Biodiversität

Im Wohnzimmer der Ameise

5. August 2020 von Sarah Nägele
Ameisen erweisen sich in den Tropen als äußerst widerstandsfähige Insekten. Ihr Vorkommen übersteigt sogar das Nahrungsangebot. Das haben sie wohl einer besonderen Symbiose zu verdanken, dank der sie selbst Nährstoff-Recycling betreiben, weiß Biodiversitätsforscherin Veronika Mayer.

In den Baumkronen tropischer Regenwälder wimmelt es nur so von Ameisen: Sie stellen etwa die Hälfte der Biomasse der dort vorkommenden Insekten. Überhaupt findet man in den Tropen weltweit die höchste Ameisendichte. Erstaunlich ist, dass ihr Vorkommen in den Baumkronen das Nahrungsangebot übersteigt. In dieser nährstoffarmen Umgebung überleben Ameisen nur, weil sie in Symbiose mit Pflanzen existieren – aber nicht nur mit Pflanzen.

Dreiecksbeziehung zwischen Bäumen, Ameisen und Pilzen

Biodiversitätsforscherin der Uni Wien Veronika Mayer untersucht im Rahmen des FWF-Projekts "Nährstoff-Recycling in Pilzgärten baumlebender Ameisen" eine Dreiecksbeziehung zwischen Cecropia-Bäumen, Azteca-Ameisen und Schlauchpilzen. "Diese Pilze sind wirklich abgefahren", erzählt Mayer. Sie gehören zur Gruppe der "Schwarzen Hefen", über die nicht viel bekannt ist. Mayer: "Sie leben oft in extremen Wetter- und Umweltbedingungen, zum Beispiel in der Antarktis, in Kühlschränken, in heißen Quellen oder eben in den Tropen."

Und auch menschliche Krankheitserreger gehören dieser Gruppe: "Es gibt pathogene Schwarze Hefen, die schlimme Ekzeme auf der Haut hervorbringen und in den Tropen recht verbreitet sind", so Mayer vom  Department für Botanik und Biodiversitätsforschung. Ameisen scheinen die einzigen Organismen zu sein, die diese Gruppe der Schlauchpilze kontrollieren können.

Foto von mehreren Azteca-Ameisen
Auf dem Bild sind Azteca-Ameisen zu sehen, die sich um ihre Brut kümmern. In der Mitte befindet sich ein Pilzpatch. © Veronika Mayer

Pilzgärten für Nährstoffrecycling

Die Azteca-Ameisen selbst nutzen die hohlen Stämme der Cecropia als Wohnraum. Die Pflanzen bieten den Untermietern dazu noch spezielle Futterkörperchen als Nahrung an. Als Gegenleistung schützen sie die Pflanze vor feindlichen Insekten auf Nahrungssuche. Wenn beispielsweise ein Schmetterling seine Eier auf den Blättern ablegt und eine Raupe schlüpft, rücken die Ameisen als kleine "Privatarmee" an und attackieren den Eindringling, töten ihn oder werfen diesen von der Pflanze.

Wenn die recht wehrhaften Ameisen die Cecropia erstmals besiedeln, nagt die Königin einen "Eingang" durch eine kleine, dünnwandige Perforationsstelle in den Stamm. Danach verschließt sie dieses Loch von innen, kratzt Wandmaterial der Pflanze ab und bildet daraus ein kleines Häufchen, auf dem sie einen Cocktail aus Bakterien, Pilzen und Nematoden, also Fadenwürmern ablegt. Die Zutaten dieses Cocktails hat sie selbst mitgebracht. Die Pilze wachsen dann in den abgegrenzten "Komposthäufchen", wie Mayer sie gerne nennt, und werden von den Ameisen gedüngt und gepflegt. Die Ameisen legen Pflanzenreste, organisches Material und ihre Toten auf den Komposthäufchen ab.

Bild der Pflanze Cecropia obtusifulia
Im Bild ist die Cecropia obtusifulia zu sehen. Die Ameisen leben im hohlen Stängel der Pflanze. © Veronika Mayer

Eine unerschöpfliche Speisekammer

Mayer und ihr Team vermuten, dass die Pilzhäufchen "Hotspots" für Umsetzung und Abbau organischer Biomasse sind und abgelegtes Material in kleinere, leicht aufnehmbare Nährstoffe zerlegen, sozusagen Nährstoffrecycling betreiben. Eine weitere These der Forscher*innen lautet, dass diese Nährstoffe als Biomasse in Form von Pilzen, Bakterien und Nematoden gespeichert werden und bei Nährstoffknappheit sehr wahrscheinlich gefressen werden.

Da immer neue Abfälle "kompostiert" werden, könnten die Pilzhäufchen mit ihrem Abfallrecycling eine Art unerschöpfliche Speisekammer darstellen, und das in einer nährstoffarmen Umgebung. "Dass Recycling stattfindet, ist recht klar, aber wir können noch nicht sicher sagen, ob die Pilze auch tatsächlich gefressen werden", so Mayer. Ziel des FWF-Projekts ist es nun, diese Abbauprozesse genau zu verstehen und die Thesen zu überprüfen.

Die Rolle der Pilze

Der erste Schritt dafür war, die Pilze zu kultivieren. In einem nächsten Schritt wurde eine Genomanalyse, ein Verfahren zur Analyse des Erbguts, durchgeführt. So wollten Mayer und ihr Team die Unterschiede zwischen freilebenden Schwarze Hefen und solchen, die in den Pilzhäufchen im Inneren der Pflanze leben, herauszufinden. "Da gibt es in der Tat einen riesigen Unterschied", erklärt die Biodiversitätsforscherin: "Die ameisenassoziierten Schwarze Hefen haben ein sehr reduziertes Erbgut." 

Dadurch weisen sie auch eine geringere Plastizität als freilebende Schwarze Hefen auf und ganze Enzymgruppen sind reduziert. "Konkret heißt das im Vergleich, dass die Pilze zum Beispiel keine Zellulose abbauen können", erzählt Mayer. In dieser Zellulose-dominierten Umgebung sei das erstaunlich. "Das bedeutet, sie sind wirklich auf eine Position in der Symbiose angewiesen und diese scheint schon sehr alt zu sein", ergänzt sie. 

Außerdem zeigte die Analyse, dass die Pilze Gene haben, die man von antibiotikaproduzierenden Organismen kennt. "Es stellt sich die Frage, ob die Pilze etwas absondern, das pathogene Bakterien oder Pilze in Schach hält", stellt Mayer fest. "Wahrscheinlich können diese Pilze ganz viel und haben einen großen Anteil daran, dass diese Symbiose zwischen Cecropia und Azteca so stabil ist." Das gelte es jetzt in den nächsten drei Jahren herauszufinden. Die Aufklärung der Funktion von Komposthäufchen könnte helfen zu verstehen, warum Ameisen in den Tropen einen dominanten Teil der Biomasse ausmachen. (sn)

© Sarah Nägele
© Sarah Nägele
Veronika Mayer ist Biologin und forscht in der Abteilung für Strukturelle und Funktionelle Botanik an der Fakultät für Lebenswissenschaften. Im Zentrum ihres Forschungsinteresses liegt die komplexe und dynamische Vernetzung von Pflanzen mit ihrer Umwelt.

Sie leitet das FWF-Projekt "Nährstoff-Recycling in Pilzgärten baumlebender Ameisen", das von 2019 bis 2023 läuft.