Christos Likos: Die Physik der weichen Materie

Ob bei Zahnpasta, Anstrichfarben oder Kraftstoffzusätzen – wissenschaftliche Erkenntnisse zur sogenannten "weichen Materie" sind in der Industrie sehr gefragt. Der renommierte Physiker Christos Likos ist einer der weltweit führenden Forscher auf diesem Gebiet. Seit Juni 2010 bereichert er als Professor für Multiscale Computational Physics die Fakultät für Physik. Am Donnerstag, 31. März 2011, hält er seine Antrittsvorlesung "Bridging the scales of length and time in soft matter systems", in der er einen spannenden Einblick in sein noch relativ junges Forschungsgebiet gibt.

"Eigentlich habe ich ja Elektrotechnik studiert", beschreibt Christos Likos die Ursprünge seines akademischen Werdegangs. Dass der gebürtige Grieche seinen persönlichen Schwerpunkt schon bald in Richtung Physik verlagert hat, sei einem hervorragenden Lehrenden an der Nationalen Technischen Hochschule in Athen zu verdanken: "Dieser Professor hat mir die Liebe zum Fach nähergebracht. Durch ihn hat sich mir eine völlig neue Welt eröffnet."

Faszination Physik

Seitdem hat ihn die Begeisterung für die Physik nicht mehr losgelassen: "Es ist faszinierend, dass sich die Realität, die Gesetzmäßigkeiten der Natur – beziehungsweise das, was wir mit eigenen Augen sehen können – auch mithilfe mathematischer Formeln beschreiben lassen." Letzteres gelingt den WissenschafterInnen immer besser – um die entsprechenden Gleichungen lösen zu können, sind sie jedoch verstärkt auf die Unterstützung von Computern angewiesen.

"Genau deshalb wurde im Jahr 2007 die Arbeitsgruppe Computergestützte Physik gegründet, die sich aus mehreren ForscherInnen-Teams zusammensetzt", meint Likos. Trotz der jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen haben die verschiedenen Gruppen eines gemeinsam: Sie verstehen sich als eine Art Hybrid-Disziplin zwischen theoretischer und computergestützter Physik, die nicht bloß auf abstrakte mathematische Modelle setzt, sondern ihre Forschungsergebnisse auch stets mit praktischen Experimenten vergleicht.

In der Welt der weichen Materie

Im Fall von Christos Likos liegt der Fokus vor allem auf der Theorie und Simulation der sogenannten weichen kondensierten Materie – darunter werden in der Physik Stoffe verstanden, die sich nur bedingt einem der Aggregatzustände fest oder flüssig zuordnen lassen und sehr leicht verformbar sind. "Wir wollen herausfinden, wie diese weichen Materialien auf äußere Kräfte – wie Druck oder beim Fließen wirkende Scherkräfte, die in die entgegengesetzte Richtung auf einen Gegenstand wirken – reagieren", bringt Likos sein Forschungsinteresse auf den Punkt.

Die Grundlagenforschung, die der Physiker mit seinem Team betreibt, besitzt ein breites Anwendungspotenzial. Ob bei Zahnpasta, Seifen, Anstrichfarben, Kraftstoffzusätzen oder Gummimischungen für Reifen – überall werden die theoretischen Erkenntnisse der WissenschafterInnen in der Praxis eingesetzt. "Insbesondere die Lebensmittel- und die Kosmetikindustrie sind an unseren Ergebnissen interessiert. Doch auch wenn wir praktische Anwendungen immer als Motivation im Kopf behalten, sind sie nicht das direkte Ziel unserer Forschung. Uns geht es um das reine Verständnis der Zusammenhänge", betont Likos.

EU-Projekt "Comploids"

Um das allgemeine Verständnis geht es dem Physiker auch im Rahmen des EU-Projekts "Comploids", bei dem er ein Forschungsnetzwerk von insgesamt zwölf internationalen Partnern aus acht verschiedenen Ländern koordiniert. Das Projekt, das noch bis 1. November 2013 läuft, befasst sich mit der weichen Materie von sogenannten "kolloidalen Teilchen" – das sind Teilchen mit einer typischen Größe von einem Millionstel Meter. "Wir wollen das kollektive Verhalten dieser Teilchen verstehen. Was sind die physikalischen Prinzipien, die die Organisation, Struktur und Dynamik dieser Systeme beschreiben? Wie ändert sich deren Struktur, wenn die äußeren Bedingungen verändert werden?", erläutert er.

Die Liebe zum Fach vermitteln

Doch nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre hat sich der Ehemann und Vater einer vierjährigen Tochter, der Literatur, Zeitunglesen, Musik hören, Schwimmen und Spazierengehen zu seinen Hobbies zählt, ehrgeizige Ziele gesetzt: "Ich möchte Physik ehrlich und kompromisslos vermitteln und eine gewisse Lehrkultur etablieren, die sich nicht nur mit mathematischem Formalismus begnügt. Inspiriert von dem Vorbild meines Mentors in Athen versuche ich, meine Begeisterung und Liebe zum Fach auch an die StudentInnen weiterzugeben."

Studierende, die eine Lehrveranstaltung von Christos Likos besuchen, erwartet zudem eine sehr lebendige Auseinandersetzung mit physikalischen Fragestellungen. "Ich bemühe mich, die StudentInnen sehr stark einzubeziehen. Hin und wieder mache ich sogar absichtlich Fehler, die zu einem offensichtlichen Widerspruch führen. Ich hoffe, dass das die KollegInnen dann motiviert, sich selbst mit der Materie auseinanderzusetzen, um herauszufinden, was schiefgegangen ist", schließt der neue Professor. (ms)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Christos Likos, Professor für Multiscale Computational Physics an der Fakultät für Physik, zum Thema "Bridging the scales of length and time in soft matter systems" findet am Donnerstag, 31. März 2011 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.