WM 2010: Ein Präsident im Fußballtrikot (Teil 1)

Heute um 16 Uhr (MEZ) eröffnet die südafrikanische Nationalmannschaft "Bafana Bafana" im Spiel gegen Mexiko die Fußball-WM 2010 in Südafrika - einem Land, das bis 1992 aufgrund der Rassentrennungspolitik aus den Reihen der FIFA und vieler anderer internationaler Sportverbände ausgeschlossen war. Im Interview spricht Gerald Hödl über Fußball während der Apartheid, den mangelnden Erfolg der südafrikanischen Kicker und den engen Zusammenhang zwischen Fußball und Politik, der in Südafrika wie in kaum einem anderen Land besteht.

Redaktion: Was fällt Ihnen zum Stichwort "Fußball und Südafrika" zuerst ein?
Gerald Hödl: Aus sportlicher Sicht ist es der in den letzten Jahren mangelnde Erfolg der südafrikanischen Nationalmannschaft: Da Südafrika eine funktionierende Profiliga hat, findet die Abwanderung von Spielern in einem weitaus geringeren Maß statt als beispielsweise in westafrikanischen Staaten. Das heißt aber auch, dass vielen südafrikanischen Spielern die Erfahrungen aus den großen europäischen Profiligen fehlen. Die westafrikanischen Nationalmannschaften hingegen bestehen zu einem großen Teil aus Spielern, die in europäischen Spitzenmannschaften spielen.

Aber es liegt nicht nur daran - vermutlich ist auch das Ausbildungssystem in Südafrika nicht so gut. Außerdem gab es immer wieder Probleme wie Korruptionsfälle oder mangelndes Zuschauerinteresse - der südafrikanische Fußball steht als Ganzes nicht so gut da. Aus einer eher historischen Perspektive denke ich beim Stichwort "Fußball und Südafrika" an den engen Zusammenhang zwischen Fußball und Politik, der dort wie in kaum einem anderen Land besteht.

Redaktion: Inwiefern?

Hödl: In der Zeit der Apartheid, also bis zum Beginn der 1990er Jahre, war Fußball extrem politisiert. Zum einen hat sich im Sport im Allgemeinen und im Fußball im Besonderen der Widerstand gegen das Apartheidsystem ausgedrückt. So gab es damals eine Reihe internationaler Sport-Boykotts - nicht nur im Fußball. Aber die FIFA war Anfang der 1960er Jahre eine der ersten internationalen Organisationen, die Südafrika aufgrund der rassistischen Politik ausgeschlossen haben. Zum anderen begannen viele Politiker der heutigen Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) ihre Karriere in Fußballvereinen.

Dazu muss man wissen, dass Schwarze im Apartheidsystem außerhalb der Homelands von allen politischen Ämtern ausgeschlossen waren. Fußballclubs, die es auch während dieser Zeit schon gegeben hat, stellten eine der wenigen Möglichkeiten dar, in Organisationen Führungspositionen einzunehmen und entsprechende Erfahrungen zu sammeln.

Redaktion: Apropos ANC: Nelson Mandela soll ja bei der Bekanntgabe des Austragungsorts der Fußball-WM 2010 in Freudentränen ausgebrochen sein. Südafrikas aktueller Staatspräsident Jakob Zuma zeigt sich den Medien immer wieder einmal im Fußballtrikot. Ist Fußball im Wahlkampf des ANC ein Instrument?
Hödl: Meines Wissens eigentlich nicht. Aber für die Herausbildung der Partei und das soziale Gefüge der schwarzen Communities hat der Fußball schon eine Rolle gespielt - und die Vereine waren, wie gesagt, so etwas wie die politische Schule vieler späterer ANC-Funktionäre. Auf Robben Island - der berühmten Gefängnisinsel, auf der Nelson Mandela lange inhaftiert war - stellte Fußball eines der wesentlichen Instrumente dar, um den sozialen Zusammenhalt zwischen den Gefangenen aufrecht zu erhalten. Dort gab es eine eigene Fußballliga. Auch Staatspräsident Jakob Zuma gehört zu jenen, die auf Robben Island regelmäßig in der Fußballmeisterschaft mitgespielt haben - er war ein gefürchteter Verteidiger.

Gerald Hödl zur WM:



Verfolgen Sie die WM?
Ja natürlich - da ich keinen Fernseher besitze, schaue ich mir die öffentlichen Übertragungen an.
Gibt es einen Favoriten?
Ich fände es großartig, wenn eine afrikanische Mannschaft sehr weit kommt, aber dafür wird es, fürchte ich, nicht reichen.
Ihr Traumfinale?
Ist ein utopisches: Südafrika:Slowenien.


Redaktion:
Ein weiterer Grundtenor in den Medien ist, dass sich Fußball mittlerweile zum Nationalsport Nummer Eins in Südafrika etabliert hat ... Stimmt das?

Hödl: Ja und Nein ... Eine Besonderheit am südafrikanischen Sport ist, dass sich die Trennlinien entlang der Hautfarben auch in den Sportarten niedergeschlagen haben und Fußball traditionell die Sportart der schwarzen Bevölkerung war. Rugby und Cricket hingegen, die in Südafrika auch sehr populär sind, werden in erster Linie mit der weißen Bevölkerungsminderheit in Zusammenhang gebracht.

Redaktion: Ist das immer noch so?
Hödl: Ja, aber mit regionalen Unterschieden. Im Südwesten des Landes hat es immer eine große Gruppe von sogenannten "Coloureds" gegeben, die Rugby gespielt haben. Umgekehrt waren und sind etliche populäre Fußballer weiß, etwa Mark Fish. Heute unternimmt die Regierung aktiv Bestrebungen, diese Trennlinien aufzuweichen und schwarzen Spielern den Zugang zu Rugby und Cricket zu erleichtern - über Schulsport, bessere Sportanlagen in den hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Vierteln und einen gewissen Druck auf die entsprechenden Vereine und Sportverbände. Aber wenn man die Nationalmannschaften anschaut, zeichnet sich das alte Muster nach wie vor deutlich ab: Fußball ist schwarz, Rugby und Cricket sind weiß.

Redaktion: Man kann also nicht sagen, dass Sport vereinend wirkt - so wie das im aktuellen Kinofilm "Invictus" von Clint Eastwood über Nelson Mandela und den Siegeszug der südafrikanischen Rugbymannschaft 1955 dargestellt wird?
Hödl: Der Film zeigt sehr schön, dass Sport durchaus das Potenzial besitzt, eine zerklüftete Gesellschaft wie die südafrikanische besser zu integrieren. Als Nelson Mandela 1955 beim WM-Sieg der überwiegend burischen Rugby-Nationalmannschaft dem Mannschaftskapitän Pienaar herzlichst gratuliert und sich sogar das Trikot der Rugby-Nationalmannschaft angezogen hat, war das unglaublich symbolträchtig, einer der Gründungsakte der Post-Apartheid-Gesellschaft in Südafrika. Es bleibt zu hoffen, dass auch der Fußball bis zu einem gewissen Grad diese Funktion erfüllen kann. So ist es durchaus möglich, dass diese Sportart, die bisher hauptsächlich mit der schwarzen Bevölkerungsmehrheit assoziiert wird, durch das internationale Rampenlicht und den Besuch vieler Mannschaften aus Europa und Amerika und ihren Fans auch in den Augen der Weißen aufgewertet wird. (br)