Atomistische Einblicke in Proteinstrukturen

Im Rahmen eines Forschungsprojekts des Karlsruher Instituts für Technologie simulierte Anton Polyansky von den Max F. Perutz Laboratories atomistische Einblicke in Proteinstrukturen. Die Erkenntnisse ermöglichen neue Strategien zur Ansteuerung von Rezeptoren durch pharmazeutische Wirkstoffe.

Jede Zelle steht in ständigem Informationsaustausch mit ihrer Umgebung. Üblicherweise tragen Hormone als molekulare Botenstoffe die entsprechenden Signale von außen an die Zelle heran, z.B. um sie zum Wachsen anzuregen. Membranständige Rezeptoren – d.h. Proteinmoleküle, die die Zellmembran durchspannen – leiten die Information in das Innere der Zelle weiter. Dort wird die Antwort in einer weiteren Reaktionskaskade umgesetzt. Typische Zelloberflächenrezeptoren sind die sogenannten Tyrosinkinasen, die eine entscheidende Rolle in der Zellentwicklung, Zellteilung, Wundheilung und zellulären Homöostase – dem Gleichgewichtszustand in einer Zelle – spielen. Eine fehlerhafte Weiterleitung der Signale kann u.a. zur Krebsentstehung führen. Aus pharmakologischer Sicht bieten diese Rezeptoren einen Hauptangriffspunkt für maßgeschneiderte pharmazeutische Wirkstoffe.

Analyse zellulärer Signal-Prozesse

Über die molekulare Funktionsweise der Tyrosinkinase-Rezeptoren ist bekannt, dass sie sich bei ihrer Aktivierung paarweise zusammen lagern, also dimerisieren. Da dies in der Membran erfolgt, ist es nahe liegend, dass auch die umgebenden Lipidmoleküle dabei eine Rolle spielen. Zellmembranen bestehen aus vielen verschiedenen Lipiden, die eine Doppelschicht ausbilden. Aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung enthält diese nicht nur dünne weiche Regionen, in denen die eingelagerten Proteine frei herum schwimmen können, sondern auch dicke zähflüssige Bereiche, die als Lipid-Flöße bezeichnet werden. In letzteren Mikrodomänen finden viele Signal-Prozesse statt, da sich bestimmte Rezeptoren dort offensichtlich bevorzugt aufhalten. Es ist jedoch nicht bekannt, welchen Einfluss die Membrandicke auf die Fähigkeit zur Dimerisierung hat und ob dadurch die Signalübertragung gesteuert werden kann.

Um die Stabilität der Rezeptoren in verschiedenen Lipiden zu untersuchen und im monomeren und dimeren Zustand miteinander zu vergleichen, müssen ihre dreidimensionalen Strukturen aufgeklärt werden. Die Membran-durchspannenden Protein-Segmente bestehen jeweils nur aus einer Alpha-Helix, die sich jedoch – aufgrund der relevanten Lipidumgebung – nicht mit konventionellen kristallographischen Verfahren untersuchen lassen. Stattdessen müssen moderne spektroskopische Methoden und computergestützte Strukturberechnungen eingesetzt werden.

Claudia Muhle-Goll und Silke Hoffmann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben in Kooperation mit der Universität Wien aktuell eine Untersuchung über die Rolle der Membrandicke bei der Rezeptor-Dimerisierung durchgeführt. Die dimere Struktur des Transmembran-Segments vom β-Rezeptor des Blutplättchen-Wachstumshormons wurde unter der Leitung von Anne S. Ulrich, Professorin am Institut für Biologische Grenzflächen des KIT, aufgeklärt. Dazu wurden hochauflösende Kernspinresonanz (NMR) und orientierte Festkörper-NMR Messungen in unterschiedlichen Membranumgebungen eingesetzt sowie eine spezielle Form des orientierten Zirkulardichroismus.

Computational Biology ermöglicht Molekulardynamik-Simulationen

Postdoc Anton Polyansky führte im Rahmen dieser Forschungsarbeit Molekulardynamik-Simulationen durch. Mit Hilfe der Supercomputer des Departments für Strukturbiologie und Computational Biology konnte ein atomistischer Einblick in die Lipid-eingebettete Proteinstruktur erzielt werden. So zeigte sich in dicken Floß-ähnlichen Lipiden ein stabiles linksgängig gewundenes Dimer, welches sich jedoch zu neigen beginnt und auseinanderbricht, wenn die Doppelschicht die typische Dünne einer fluiden Zellmembran erreicht. Dieses Verhalten zeigt, dass die Wechselwirkung der Transmembran-Helix mit der Lipidumgebung einen entscheidenden Einfluss auf die Dimerisierung und Rezeptor-Aktivierung ausübt. Mit Hilfe dieser strukturellen Einblicke können nun neue Strategien zur gezielten Ansteuerung von Rezeptoren durch pharmazeutische Wirkstoffe entwickelt werden. (vs)

Das Paper "Hydrophobic Matching Controls the Tilt and Stability of the Dimeric Platelet-derived Growth Factor Receptor (PDGFR) β Transmembrane Segment" (AutorInnen: Silke Hoffmann; Claudia Muhle-Goll; Anton Polyansky; Sergii Afonin; Marcel Zeitler; Stephan L. Grage; Dirk Windisch; Jochen Bürck; Anne S. Ulrich) erschien am 27. Juli 2012 in "The Journal of Biological Chemistry".