Bilder verstehen – uns selbst verstehen

"Das ist ein gutes Bild!" Aussagen wie diese kommen uns leicht über die Lippen. Wenn wir aber in Worte fassen wollen, was wir "gut" finden, fällt das oft schwer. Im Alltag moderner Kulturen sind wir ständig mit Bildern befasst. Das öffnet den Blick der Wissenschaft für neue Fragestellungen. Bestes Beispiel hierfür ist das Elise-Richter-Projekt von Aglaja Przyborski: Anhand von kommerziellen und privaten Fotos geht sie der Frage nach, wie es im Alltag gelingt, Bilder zu verstehen, von ihnen erfasst und handlungspraktisch orientiert zu werden – ganz ohne es sagen oder erklären zu können.

"Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Medium Bild boomt", sagt Aglaja Przyborski vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung. Hintergrund für diese Entwicklung sei der sogenannte "iconic turn" – ein Begriff, der 1994 vom deutschen Kunsthistoriker und Philosophen Gottfried Boehm geprägt worden ist und die wissenschaftliche Hinwendung zum Bild bezeichnet.

Für die Sozialwissenschaften hat diese grundlegende Verlagerung des Forschungsinteresses – weg vom Sprachlichen und hin zum Visuellen – neue Perspektiven hervorgebracht: "Wir werden aufmerksam darauf, dass Mensch-Sein und Sinn erzeugen sich nicht allein im Medium Sprache vollzieht. Sinn wird auch ganz wesentlich im Medium Bild festgehalten und weitergegeben."

Von Verständigungsstandards …

In ihrem aktuellen Forschungsprojekt begibt sich Przyborski daher auf die Suche nach den Verständigungsstandards und -strukturen im Medium Bild: "Dieses implizite Wissen ist für die Sprache bereits weitreichend erforscht. Es gibt beispielsweise ein bestimmtes sprachliches Format der Erzählung, das einen wissenschaftlich rekonstruierbaren, klar benennbaren Aufbau aufweist und an das wir uns halten, wenn wir uns kommunikativ verständigen. Man weiß: Hier werden Fakten rekonstruiert oder Fiktion konstruiert. Für Fotos, Gemälde, Zeichnungen, etc. fehlen solche Erkenntnisse bisher: Hier wissen wir noch nicht, wie Verständigung gesichert wird."

Die zentralen Fragestellungen lauten: Was macht das Bild im Unterschied zu anderen Medien, z.B. Sprache, aus? Wie verständigen sich Menschen mithilfe von Bildern über alltägliche Dinge, ohne dass Sprache überhaupt ins Spiel kommt? "Wir wollen herausfinden, ob und wie formale Elemente der Bildgestaltung Verständigung im Medium Bild ermöglichen." Dazu zählt z.B. die perspektivische Projektion in Bildern. "Sie ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Manifestation von Weltanschauung", so Przyborski.

… und formalen Strukturen


Die angesprochenen formalen Elemente der Bildgestaltung – beispielsweise der Aufbau eines Bildes in Bezug auf Linearität oder Flächenaufteilung (Planimetrie) – sind dabei ein wesentlicher Aspekt: "Wir unterhalten uns nicht nur über Bilder, sondern verständigen uns auch innerhalb des Mediums, ohne Worte. Ein Beispiel: Wenn wir mit Freunden Familienfotos anschauen, hört man nur begleitendes Sprechen, der Sinn wird zum größeren Teil im Medium Bild ausgetauscht. Für dieses unmittelbare Erfassen, über das wir noch sehr wenig wissen, sind formale Strukturen entscheidend."

Im Projekt werden diese Strukturen entschlüsselt, um damit einen empirischen Zugang zu Orientierungen, Sehnsüchten und Ängsten, die in Bildern wortlos kommuniziert werden, zu öffnen. Gegenstand der Untersuchung sind Mode und Kleidung bzw. das "alltägliche Zurechtmachen der körperlichen Erscheinung": "Mode eignet sich aus drei Gründen für das angestrebte Erkenntnisinteresse: Sie wird in erster Linie visuell vermittelt, wir alle müssen uns jeden Tag etwas anziehen und die Funktion von Kleidung liegt ausschließlich im Sozialen", erläutert Przyborski.

Diskussionen in der Gruppe

Um der "Kommunikation im Medium Bild" bzw. der "Iconic Communication" – wie der englische Projekttitel lautet – auf den Grund zu gehen, betreibt die Psychologin gemeinsam mit Projektmitarbeiterin Maria Schreiber Feldforschung: "Wir suchen uns TeilnehmerInnen aus verschiedenen sozialen Milieus und bitten sie, jeweils ein kommerzielles Modebild und ein dazu passendes privates Foto mitzubringen."

Auf Grundlage des Bildmaterials finden Gruppendiskussionen statt – 25 wurden bereits erhoben. "Auf Basis dieser Diskussionen können wir unter anderem ausloten, wie Werbung sich in bestimmten Milieus verfängt. Auch der Frage, in welchem Verhältnis kommerzielle und alltägliche stilistische Inszenierungen zueinander stehen, kann so nachgegangen werden", betont Przyborski. "Die Daten zeigen, dass viele der privaten Bilder eine Rolle in sozialen Netzwerken spielen, was ihre Bedeutung für soziale Verständigung bestätigt."(ms)

Das FWF-Projekt "Kommunikation im Medium Bild" unter der Leitung von Mag. Dr. Aglaja Przyborski vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung wird im Rahmen eines Elise-Richter-Stipendiums gefördert und läuft von März 2010 bis Februar 2013. Wissenschaftliche Mitarbeiterin ist Mag. Maria Schreiber.