Initiativkolleg: Mit Computern die Welt verstehen

Die Computertechnologie entwickelt sich stetig weiter. Das eröffnet der Wissenschaft neue Möglichkeiten. Im Initiativkolleg "Computational Science" nutzen acht DoktorandInnen der Universität Wien die Leistungsfähigkeit modernster Computer, um neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften zu gewinnen.

Computational Science ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet der Biologie, Chemie, Physik, angewandten Mathematik und Informatik. Im Mittelpunkt steht der Computer, der eingesetzt wird, um ein Problem numerisch zu lösen oder einen Prozess numerisch zu simulieren. Das Ziel des 2011 an der Universität Wien gestarteten Initiativkollegs (IK) ist es, die Berechnungsgeschwindigkeit und Qualität der Lösungen durch neueste algorithmische Techniken zu steigern.

Für IK-Sprecherin Monika Henzinger ist die computergestützte Forschung ein praktisches Werkzeug: "Die Naturwissenschaften profitieren von der Informatik und umgekehrt. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse beeinflussen unser Weltverständnis. Das ist das Spannende: Wir nutzen Computer, um die Welt besser zu verstehen." Programmmieren zu können ist daher die Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Initiativkolleg. "Überwiegend eignen sich für die Computational Sciences NaturwissenschafterInnen entsprechende Informatikkenntnisse an", erzählt Monika Henzinger: "Der umgekehrte Weg kommt eher selten vor."


"When it comes to the real life problems the computational aspects go along with the modeling of complex biological and ecological questions.
And what I find advantageous about IK while dealing with such study cases is that it unites experts from broad fields of computational science which helps to see the problem from different perspectives."
Kollegiatin Olga Chernomor forscht zu "Algorithms and Phylogenetic diversity, Conservation prioritization, Comparative genomics" unter der Betreuung von Arndt von Haeseler und Monika Henzinger.



Fachübergreifende Betreuung


In dem dreijährigen Initiativkolleg forschen acht internationale DoktorandInnen aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen. "Unsere DissertantInnen werden in dem Kolleg fachübergreifend betreut. Jede bzw. jeder hat zwei BetreuerInnen aus zwei verschiedenen Disziplinen", erläutert Informatikerin Monika Henzinger. Neben ihr betreuen Physiker Christoph Dellago, Chemiker Ivo Hofacker, Bioinformatiker Arndt von Haeseler und Mathematiker Otmar Scherzer die KollegiatInnen.

Genetische Artenvielfalt


Die Kollegiatin und gebürtige Ukrainerin Olga Chernomor arbeitet beispielsweise an Algorithmen zur Naturschutzbiologie. Beim Artenschutz geht es darum, eine möglichst hohe genetische Vielfalt zu erhalten. Hier kommen Wahrscheinlichkeiten und Abhängigkeiten ins Spiel: Wie hoch ist die Überlebenschance bestimmter Tierarten ohne Artenschutz? Welche Beutetiere müssen ebenfalls geschützt werden? Die Einbeziehung aller Bedingungen bei der Berechnung stellt die Biologie vor ein schwieriges Optimierungsproblem – das Problem ist "NP-hard": "Ein Problem wird in der Informatik als NP-hard bezeichnet, wenn kein bekannter polynomialer Algorithmus vorhanden ist. Vereinfacht gesprochen heißt das, die Berechnung würde Jahre dauern", erklärt ihre Betreuerin Monika Henzinger und fährt fort: "Da derzeit kein entsprechender Polynomialzeit-Algorithmus gefunden werden kann, ist das Ziel des Projekts, an die optimale Lösung, d.h. die optimale genetische Vielfalt, möglichst nah heranzukommen."


"Die Arbeit im IK bedeutet für mich vor allem, mit WissenschafterInnen aus anderen Gebieten zusammenzuarbeiten und von ihnen etwas lernen zu können, und vielleicht können ja sogar andere auch von meinem physikalischen Hintergrund profitieren. Ganz konkret bedeutet das im Moment vor allem, dass wir Methoden aus der Informatik auf physikalische Fragestellungen anwenden." Kollegiat Christian Leitold forscht unter der Betreuung von Christoph Dellago und Monika Henzinger zu "Nucleation and growth of cluster crystals".



Zustandsveränderungen von Materie

Einer anderen Fragestellung geht Christian Leitold nach, der sich in seinem IK-Projekt mit Materie, die sogenannte Cluster-Kristalle formen kann, beschäftigt. Computersimulationen helfen ihm dabei, u.a. die Entstehung von den Cluster-Kristallen aus einer Flüssigkeit heraus zu untersuchen. "Zur Analyse von Simulationsergebnissen erprobe ich in diesem Zusammenhang auch die Anwendung von Machine Learning-Algorithmen. Dabei geht es zunächst einmal darum, eine 'Lernmaschine', also ein speziell für diese Aufgabe optimiertes Computerprogramm, mit Beispielen von Systemkonfigurationen mit bekannten Werten von bestimmten physikalischen Werten zu füttern", erläutert der Nachwuchsphysiker, und verdeutlicht den Zeitgewinn durch die computergestützte Arbeit: "Typischerweise handelt es sich dabei um Werte, deren Berechnung numerisch sehr aufwändig ist. Das Computerprogramm kann nun die 'gelernten' Werte für neue Konfigurationen vorhersagen, ohne für diese eine aufwändige Rechnung starten zu müssen."

Voneinander lernen

Insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird von den IK- KollegiatInnen und BetreuerInnen positiv hervorgehoben. Die Gründe dafür bringt Monika Henzinger auf den Punkt: "Dadurch ergeben sich nicht nur neue Kontakte, sondern auch neue Fragestellungen. Das Ziel ist es, voneinander zu lernen." (mw)

Das Initiativkolleg "Computational Science" läuft seit dem 1. 7. 2011  und ist für drei Jahre angesetzt. Neben der Sprecherin Univ.-Prof. Dr. Monika Henzinger, Leiterin der Forschungsgruppe Theory and Applications of Algorithms, besteht das IK aus Univ.-Prof. Mag. Dr. Christoph Dellago, Gruppensprecher der Computergestützten Physik, Univ.-Prof. Dipl.-Phys. Dr. Ivo Hofacker, Vorstand des Instituts für Theoretische Chemie, Univ.-Prof. Dr. Arndt von Haeseler, stv. Leiter der Forschungsgruppe Bioinformatics and Computational Biology und Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Otmar Scherzer, Leiter der Forschungsplattform Computational Science Center.