Hausmittel Baldrian enthält ein Anästhetikum

Einem Team um den Pharmakologen Steffen Hering ist ein bedeutender Schritt zur Aufklärung des Wirkungsmechanismus eines Inhaltsstoffes von Baldrian gelungen. Ausgangspunkt dieses wissenschaftlichen Erfolges war die Erforschung von sogenannten GABAA-Rezeptoren, die für die Hemmung neuronaler Aktivitäten verantwortlich sind und deren Aktivierung Schlaf fördernd wirkt. Die Ergebnisse dazu sind kürzlich in der Fachzeitschrift "Neuropharmacology" erschienen.

Baldrianextrakte werden als so genannte "pflanzliche Sedativa" eingesetzt. Einem jungen ForscherInnenteam um Univ.-Prof. Dr. Steffen Hering, Leiter des Departments für Pharmakologie und Toxikologie, fiel auf, dass Baldrianextrakte eine hohe Aktivität an GABAA-Rezeptoren haben. Ein gemeinsames  Forschungsprojekt mit Univ.-Prof. Mag. Dr. Brigitte Kopp, Department für Pharmakognosie, wurde initiiert. Brigitte Kopp stellte eine Reihe von Reinsubstanzen, die aus dem Baldrian isoliert worden waren, zur Verfügung. Die Dissertantin Sophia Khom wurde schließlich bei der Valerensäure, einer dieser  isolierten Wirkstoffe, fündig. Mag. Khom untersuchte im Folgenden den molekularen Angriffspunkt der Valerensäure am GABAA-Rezeptor.

Baldrianinhaltsstoff mit vergleichbarer Wirkung wie Anästhetika
Khom stellte fest, dass die Valerensäure nicht am Rezeptor von Valium® angreift, sondern an einem Punkt, an dem Arzneimittel, die zur Gruppe der Injektionsanästhetika gehören, wirken. Anästhesie bedeutet "die Nicht-Empfindung", also das Ausschalten des Nervensystems. Anästhetika mit ähnlicher Wirkung wie Valerensäure schalten zwar nicht die Empfindungen ab, haben dafür aber eine stark Schlaf fördernde Wirkung. Sie werden deshalb in Kombination mit Schmerzmitteln vor Operationen intravenös verabreicht, um PatientInnen schnell in einen Tiefschlaf zu versetzen. 

Khom untersuchte die Wirkung der Valerensäure an verschiedenen Typen von GABAA-Rezeptoren. Valerensäure wirkte nur an solchen Rezeptoren, an denen auch andere Anästhetika wirksam sind. Mit molekularbiologischen Methoden wurden Veränderungen in der Struktur der Rezeptoren vorgenommen (Aminosäuren ausgetauscht, d.h. Mutationen gesetzt). Es zeigte sich, dass Mutationen an GABAA-Kanälen, die die Wirkung von Anästhetika, wie z.B. Etomidat und Propofol, verhindern, auch die Wirkung der Valerensäure aufheben.

Valerensäure ist nach Verabreichung von Baldrianextrakten im Blutplasma nachweisbar, das fand eine amerikanische Forschergruppe heraus. Welche Konzentrationen davon das Gehirn erreichen, ist noch nicht geklärt. An der Universität Wien wird zu diesem Thema und zum Wirkungsmechanismus der Valerensäure weiter geforscht. "Eine interessante Substanz, die für die Schlaf fördernde Wirkung des Baldrians mitverantwortlich sein könnte",  meint der Pharmakologe Steffen Hering.

Department für Pharmakologie und Toxikologie, Fakultät für Lebenswissenschaften: http://www.univie.ac.at/ptox/

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