WM 2010: Neues Stadion, altes Elend (Teil 2)

Die Fußball-WM, die noch bis 11. Juli 2010 in Südafrika stattfindet, löst nicht nur Euphorie und Jubel aus, sondern auch Bedenken und Kritik. Im zweiten Teil seines Interviews spricht Gerald Hödl vom Institut für Afrikawissenschaften über die Schattenseiten des Mega-Events, den Mythos, dass ein sportliches Großereignis die Wirtschaft eines Landes ankurbeln kann und den internationalen medialen Diskurs rund um die Weltmeisterschaft.

Redaktion: Was bedeutet es für Südafrika, eine Fußball-WM an Land gezogen zu haben?
Hödl: Prestige. Solche sportlichen Großereignisse  - und dass Südafrika Austragungsort eines solchen ist  - kommen letztlich der Regierung zugute.

Redaktion: Aber die Regierung zieht damit auch Kritik auf sich ...
Hödl: Es gibt Kritik, aber sie ist nicht besonders laut - so wie 2008 in Österreich, da gab es im Vorfeld der EM ja durchaus auch berechtigte Kritik an diversen Ausgaben für neue Stadienbauten etc. In Südafrika ist es ganz ähnlich: Die WM kostet die Regierung umgerechnet zwei Milliarden Euro. Es wurden mehrere große Stadien komplett neu hochgezogen und sehr viel Geld in Infrastruktur investiert, vor allem in Überlandstraßen und Flughäfen - was natürlich insofern seltsame Prioritäten sind, als ein großer Teil der Bevölkerung z.B. weder eine gesicherte Wasserversorgung noch einen Anschluss an das Elektrizitätsnetz hat.

Redaktion:
Wird die neue Infrastruktur nach der WM genützt werden?

Hödl: Es ist bereits abzusehen, dass die neuen Stadien nach der WM nicht kostendeckend arbeiten werden. In Kapstadt ist zum Beispiel ein Stadion um umgerechnet 300 Millionen Euro gebaut worden - schaut wunderbar aus und wird während der WM sicherlich voll sein. Aber die Fußballmannschaften der südafrikanischen Profiliga, die dort in Zukunft spielen sollen, haben im Schnitt Zuschauerzahlen von etwa 2.000 Personen - das neue Stadion fasst aber 68.000 ZuschauerInnen. Das wird die Stadt jährlich 600.000 Euro kosten, auch wenn das Stadion nach der WM auf 50.000 Plätze zurückgebaut werden soll. Gleichzeitig gibt es in Kapstadt mehrere Elendssiedlungen - zwei bekannte Ökonomen haben vorgerechnet, dass man allein mit den Baukosten, die dieses Stadion verursacht hat, 60.000 Häuser für 300.000 Menschen hätte bauen können.

Redaktion: Trotzdem ist die Kritik leise?
Hödl: Ja, das war in Österreich genauso: Sie wird überblendet vom Hype um so ein Großereignis und von der internationalen Aufmerksamkeit, die sich auf Südafrika richtet. Gleichzeitig führt die südafrikanische politische Elite einen machtvollen Diskurs, der von den Medien getragen wird: Den Leuten werden Arbeitsplätze versprochen und andere positive ökonomische Effekte - das gibt es im Vorfeld jedes sportlichen Großereignisses. Im Regelfall bleiben sie aber aus. Im Fall von Südafrika wird generell viel über Entwicklung geredet und wie sehr die WM dem Land hilft, indem es die internationale Aufmerksamkeit auf Afrika zieht. Da wird aber auch an nationale Gefühle appelliert: Man will zeigen, dass Südafrika ein modernes, leistungsfähiges Land ist.


Gerald Hödl zur WM:



Verfolgen Sie die WM?
Ja natürlich - da ich keinen Fernseher besitze, schaue ich mir die öffentlichen Übertragungen an.
Gibt es einen Favoriten?
Ich fände es großartig, wenn eine afrikanische Mannschaft sehr weit kommt, aber dafür wird es, fürchte ich, nicht reichen.
Ihr Traumfinale?
Ist ein utopisches: Südafrika:Slowenien.

 
Redaktion:
Wenn sich nach jedem sportlichen Großereignis zeigt, dass es keinen nennenswerten ökonomischen Aufschwung gibt - warum fallen die Länder immer wieder auf diese Diskurse herein?

Hödl: Zum einen haben bestimmte Gruppen in diesen Ländern ein großes Interesse daran - die politische Elite, die sich dadurch selbst ein Denkmal setzt, ihre Position stärkt, politisches Prestige gewinnt. Zum anderen gibt es sehr wohl ökonomische Effekte, die sich aber nicht unbedingt mit den Interessen des Landes oder der Gesellschaft als Ganzes decken: Die Baufirmen zum Beispiel sind höchst interessiert daran, dass neue Stadien gebaut werden, aber auch bestimmte andere Sektoren wie die Tourismuswirtschaft, die Werbewirtschaft, die Brauereien profitieren von einer WM, wie Wirtschaftsanalysen zeigen.

Redaktion: Werden lokale Sektoren profitieren? Wahrscheinlich wird im Stadion kein afrikanisches Bier verkauft ...
Hödl: Genau. Das ist eines der großen Probleme: Bei den Bauaufträgen kommen die großen Firmen zum Zug, in der Versorgung der Fans sind es dann die Wirtschaftspartner der FIFA, die in den Stadien, in den Fanzonen und rund um die Stadien zum Zug kommen. Da fällt für Kleinbetriebe und den informellen Sektor wenig ab. Man muss schon sagen, dass durch die Bauprojekte viele Arbeitsplätze geschaffen wurden, aber die Stadien und Straßen sind nun fertiggebaut, und die Wirtschaftskrise ist auch an Südafrika nicht spurlos vorübergegangen. Viele Bauarbeiter sind wieder arbeitslos.

Redaktion: Die Kritik an der WM ist in Südafrika also eher leise. Gibt es internationale Bedenken?
Hödl: Es gibt diesen von den internationalen Medien getragenen Diskurs, in dem Bedenken bezüglich der hohen Kriminalität, der HIV/Aids-Problematik geäußert bzw. hochgespielt wurden, aber im letzten Jahr sind diese Bedenken weitgehend verschwunden, da Südafrika relativ große Anstrengungen unternimmt, um diesem Image entgegenzuwirken ...

Redaktion: ... und zum Beispiel alle Obdachlosen aus dem Stadtzentrum verbannt?

Hödl: Ja, man will dem Westen zeigen, dass Südafrika sicher ist - und das hat für die Bevölkerung teilweise unangenehme Folgen. Seit einigen Monaten wird relativ strikt gegen Obdachlose, Prostituierte und Drogensüchtige vorgegangen - teilweise auch gegen StraßenhändlerInnen, die man aus den Stadtzentren eliminieren will, weil man sie mit Kleinkriminalität in Zusammenhang bringt. Es stimmt schon, Südafrika hat eine höhere Kriminalitätsrate als andere Länder, aber diese konzentriert sich normalerweise auf die Townships - die Touristenzonen sind relativ sicher. (br)