Den Haken neu erfinden

Orang-Utans angeln mit selbstgebogenem Werkzeug nach Nahrung

Aus einem Stück Draht einen Haken zu biegen, um nach einem Körbchen mit Futter zu angeln, ist für Kinder unter acht Jahren schwierig. KognitionsbiologInnen und Vergleichende Psychologen der Universität Wien, der Universität St. Andrews und der Veterinärmedizinischen Universität Wien um Isabelle Laumer und Alice Auersperg haben die Fähigkeit Hakenwerkzeuge zu erfinden, nun erstmals an Menschenaffen – den Orang-Utans – untersucht. Zur Überraschung der ForscherInnen stellten die Affen beim ersten Versuch spontan Hakenwerkzeuge aus einem geraden Stück Draht her und bogen einen gekrümmten Draht in einer zweiten Aufgabe zu einem geraden Stoßwerkzeug.

Bereits in jungen Jahren stellen Kinder routiniert Werkzeuge her. Die Aufgabe, auf die Idee zu kommen aus einem Stück Draht einen Haken zu biegen, um ein Körbchen mit Henkel aus einer senkrechten Röhre herauszuholen, gelingt Kindern unter acht Jahren aber nur selten. Wie britische ForscherInnen herausfanden, gelang es der Mehrheit der Kinder erst im Alter von acht Jahren, selbstständig ein Hakenwerkzeug zu erfinden. Nach einer Demonstration waren aber Kinder aller Altersklassen in der Lage selbst einen Haken zu biegen. Obwohl es ein offensichtliches Verständnis davon gibt, welche Art von Werkzeug benötigt wird und auch die Fähigkeit gegeben ist, ein funktionales Werkzeug herzustellen, scheint es ein kognitives Hindernis bei der Erfindung dieses zu geben.

KognitionsbiologInnen und Vergleichende Psychologen der Universität Wien, der Universität St. Andrews und der Veterinärmedizinischen Universität Wien um Isabelle Laumer stellten dieselbe Aufgabe erstmals einer Menschenaffenart. "Wir konfrontierten die Orang-Utans mit einem geraden Stück Draht und einer senkrechten durchsichtigen Röhre, die ein Körbchen mit Henkel, befüllt mit ihrem Lieblingsfutter, enthielt. In einer zweiten Aufgabe erhielten die Tiere ein um 90 Grad gebogenes Stück Draht und eine horizontale Röhre, die in der Mitte eine Belohnung enthielt", erklärt Isabelle Laumer, die die Studie im Zoo Leipzig durchführte. Um an den Inhalt des Körbchens zu gelangen, mussten die Tiere auf die Idee kommen die Spitze des Drahts zu einem Haken zu verbiegen, diesen in den Henkel einzuhängen und das Körbchen hochzuziehen. In der zweiten Aufgabe befand sich die Belohnung in der Mitte eines horizontalen Röhrchens. Um zu dem Futter zu gelangen, mussten die Tiere ein um 90 Grad gebogenes Drahtstück gerade biegen. Nur dadurch konnten sie das Futter aus dem Röhrchen herausstoßen.

Mehrere Affen waren in der Lage beide Aufgaben zu lösen. Zwei Orang-Utans lösten sogar beide Aufgaben innerhalb der ersten Minuten des allerersten Versuchs. "Die Orang-Utans haben die Haken meistens direkt mit ihren Zähnen und dem Mund gebogen, während sie den Rest des Werkzeugs gerade gelassen haben. Danach führten sie es sofort richtig herum ein, hakten es in den Henkel ein und zogen das Körbchen hoch", erklärt sie weiter.

Orang-Utans teilen 97 Prozent ihrer DNA mit Menschen und gehören zu den intelligentesten Primaten. Sie haben ein menschenähnliches Langzeitgedächtnis, benutzen routinemäßig eine Vielzahl ausgefeilter Werkzeuge in der Wildnis und bauen jede Nacht aus Laub und Ästen aufwendige Schlafnester. Wie alle vier großen Menschenaffen sind sie vom Aussterben bedroht und stehen auf der Roten Liste der IUCN. Der natürliche Lebensraum beschränkt sich heute nur noch auf die Regenwälder von Sumatra und Borneo. „Der Verlust des Lebensraums aufgrund der extensiven Palmölproduktion, illegaler Handel und Wilderei sind die Hauptbedrohungen für in Freiheit lebende Orang-Utans. Palmöl ist das am häufigsten verwendete Pflanzenöl der Welt. Solange es eine Nachfrage nach Palmöl gibt und die Verbraucher weiterhin Produkte kaufen, die Palmöl enthalten, floriert die Palmöl-industrie. Laut eines Gutachtens des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2007 werden Orang-Utans innerhalb von zwei Jahrzehnten in freier Wildbahn ausgestorben sein, falls sich die derzeitigen Entwaldungstrends fortsetzen.“ sagt Isabelle Laumer.

"Der Haken-Test hat sich zu einem Standard-Test für die Prüfung der Innovationsfähigkeit von Werkzeugen in der vergleichenden Psychologie entwickelt.", sagt Alice Auersperg von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Die Tatsache, dass die Affen sehr schnell auf die Lösung gekommen sind, lässt vermuten, dass die Orang-Utans das Hakenwerkzeug aktiv als Lösung für dieses Problem gebaut haben.“
"Diese Fähigkeit bei einem unserer nächsten Verwandten zu finden, ist erstaunlich. In der menschlichen Evolution erscheinen Hakenwerkzeuge erst relativ spät. Erste archäologische Funde von Angelhaken und harpunenartigen, gekrümmten Objekten sind etwa 16.000 - 60.000 Jahre alt", erklärt Josep Call von der Universität von St. Andrews.

Warum also ist die Erfindung eines Hakenwerkzeugs für jüngere Kinder so schwierig? "Folgestudien zeigten, dass die Probleme der Kinder die Aufgabe zu lösen, nicht darauf zurückzuführen sind, dass sie zu impulsiv wären, auf nichtmodifizierte Werkzeuge fixiert sind oder nicht in der Lage wären eine bereits verfolgte Strategie zu ändern. Die Aufgabe stellt ein komplexes Problem dar, zu dessen Lösung mehrere unbelohnte Teilschritte nötig sind, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren.", erklärt Isabelle Laumer. "Komplexe Problemstellungen werden in bestimmten Arealen des medialen präfrontalen Kortex verarbeitet. Interessanterweise reift dieses Hirnareal bei Kindern erst später vollständig aus. Das könnte den Erfolg der älteren Kinder erklären."

Publikation in "Scientific Reports":
Laumer I.B., Call J., Bugnyar T., Auersperg A.M.I "Spontaneous innovation of hook-bending and unbending in orangutans (Pongo abelii)"
Onlineveröffentlichung: November 8, 2018
DOI: 10.1038/s41598-018-34607-0

Die Publikation ist online verfügbar unter: www.nature.com/articles/s41598-018-34607-0

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. Isabelle Laumer

Department für Kognitionsbiologie
Universität Wien
, 1090 - Wien, Althanstraße 14 (UZA I)
+43-680-124 66 28
isabelle.laumer@univie.ac.at

Dr. Alice Auersperg

Head of Goffin Lab – Messerli Forschungsinstitut
Veterinärmedizinische Universität Wien
, 1210 - Wien, Veterinärplatz 1
+43-676-939 03 92
alice.auersperg@vetmeduni.ac.at

Rückfragehinweis

Paulina Parvanov, BA MA

Pressebüro
Universität Wien
1010 - Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-175 40
+43-664-60277-175 40
paulina.parvanov@univie.ac.at