Südafrika: "Happy family, happy society, happy country!"

Peter Gerlich hat im Laufe seiner Lehrtätigkeit als Professor am Institut für Politikwissenschaft Exkursionen in ungefähr 20 verschiedene Länder der Welt geführt. Eine dieser Studienreisen, bei denen sich TeilnehmerInnen selbst ein Bild von der Situation im Land machen sollten, führte ihn nach Südafrika. Warum er damals gerade den diesjährigen Veranstalter der Fußball-WM als Reiseziel gewählt hat und welche Eindrücke die "Rainbow Nation" bei ihm hinterließ, erklärt der mittlerweile emeritierte Politikwissenschafter im Interview.

Redaktion: Für PolitikwissenschafterInnen gibt es sicherlich viele interessante Reiseziele. Warum hat es Sie gerade nach Südafrika verschlagen?
Peter Gerlich: Südafrika ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders interessant, weil dort ein Systemwechsel stattgefunden hat: Nach einem rassistisch organisierten kapitalistischen System, das 46 Jahre lang die Spaltung der Gesellschaft im Interesse einer weißen Minderheit festgeschrieben hat, wurde nach einem zähen Verhandlungsprozess ein Kompromiss geschmiedet, der eine Demokratie ermöglicht. Als Politologe ist es ungemein spannend zu sehen, wie so etwas funktioniert - beziehungsweise ob es überhaupt funktioniert.

Redaktion: Sie waren vor ein paar Jahren gemeinsam mit 15 Studierenden zehn Tage lang in Südafrika unterwegs. Wie hat Ihr Exkursionsprogramm ausgesehen?
Gerlich: Die Stationen unserer Reise waren Kapstadt, Johannesburg und Pretoria. Unser Programm umfasste unter anderem Vorträge von UniversitätsprofessorInnen, Gespräche mit PolitikerInnen und InteressensvertreterInnen sowie den Besuch verschiedener Institutionen bzw. Organisationen. Von der Diskussion mit einem schwarzen Parlamentsabgeordneten bis hin zu Ausflügen in Problemgegenden wie Soweto, einem Stadtteil von Johannesburg, oder nach Robben Island, der berüchtigten Gefängnisinsel, wo Nelson Mandela 20 Jahre lang inhaftiert gewesen ist, war dabei alles vertreten.

Redaktion: Wenn die öffentliche Diskussion auf das Thema Südafrika fällt, ist zumeist von einem "Land der Gegensätze" die Rede. Welche Gegensätze sind Ihnen besonders ins Auge gefallen?

Gerlich: Einerseits muss man wissen, dass Südafrika im Vergleich zu den restlichen Ländern Afrikas sehr reich ist und in Sachen Wirtschaftskraft die dominante Regionalmacht darstellt. Zudem verfügt das Land über ein gut entwickeltes Finanz- und Rechtssystem sowie eine allgemein gut ausgebaute Infrastruktur.

Andererseits hat Südafrika immer noch mit den Nachwehen der politischen Vergangenheit zu kämpfen. Das Land selbst ist von gewaltigen sozialen Gegensätzen und einer schwindelerregend hohen AIDS- und Kriminalitätsrate geprägt. Während große Teile der Bevölkerung in unvorstellbarer Armut leben müssen, wächst gleichzeitig die Zahl der Dollar-Millionäre an. Als Tourist zeigt sich einem dieser Gegensatz vor allem dann, wenn man die Luxus-Hotelanlagen, wo man wie ein englischer Lord bedient wird, mit den Elendsvierteln in Soweto vergleicht.

Redaktion: Apropos hohe Kriminalitätsrate: Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht? Wie gefährlich ist das Leben in Südafrika wirklich?
Gerlich: Das Leben in Südafrika ist natürlich nicht ganz so ungefährlich wie in Wien. Angesichts der enormen sozialen Gegensätze im Land fällt die Gewalt aber nicht so stark aus, wie allgemein angenommen wird. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass es gewisse Spielregeln gibt, an die es sich zu halten gilt. So sollte man sich als Weißer zu bestimmten Tageszeitungen besser nicht in gewissen Gegenden aufhalten.

Peter Gerlich zur WM:

Verfolgen Sie die WM?
Ja, dafür sorgt mein zehnjähriger Sohn, der eifrig Panini-Sticker sammelt.
Gibt es einen Favoriten?
Mein Favorit wäre Italien gewesen, aber die sind ja leider ausgeschieden.
Ihr Traumfinale?
Ich hätte mir ein Finale zwischen Deutschland und Italien gewünscht.

Redaktion: Wie beurteilen Sie die allgemeine Stimmung im Land?
Gerlich: Südafrika hat es geschafft, nach einem furchtbaren Regime einen wirklichen Neustart hinzulegen. Die Tatsache, dass man sich trotz der großen Probleme der Vergangenheit auf einen gemeinsamen Weg für die Zukunft einigen konnte, hat eine gewisse Aufbruchsstimmung im Land erzeugt. Diese Aufbruchsstimmung war deutlich zu spüren und hat sich im Laufe unseres Aufenthalts auch auf uns übertragen.

Am besten lässt sich die Stimmung in Südafrika anhand einer kleinen Reiseanekdote verdeutlichen: Im Zuge unseres Aufenthalts waren wir auf eine Hochzeit in der schwarzen Community eingeladen, auf der wir die großzügige südafrikanischen Gastfreundschaft kennenlernen durften. Es handelte sich dabei um ein großes Fest mit rund 200 Gästen und ausgelassenem Gesang und Tanz. Eines der Familienoberhäupter hielt damals eine kurze Ansprache, in der sowohl die gegenwärtige Stimmung als auch das Programm des Landes mit dem Ausspruch "Happy family, happy society, happy country!" zusammengefasst wurde. Das hat mich sehr beeindruckt.

Redaktion: Wenn Sie an Ihre Südafrika-Exkursion zurückdenken, überwiegen die positiven oder negativen Eindrücke?

Gerlich: Südafrika wird oft als gesellschaftspolitisches Pulverfass angesehen, das jederzeit explodieren kann. Unser Lokalaugenschein hat gezeigt, dass dieses Vorurteil nicht gerechtfertigt ist und sich das Land durchaus positiv weiterentwickelt hat. Natürlich kann man die Situation dort auch sehr kritisch sehen, für mich haben aber eindeutig die positiven Eindrücke überwogen. Ich kann nur hoffen, dass die Besucher und Besucherinnen der Fußball-WM einen ähnlich positiven Eindruck aus Südafrika mit nach Hause nehmen werden, wie wir es damals getan haben.

Redaktion: Gibt es etwas, das wir hier in Österreich von den BürgerInnen Südafrikas lernen könnten?
Gerlich: Die große Toleranz zwischen den verschiedenen kulturellen Gruppierungen habe ich in Südafrika als sehr beeindruckend empfunden. In diesem Punkt könnten wir hier in Österreich sicherlich noch etwas dazulernen. Auch was den Mut zur Veränderung betrifft, der bei uns nur allzu oft von der Angst überstrahlt wird, irgendwelche traditionellen Verhaltens- und Denkmuster aufgeben zu müssen, haben die Südafrikaner und Südafrikanerinnen Vorbildcharakter. (ms)

Emer. Univ.-Prof. Dr. Peter Gerlich ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.