"Euer Gnaden" – Das Wiener Hofpersonal im 18. Jahrhundert

Der Wiener Kaiserhof zählte im 18. Jhd. mit rund 2.000 Bediensteten zu den bedeutendsten Arbeitgebern der Stadt. An der Universität Wien untersuchen Martin Scheutz, Irene Kubiska-Scharl und Michael Pölzl das Leben jener Frauen und Männer, die zwischen 1711 und 1806 bei Hof beschäftigt waren.

Der Hofdienst bot für zahlreiche Frauen und Männer aus dem Adel, dem Bürgertum oder aus unterbürgerlichen Schichten ein mögliches Beschäftigungsfeld. Trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – seines Umfangs und seiner Vielfalt wurde das höfische Personal bislang nur ansatzweise untersucht. Vor allem die FunktionsträgerInnen abseits der adeligen Elite blieben bislang im Dunkeln.

Im FWF-Projekt "Personal und Organisation des Wiener Hofes 1715-1806", unter der Leitung von Martin Scheutz vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung, wird nun die Rolle der oft bürgerlichen Mitglieder der höfischen "Mittelschicht", die durchaus in bestimmten "Schlüsselpositionen" den höfischen Betrieb aktiv mitgestalteten, eingehend beleuchtet.

Karrieremöglichkeiten am Hof

Vor allem ihre Bedeutung wurde bisher aufgrund fehlender (Quellen-)Studien nicht ausreichend erkannt. Sie nutzten den Hof jedoch in gleicher Weise wie der Adel, nämlich zur Pflege eigener Familien- und Patronagenetzwerke, zur Versorgung des Nachwuchses mit Ämtern, als Heiratsmarkt und als "Quelle" für begehrte Ressourcen wie Geld, Ämter und Ehren- oder Adelstitel. Im Zentrum des Projekts stehen daher auch grundsätzliche Fragen nach der Organisation des Hofdienstes und nach den "Karrieremöglichkeiten", die dieser für die Beschäftigten bot.

Wichtige Quelle: kaiserlicher "Hof- und Ehrenkalender"

Den notwendigen Ausgangspunkt für die Untersuchung des Hofpersonals bildet zunächst eine umfassende prosopographische – d.h. die systematische Erforschung eines bestimmten Personenkreises – Erarbeitung. Zwei Quellengruppen sind essentiell: Zunächst liefert der "kaiserliche Hof- und Ehrenkalender", seit dem Ende des 17. Jahrhunderts einmal jährlich gedruckt, Jahr für Jahr eine hierarchisch geordnete, großteils namentliche Auflistung des aktuellen Hofpersonals. Erst dadurch ist es möglich, die Karriereschritte der einzelnen FunktionsträgerInnen über Jahre hinweg zu verfolgen und in eine Datenbank aufzunehmen.


Seit kurzem liegt die erste eigenständige Publikation, die aus dem FWF-Projekt hervorgegangen ist, vor: "Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711–1765". Darin behandeln die beiden ProjektmitarbeiterInnen Irene Kubiska-Scharl und Michael Pölzl den Wiener Hof und sein Personal im 18. Jahrhundert.



Derzeit umfasst sie Karrieredaten von etwa 6.100 Personen. Dieses aus dem Hof- und Ehrenkalender gewonnene "Datengerüst" wird inhaltlich aus den bei Hof handschriftlich geführten "Hofparteienprotokollen" ergänzt. Die Protokollbände, die sich heute im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv befinden, informieren ausführlich über Neuaufnahmen in den Hofdienst, über Beförderungen, Besoldungssachen, Pensionierungen und andere dienstliche Angelegenheiten.

Hof ist nicht gleich Hof

Der Wiener Hof war das größte "Unternehmen" der Residenzstadt. Bislang liegt für keinen europäischen Hof eine derart umfassende Prosopographie vor. Die nunmehr für Wien erarbeiteten "Stammdaten" erlauben es, die strukturelle und personelle Entwicklung der verschiedenen Hofstaaten – denn ein solcher stand jedem Mitglied der Herrscherfamilie zu – über den langen Zeitraum von fast 100 Jahren zu verfolgen.

Dabei zeigt sich, dass die Verteilung des Personals auf die einzelnen Hofstaaten höchst ungleichmäßig und dem jeweiligen Rang geschuldet erfolgt ist: Der kaiserliche Hofstaat Karls VI. umfasste allein etwa 1.500 Personen, während die Hofstaaten seiner Gattin mit etwa 80 bis 100 Personen und der seiner Töchter mit etwa 30 Personen viel kleiner waren (Zahlen für 1735). Die Datenerhebung zeigt auch, dass Frauen im Hofdienst gegenüber den Männern zwar zahlenmäßig unterrepräsentiert waren, aber trotzdem auch hochrangige Positionen, wie etwa die der Obersthofmeisterin, bekleideten. Die prosopographische Bestandsaufnahme des Hofpersonals ermöglicht schließlich auch Untersuchungen zu typischen und atypischen Karrieremodellen des Hofpersonals, zu den Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs und zur Altersversorgung der FunktionsträgerInnen.

Erste Ergebnisse


Die ersten Ergebnisse konnten die ProjektmitarbeiterInnen bereits in der nun vorliegenden Publikation "Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711–1765", erschienen als Band 58 der Reihe "Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte", vorlegen. Im Zentrum der weiteren Projektarbeit werden die unter Maria Theresia und unter Joseph II. intensivierten Ansätze zur aufklärerischen Reform und zur Rationalisierung der – bereits von Zeitgenossen stark kritisierten – Ineffizienz der höfischen Bürokratie stehen. Die Krise des Hofes in den Wirren der napoleonischen Kriege bildet den Abschluss des FWF-Projektes.

Das dreijährige FWF-Projekt "Personal und Organisation des Wiener Hofes 1715-1806" am Institut für Österreichische Geschichtsforschung unter der Leitung von ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Scheutz und Mitarbeit von Mag. Irene Kubiska-Scharl BA MA und Mag. Michael Pölzl läuft noch bis Februar 2015.