Flexible Prozesstechnologie für den Menschen

Alles Informatik! In der Forschung von Stefanie Rinderle-Ma, Leiterin der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology (WST) an der Universität Wien, steht der Mensch im Mittelpunkt.

Was haben Spitalsbetten, Korken und Züge gemeinsam? Sie alle sind Teil von Lebenswelten, die mithilfe von Computersystemen organisiert, reguliert bzw. adaptiert werden. Und damit gehören sie auch zum Forschungsspektrum der Gruppe Workflow Systems and Technology (WST) der Fakultät für Informatik. Die Redaktion von uni:view hat sich mit Gruppenleiterin Stefanie Rinderle-Ma und Teammitglied Sonja Kabicher-Fuchs auf einen Streifzug durch die verschiedenen Projekte der Forschungsgruppe begeben.


Um die drei Spezialgebiete Compliance, Intelligenz und Sicherheit gruppieren sich die Kernbereiche der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology (WST): flexible Workflow Systeme, computergestützte Workflows und deren serviceorientierte Gestaltung. WST ist eine Subeinheit der Fakultät für Informatik, deren Leitung seit 2010 Stefanie Rinderle-Ma obliegt.



Gleise verlegen – während der Zug fährt

"Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Zug. Keine große Sache – außer: die Bedingungen ändern sich während der Fahrt und man muss bei voller Reisegeschwindigkeit plötzlich die Gleise neu verlegen", erklärt Stefanie Rinderle-Ma die Herausforderungen des EU-Projekts "Adventure" (Adaptive Virtual ENTerprise manufacTURing Environment). Was nach Science Fiction klingt, ist für das Team vom WST ein spannendes Forschungsfeld: Sie konstruieren virtuelle Fabriken und "komponieren" Zuliefererketten neu. Ziel ist es, die Planung, Durchführung und Adaptierung von Produktionsprozessen zu optimieren – auch, wenn diese schon "auf Schiene sind". Rinderle-Ma sieht die Kernkompetenz der Forschungsgruppe WST darin, "Prozesse flexibel anzupassen", daher obliegt ihr die Leitung der technischen Prozessumsetzung sowie der flexiblen Prozessgestaltung.



Das EU-weite Clusterprojekt "Adventure" verfolgt das Ziel, Zuliefererketten in Produktionsprozessen computergestützt zu optimieren. WST forscht zur technischen Umsetzung und flexiblen Prozessgestaltung.
Das Gesamtprojekt wird mit drei Mio. Euro im 7. EU-Rahmenprogramm gefördert; die Forschungsgruppe WST der Universität Wien verfügt über 300.000 Euro aus diesem Topf.



Wirtschaftliche Partnerbörse

Das Interesse der Industrie am – von der EU im 7. Rahmenprogramm mit drei Mio. Euro budgetierten – Projekt ist immens, die Erwartungen sind hoch. "Das Programm soll es ermöglichen, Informationen zu bündeln, auszuwählen, zu verwalten und eine qualitative Bewertung vorzunehmen", so die Wissenschafterin: "Unsere Ergebnisse sollen es Unternehmen ermöglichen, auch während eines Produktionsprozesses Adaptierungen vorzunehmen. Möchte man etwa den CO2-Abdruck eines Unternehmens anpassen, könnte das Programm kalkulieren, mit welchen Kooperationspartnern und unter welchen Bedingungen eine Reduktion des CO2-Ausstoßes möglich ist. Es würde damit quasi als 'wirtschaftliche Partnerbörse' fungieren."

Im Aufbau: Sonifikations-Forschungslab ...

Ebenfalls im Projekt "Adventure" angesiedelt ist das "Sonifikations-Forschungslab", das Projektmitarbeiter Tobias Hildebrandt derzeit aufbaut: Er beforscht mögliche akustische oder multimodale Veranschaulichungen von Workflow-Prozessen. In dem Labor wird er sich mit der Optimierung der Echtzeitüberwachung von Produktions- und Lieferprozessen beschäftigen. "Können Prozesse, die mehrere tausend Events oder Updates pro Sekunde umfassen, durch akustische Signale leichter überwacht werden?" fragt sich Hildebrandt.

... und Pflege-Studie

Gleichzeitig befindet sich ein Projekt in Kooperation mit dem Pflegezentrum St. Pölten - Pottenbrunn GmbH  in der Startphase – dafür wartet am Institut für Informatik ein Pflegebett auf seine Inbetriebnahme. Finanziert durch den "Innovationsscheck" der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft verfolgt die WST-Group ein ehrgeiziges Projekt: Ziel ist es, PflegemitarbeiterInnen in ihrem beruflichen Alltag zu unterstützen und Pflegeprozesse zu optimieren. Das gerade im Aufbau befindliche Projekt wird danach fragen, wie Behandlungsprozesse flexibler gestaltet werden können, und beispielsweise Tablett-PCs auf ihre praktische Einsetzbarkeit im Pflegealltag testen.


Das Wort Informatik schlägt eine Brücke zwischen "Information" und "Automatik". Stefanie Rinderle-Ma und Sonja Kabicher-Fuchs versuchen, diesen Brückenschlag um den Faktor Mensch zu bereichern. In ihrer Pflege-Studie kommt daher sowohl dem medizinischen Personal als auch den PatientInnen wesentlicher Stellenwert zu.



Human Centric PAIS: das Thema Mensch


Was nützt das beste Computerprogramm, wenn es keiner verwendet? Welche Rolle spielt der Mensch in der Anwendungskette von Technologieprozessen? Diese brandaktuellen Fragen nach dem "Faktor Mensch" zeigen eine Stoßrichtung der WST auf, der sich Sonja Kabicher-Fuchs widmet, und die international auf höchstes Interesse stößt: Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Human Centric PAIS (Process Aware Information Systems) sucht die Informatikerin nach Möglichkeiten, den Menschen in Prozesse zu integrieren, um damit die Faktoren Zufriedenheit und Motivation jenseits von moderner elektronischer Fließbandarbeit am Arbeitsplatz zu erhöhen.

In der Praxis bedeutet das, den AnwenderInnen zu ermöglichen, psychische Barrieren wie Hemmschwellen und Ängste zu überwinden und ihr eigenes Potenzial, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen, durch das Arbeiten mit prozess-sensitiven Computersystemen weiterzuentwickeln.

Wissen durch Vielfalt

"Unsere Ergebnisse haben Relevanz für verschiedene Praxisbereiche: Produktion, Medizin, Pflege, etc. Wir erleben täglich, wie die unterschiedlichen Projekte voneinander profitieren. Daher versuchen wir, diese Themenvielfalt bewusst zu leben", sagt Stefanie Rinderle-Ma. Interdisziplinarität, Internationalität und Kommunikation sieht sie als Schlüsselfaktoren ihrer Forschungsarbeit. Was der Motivationsfaktor der InformatikerInnen ist? Rinderle-Ma: "Wir arbeiten konkret an der Verbesserung von Alltagsprozessen. Und: Es macht Spaß." (sb)

Literaturtipp:
Peter Dadam, Manfred Reichert, Stefanie Rinderle-Ma: "Prozessmanagementsysteme - Nur ein wenig Flexibilität wird nicht reichen", Informatik Spektrum 34(4): 364-376 (2011)