Bibelwissenschaft: Interkultureller Diskurs mit der Antike

Das Buch Kohelet zählt zu den anspruchsvollsten Schriften der Bibel. Kommentiert wurde es u.a. vom Kirchenvater Hieronymus – durchaus kritisch und auch heute noch aktuell. Mit seinem Kommentar beschäftigen sich Ludger Schwienhorst-Schönberger und Elisabeth Birnbaum in einem aktuellen FWF-Projekt.

"Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein, denn es gibt weder Tun noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist" lautet eines der berühmtesten Zitate aus dem Buch Kohelet. Darin kommt auch das durchgängige Thema dieser Schrift zum Ausdruck, die sich im Wesentlichen mit der Frage "Gibt es ein Leben vor dem Tod?" beschäftigt. "Es existieren durchaus konträre Ansichten zur Interpretation dieses Buchs", erklärt Ludger Schwienhorst-Schönberger, Vorstand des Instituts für Bibelwissenschaft: "Für die einen drückt die Schrift eine durchgehend pessimistische Haltung aus, da Kohelet davon ausgeht, dass kein Leben nach dem Tod existiert. Und für die anderen ist es eine Huldigung an das wahre Glück, quasi eine Lehre von der Kunst des Glücklichseins auf Erden."

Glück findet sich im Göttlichen

Der Kirchenvater Hieronymus, u.a. berühmt für seine lateinische Bibelübersetzung – auch bekannt als Vulgata (4. Jhdt. n. Chr.) – war vom Buch Kohelet fasziniert und verfasste eine umfassende Interpretation dazu. Viele Jahrhunderte später untersuchen nun die BibelwissenschafterInnen Ludger Schwienhorst-Schönberger und Elisabeth Birnbaum in einem dreijährigen FWF-Projekt seinen Kohelet-Kommentar.


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"Hieronymus ist sozusagen ein früherer Kollege von mir", schmunzelt Schwienhorst-Schönberger: "Erst kürzlich haben wir einen Kommentar zum Buch Kohelet verfasst. Es ist unglaublich spannend, sich nun mit Hieronymus' Ansichten dazu intensiv zu beschäftigen." Im Gegensatz zu Kohelet steht bei Hieronymus das Göttliche mehr im Vordergrund. Für ihn ist die Vergänglichkeit des Lebens eine Mahnung, sich nicht zu sehr an das Irdische zu halten, sondern sich auf das Göttliche zu konzentrieren. "Auf den Punkt gebracht geht Hieronymus davon aus, dass das Leben eine Vorbereitung auf das Ewige ist", so der Theologe: "Hat der Mensch das akzeptiert, wird er ein entspanntes Leben führen."


Erstmalige Übersetzung ins Deutsche

Durchaus als Meilenstein in der Bibelwissenschaft lässt sich die erstmalige Übersetzung des Hieronymus-Kommentars ins Deutsche bezeichnen. Bis dato existieren nur eine Übersetzung ins Englische sowie ins Französische. "Die französische Übersetzung weist allerdings inhaltliche Fehler auf", erklärt die Bibelwissenschafterin Elisabeth Birnbaum: "Das ist nicht verwunderlich, da sie rein sprachwissenschaftlich, aber ohne theologischen Hintergrund übersetzt wurde. So kommt es zu Fehlinterpretationen mehrerer Passagen, weil das exegetisch-theologische Wissen fehlt."

Rund 120 Seiten umfasst der Kohelet-Kommentar von Hieronymus – Vers für Vers hat ihn Elisabeth Birnbaum im Rahmen des FWF-Projekts nicht nur ins Deutsche übersetzt, sondern auch kommentiert und zusätzlich mit einer ausführlichen Einleitung versehen. So wurden aus den 120 Originalseiten von Hieronymus über 300 Seiten – die Publikation erscheint vorrausichtlich im Herbst 2013.

Zurück zu den Wurzeln

In den Bibelwissenschaften herrscht Umbruchstimmung. Ein Trend, den Ludger Schwienhorst-Schönberger äußerst positiv sieht: "Es gibt derzeit eine offene Diskussion in der Interpretation von Bibeltexten. So werden neuerdings auch wieder Ansichten von Kirchenvätern und christlichen Autoren aufgegriffen und diskutiert. Bibeltexte werden wieder vermehrt nach ihrem offenen Sinnpotenzial befragt und nicht ausschließlich – so wie in der neuzeitlichen Bibelwissenschaft – auf eine einzige Bedeutung hin eingegrenzt."

Diese neue Ausrichtung in der modernen Bibelwissenschaft war auch Thema der von Elisabeth Birnbaum und Ludger Schwienhorst-Schönberger kürzlich organisierten Konferenz "Hieronymus als Exeget und Theologe". Dabei diskutierten internationale ExpertInnen aus Bibelwissenschaft, Patrologie und Altphilologie an der Universität Wien u.a., inwieweit die lange Zeit als überholt bezeichnete Kirchenväter-Exegese Relevanz für eine zeitgemäße Bibelauslegung hat – und welche Chancen sich daraus für die Forschung ergeben.

Interkultureller Diskurs

Für Bibelwissenschafter Schwienhorst-Schönberger ist der historische Zugang zu Texten auch wichtig, aber nicht nur: "Die Bibel ist kein rein historisches Dokument, zumindest für jene, die sie als Heilige Schrift bezeichnen." Diesen Ansatz wählt der Bibelexperte auch in seiner Auseinandersetzung mit Hieronymus: "In seinem Kommentar finden sich absolut zeitgemäße – und durchaus philosophische – Fragen, wie eben jene nach der Vergänglichkeit." Für ihn steht die Beschäftigung mit den Kirchenvätern für eine interdisziplinäre Öffnung der Bibelwissenschaft und kann durchaus als "interkultureller Diskurs mit der Antike" gesehen werden. (td)

Das FWF-Projekt "Der Kohelet-Kommentar des Hieronymus" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Theol. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Bakk., Vorstand des Instituts für Bibelwissenschaft, und der Mitarbeit von Mag. Dr. Elisabeth Birnbaum startete im März 2010 und läuft noch bis Februar 2013.