht häufig ist Kurt Appel in Italien, wo er u.a. als Gastprofessor in Mailand tätig ist. Am liebsten mag er aber die Städte Trient, Triest und Udine, wo noch ein Hauch Altösterreichs zu spüren sei. (Im Bild: Kurt Appel in der Pinacoteca di Brera, einem berühmten Museum für antike und moderne Kunst in Mailand, Foto: privat).



Aktuelle Fragen des Christentums

Neben der Gottesfrage und dem christlichen Zeitverständnis forscht der Professor für Theologische Grundlagenforschung (Fundamentaltheologie) vor allem zu Geschichtsphilosophie, Hegel, Theologie als Gesellschaftskritik und zum Neuen Humanismus. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist das Thema Christentum und Europa. Hierzu leitet er die Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary European Society", die sich interdisziplinär und fakultätsübergreifend mit dem Thema Religion und Pluralismus im Kontext gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in Europa auseinandersetzt.

Neben der Vorbereitung der Abschlusskonferenz der Forschungsplattform, die für 20. bis 23. Februar 2013 geplant ist, arbeitet Kurt Appel zur Zeit an einem Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes, einer Einführung in das Christentum sowie einem Buch zur Frage nach Zeit und Sterblichkeit.

Forschung und Lehre verknüpfen

Besonders bereichernd findet er neben Seminaren und Lesekreisen die Arbeit mit den insgesamt 20 DissertantInnen, die er zurzeit betreut: "Sie sind sehr motiviert und unterstützen sich gegenseitig – das entlastet auch mich: Ich kann mich bei den spannenden Diskussionen oft zurücklehnen und einfach zuhören", freut sich Appel. Er war mehrere Jahre lang Vizestudienprogrammleiter und Vizedekan der Katholisch-Theologischen Fakultät und betont nochmals, dass er die Lehre und den Austausch mit den Studierenden als wichtigsten Teil der universitären Arbeit ansieht. "Es wird heute zu viel Gewicht auf die Publikationstätigkeit gelegt", sagt er, "ein Großteil der Veröffentlichungen wäre eigentlich überflüssig, oder mit einem guten, ausführlichen Artikel erledigt, aber das System zwingt viele WissenschafterInnen dazu, wie am Fließband häppchenweise für ihre Publikationslisten zu produzieren." An der Universität Wien herrsche hierbei zum Glück eine vergleichsweise vernünftige Politik: "Rektor Engl und Vizerektorin Weigelin-Schwiedrzik messen der forschungsgeleiteten Lehre hohe Bedeutung bei."

Tun und Nichtstun

Auf die Frage, welchen Ausgleich er zur Arbeit betreibe, lacht Kurt Appel: "Einen Ausgleich braucht nur, wer nicht ausgeglichen ist." Er selbst widme sich mit Vorliebe der Kunst der Muße – "überhaupt ist die Muße der wichtigste Aspekt von Zeit!"


Die Facoltà Teologica dell'Italia Settentrionale in Mailand, an der Kurt Appel eine Gastprofessur innehat, ist in einem ehemaligen Kloster untergebracht. (Foto: Kurt Appel)



Von seiner wissenschaftlichen und philosophisch-theologischen Annäherung an das Thema Zeit hat er gelernt, sich nicht an Momente zu klammern und Zeit als Geschenk anzunehmen. "Beim jüngsten Gericht wird Gott wohl als erstes fragen: Was hast du mit deiner Zeit gemacht?", schließt er schmunzelnd unser Gespräch, und kommt darum auch ohne schlechtes Gewissen ein bisschen zu spät zur Institutskonferenz. (br)

Univ.-Prof. MMMag. DDr. Kurt Appel hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "Christentum als Projekt eines Neuen Humanismus: Theologisch-Geschichtsphilosophische Erwägungen" am Donnerstag, 21. Juni 2012, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien.