Die Kunst des Wandertheaters

Was ist eine "Haupt- und Staatsaktion", wer ist "Hans Wurst"? Um die Kunst des deutschsprachigen Wandertheaters besser verstehen zu können, begibt sich der Theaterwissenschafter Stefan Hulfeld auf eine Zeitreise in das Wien um 1700.

"Die Beschäftigung mit dem deutschsprachigen Wandertheater hat ein 'Wiener Gesicht': Um das Jahr 1700 war die österreichische Bundeshauptstadt nämlich der Ort, an dem sich professionelle Wanderkomödianten eine feste Spielstätte zu sichern hofften", erklärt Stefan Hulfeld vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft.

Zwischen Repräsentation und Parodie

Auf dem Spielplan der Schauspieltruppen standen sogenannte "Haupt- und Staatsaktionen" – Theaterstücke, die höfische Opern sowie Trauerspiele parodierten oder italienischen, spanischen, niederländischen, etc. Tragikomödien verpflichtet waren. "Wir haben es hier mit einer dramaturgischen Struktur zu tun, die unter europäischen Gesichtspunkten sehr gängig ist: Die Staatsebene wird mit komödiantischen Figuren kontrastiert, die auf einer deutlich niedrigeren gesellschaftlichen Ebene agieren", erläutert Hulfeld.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese besondere Form des Theaters nicht ausreichend erforscht. "Es wurde bislang nie der Versuch unternommen zu verstehen, welches ästhetische Prinzip hinter diesen Stücken steckt und was für eine Haltung dies bei den RezipientInnen ausgelöst hat", so der gebürtige Schweizer, der sich im Rahmen seines Projekts mittels handschriftlicher Spieltexte der historischen Aufführungspraxis nähert: "Uns geht es darum zu begreifen, worin die spezifische Kunst des Wandertheaters bestand." Besonderes Augenmerk wird dabei eben auf die Frage gelegt, inwieweit die Wandertruppen den absolutistischen Staat und dessen gesellschaftliche Werte parodiert oder doch eher repräsentiert haben.


Hanswurst und der Prinzipal (um 1717). Platinotypie nach dem Original von Josef Löwy. (In: Lustige Reyß-Beschreibung / Aus Saltzburg in verschiedene Länder)



Diese Frage soll über das Studium eines unpublizierten Spieltexte-Kodex' aus dem späten 17. Jahrhundert, der in der Sammlung der Wienbibliothek im Rathaus lagert, geklärt werden. "Diesem Text kommt eine ganz außergewöhnliche Bedeutung zu. Er zählt zu den ältesten Spielhandschriften und ist deshalb so interessant, weil er noch näher an der Aufführungspraxis liegt als andere vergleichbare Stücke", betont Hulfeld. Für den Theaterwissenschafter ist es "eigentlich ein Wunder", dass sich vor ihm noch niemand ausführlicher mit diesem Konvolut befasst hat. Der Grund hierfür könnte aber auch darin liegen, dass der 14 Spieltexte umfassende Kodex aus heutiger Sicht keineswegs einfach zu erschließen ist. Allein die Transkription birgt zahlreiche Probleme.

Schwierige Transkription

Gegenwärtig sind Hulfeld und sein Team, das aus einem Postdoc und zwei Doktorandinnen besteht, mit der Transkription der alten Spielhandschriften beschäftigt. "Das ist eine schwierige und vor allem sehr zeitaufwändige Aufgabe. Bei den insgesamt rund 1.200 Seiten gibt es immer wieder Passagen, die entweder kaum leserlich oder schwer verständlich sind. Nicht immer lässt sich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, was gemeint ist", schildert der Forscher. Besonders heikle Textstellen werden markiert und im Team besprochen. "Es kann schon passieren, dass wir am Ende zur Erklärung einzelner Stellen nur Hypothesen anzubieten haben."


Die Seite 6 (verso) aus dem Stück "Comoediæ genand: Das verliebte und geliebte Ehrenbild oder Die Ehren Statue" – eine der rund 1.200 Kodexseiten, die Hulfeld und sein Team transkribieren.



Von den Stoffen her sind die untersuchten Spieltexte breit gefächert. Die Bandbreite reicht von der Übersetzung eines italienischen Opernlibrettos zum Mythos von "Jason und das goldene Vlies" bis hin zu einem Stück mit "Hans Wurst" als Diener und Kontrahent eines tyrannischen Fürsten, dessen Vorlage bislang nicht eruiert werden konnte. Alle 14 Stücktexte sollen in eine Studienausgabe überführt und kommentiert werden. "Wir müssen noch einiges an Weg zurücklegen, um unser Ziel zu erreichen. Eines steht aber fest: Wien ist sicherlich der attraktivste Standort, um die Kunst des Wandertheaters zu erforschen." (ms)

Das FWF-Projekt "Staatsaktion zwischen Repräsentation und Parodie" von Univ.-Prof. Dr. Stefan Hulfeld vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät läuft vom 1. März 2011 bis zum 28. Februar 2014.