Wittgenstein-Preis 2019

Die "Dunkle Materie" der Mikroben

17. Juni 2019 von Marion Wittfeld
Mit dem Wittgenstein-Preis 2019 möchte Mikrobiologe Michael Wagner das neu gegründete Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemforschung der Uni Wien als weltweit führenden Forschungsstandort ausbauen und durch die Entwicklung neuer Methoden die Mikrobiomforschung revolutionieren.

Michael Wagner zählt zu den weltweit führenden Forschern in der Mikrobiellen Ökologie und Mikrobiom-Analyse. Diese Teilgebiete der Mikrobiologie beschäftigen sich mit der Untersuchung der Zusammensetzung und Funktion von Mikroorganismengemeinschaften in Umwelt und Medizin, ohne die kein Leben auf der Erde möglich wäre. Ihre Vielfalt ist immens und übersteigt bei weitem jene aller anderen Lebewesen. Allerdings können bis heute die meisten Mikroben nicht im Labor angezüchtet und mit konventionellen Verfahren der Mikrobiologie untersucht werden.

Neue Methoden der Mikrobiomforschung

Michael Wagner hat in den vergangenen 25 Jahren mit seinem Team Methoden entwickelt, die es erstmals erlauben, diese "Dunkle Materie" der Mikroben direkt in medizinischen oder Umweltproben zu untersuchen. "Dabei werden die Mikroben ohne vorhergehende Anzucht direkt in der zu untersuchenden Probe identifiziert – mit fluoreszenzmarkierten Gensonden. Gleichzeitig werden ihre Funktionen durch modernste Methoden der chemischen Bildgebung wie NanoSIMS und Ramanmikrospektroskopie analysiert", erklärt Michael Wagner.

Der Forscher hat wesentlich zum Aufbau dieses neuen Felds der Mikrobiologie beigetragen: Die von ihm entwickelten Methoden werden inzwischen weltweit zur Analyse von Mikrobiomen (die Gesamtheit der Mikroben, die ein bestimmtes Ökosystem oder den Menschen besiedeln) eingesetzt.

Michael Wagner, Mikrobiologe und Zentrumsleiter an der Uni Wien, erhält einen "Austro-Nobelpreis": den mit 1,5 Mio. Euro dotierten Wittgenstein-Preis des FWF. Der Preis garantiert ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität für international herausragende Forschungsleistungen.

Lachgasentwicklung durch Mikroorganismen

Die aktuellen Forschungsarbeiten von Michael Wagner konzentrieren sich auf Mikroben, die wesentliche Funktionen im globalen Stickstoffkreislauf ausführen. Die Hälfte der Menschheit kann nur durch den Einsatz von industriell hergestelltem Stickstoffdünger ernährt werden. Aufgrund der Aktivität bestimmter Gruppen von Mikroorganismen – der sogenannten Nitrifikanten – in landwirtschaftlich genützten Böden wird jedoch ein Großteil des Düngers nicht von den Pflanzen aufgenommen, sondern gelangt in das Grundwasser, die Flüsse und Meere.

Dort bewirkt der überschüssige Stickstoff die Eutrophierung (das "Umkippen") von Gewässern, mit dramatischen Folgen wie dem Absterben vieler Wasserlebewesen. Bei der Umsetzung des Stickstoffs aus Düngemitteln durch Mikroorganismen wird darüber hinaus als Nebenprodukt Lachgas (Distickstoffmonoxid) freigesetzt, das in die Atmosphäre entweicht und wesentlich zur Ozonzerstörung und globalen Erwärmung beiträgt.

"Dies geschieht nicht nur in gedüngten Böden insbesondere nach Niederschlägen, sondern auch in Kläranlagen, wo die Nitrifikation eine zentrale Rolle für die biologische Abwasserreinigung spielt", erklärt der Wittgenstein-Preisträger: "Selbst diese für unser sauberes Wasser so wichtigen Anlagen tragen somit zu den weltweiten Lachgas-Emissionen bei."

Portraits von Philipp Ther und José Luis Romero
2019 wurden zwei Wittgenstein-Preise durch den FWF vergeben; beide gingen an die Universität Wien: Neben Michael Wagner erhält der Osteuropa-Forscher Philipp Ther (© Barbara Mair/Universität Wien) diese mit 1,5 Mio. Euro Preisgeld höchste wissenschaftliche Auszeichnung Österreichs. Einen START-Preis erhielt José Luis Romero vom Institut für Mathematik. © Barbara Mair

Weniger Treibhausgase mit "Comammox"-Bakterien

Michael Wagner und sein Team haben mit ihren molekularbiologischen und materialwissenschaftlichen Methoden eine Reihe neuartiger Nitrifikanten identifiziert und völlig unerwartete funktionelle Eigenschaften dieser Organismengruppe beschrieben. So gelang ihnen 2015 die erstmalige Beschreibung und Isolierung der sogenannten Comammox-Bakterien. Das sind völlig neuartige Nitrifikanten, die fundamental unterschiedliche Stoffwechseleigenschaften aufweisen und z.B. wesentlich weniger Lachgas als viele andere Nitrifikanten erzeugen.

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Zell-Aggregats von Comammox-Bakterien der Art Nitrospira inopinata
Zurzeit untersucht Michael Wagner, Co-Investigator der interdisziplinären Forschungsplattform "The Comammox Research Platform" an der Uni Wien, wie mikrobielle Lebensgemeinschaften in Böden oder Kläranlagen dahingehend manipuliert werden können, das Wachstum von Comammox-Bakterien zu fördern. (Foto: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Zell-Aggregats von Comammox-Bakterien der Art Nitrospira inopinata) © A. Daebeler/S. Romano

Wittgenstein-Preis: Mikrobiomforschung revolutionieren

Die Förderung durch den Wittgenstein-Preis wird es Michael Wagner erlauben, das 2019 an der Universität Wien neu gegründete Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemforschung als weltweit führenden Forschungsstandort in diesem Bereich auszubauen. Mit den Mitteln des Wittgenstein-Preises plant er eine neue Generation an Methoden zur funktionellen Analyse von Mikrobiomen zu entwickeln und dabei die sogenannte nichtlineare Ramanspektroskopie (CARS, SRS) einzusetzen. "Falls dies gelingt, würde die Analyse der Funktion einzelner Zellen in Mikrobiomen nicht mehr Stunden bis Tage benötigen, sondern könnte nahezu in Echtzeit durchgeführt werden und würde damit die Mikrobiomforschung revolutionieren", so der Mikrobiologe.

Ziel ist es, diese Verfahren schließlich in einen Mikrofluidik-basierten "Zellsorter" einzubauen und mittels "Hochdurchsatz" bestimmte lebende Mikroben gezielt aus komplexen Proben für die Anzucht oder genomische Analyse "herauszusortieren". Mit Hilfe dieser Verfahren können beispielsweise völlig neuartige, an der Nitrifikation beteiligte Archaeen (eine spezielle Entwicklungslinie der Mikroben) in der Umwelt aufgespürt werden. "Wenn diese bislang nur theoretisch postulierten Mikroben tatsächlich existieren, würde dies erneut unser Verständnis des globalen Stickstoffkreislaufs transformieren und weitere, bislang versteckte Schlüsselakteure dieses wichtigen Stoffkreislaufs offenbaren", so der Wittgenstein-Preisträger. (FWF/mw)

© Ludwig Schedl
© Ludwig Schedl
Michael Wagner ist mehrfach ausgezeichneter Professor für mikrobielle Ökologie (darunter ERC-, Schrödinger- und Wittgenstein-Preis) und stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien, dem er als Gründungsdirektor vorstand.

Geboren 1965 in München, studierte und promovierte er an der TU München und arbeitete anschließend als Postdoc an der Northwestern University, Evanston, USA. Danach kehrte er an die TU München zurück, wo er sich 2000 habilitierte und bis 2002 die Arbeitsgruppe "Mikrobielle Ökologie" leitete. Seit 2003 ist er Professor an der Universität Wien. Auf Twitter ist er unter @MichiWagner4 zu finden.