Wenn Knochen erzählen

Am 13. Juli 2011 war der Seminarraum in der Fachbibliothek für Anglistik und Amerikanistik am Universitätscampus voll mit zukünftigen AnthropologInnen, die gespannt den Worten von Sylvia Kirchengast über alte menschliche Knochen lauschten.

Mit Staunen erfuhren die Kinder, dass AnthropologInnen nicht nur mit Messwerten im Labor arbeiten, sondern öfters auch zu "normalen" Haushaltsgegenständen wie Zahnbürste, Kleber & Co greifen müssen. Anthropologie bedeutet übrigens Lehre vom Menschen und ist ein Teilgebiet der Biologie. AnthropologInnen verdanken es der Natur, dass sich menschliche Knochen nur sehr langsam zersetzen und wir heute so erstaunliche Dinge wie Alter, Größe, Geschlecht, Todesursache und Krankheiten der betroffenen Person herauslesen können.

Mann oder Frau?

Besonders verwunderlich waren die Fakten, dass männliche Oberschenkelknochen länger sind und das weibliche Becken breiter ist. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern zeigt sich auch am Schädel, da die Stirn von Frauen steiler ist und ihre Gesichtszüge feiner sind.

Anthropologin Sylvia Kirchengast im Kinderuni-Interview:

Kinderuni-Reporterinnen: Haben Sie sich schon immer für Anthropologie interessiert?
Sylvia Kirchengast: Eigentlich schon, ich wollte bereits mit 17 Anthropologin werden.

Kinderuni-Reporterinnen: Was gefällt Ihnen an diesem Beruf am besten?
Kirchengast: Mich interessiert vor allem der Mensch. Ich habe mich einerseits für Medizin und andererseits für Archäologie interessiert. Anthropologie ist eine schöne Mischung, weil ich dabei in beiden Bereichen relativ viel arbeiten kann und weil ich Geschichte besonders spannend finde. Ich arbeite auch sehr viel mit der Erforschung von Krankheiten, die sich am Skelett ablesen lassen und die Arbeit ist sehr schön, weil ich mit Archäologen und Archäologinnen zusammenarbeite. Außerdem ist es interessant, weil ich am Skelett sehe, welche Verletzungen und Probleme die Menschen hatten und ob in der Zeit, in der sie gelebt haben, vielleicht eine große Hungersnot stattgefunden hat und wie sich diese auf ihren Körper ausgewirkt hat. In Folge einer Hungersnot werden die Menschen im Durchschnitt kleiner, weil sie unter Ernährungsmangel leiden.
 
Kinderuni-Reporterinnen: Gruseln Sie sich manchmal vor Skeletten?

Kirchengast: Nein, nicht wirklich. Wenn dieser Mensch auf eine besonders grausame Art und Weise umgebracht wurde, gibt es einem schon zu denken, aber gruseln tue ich mich nicht. Das ist für mich etwas ganz Normales. Was ein bisschen angsteinflößend ist, und womit ich nicht so gerne arbeite, sind Mumien, weil da noch relativ viele Weichteile erhalten sind.

Kinderuni-Reporterinnen: Wie kann man das Wissen über alte Knochen heute anwenden?
Kirchengast: Da gibt es natürlich schon einige Möglichkeiten: An meinem Institut zum Beispiel, wo Ötzi untersucht wurde, wurde eine neue Methode für Röntgen entwickelt, die in der Orthopädie anwendbar ist. Natürlich kann man an jahrhundertealten Knochen nur die Krankheiten feststellen, die sich auch auf den Knochen bemerkbar machen. Schnupfen zählt da jedenfalls nicht dazu. Ich schaue mir zum Beispiel gerne an, wie die Leute seit dem Mittelalter durchschnittlich immer größer geworden sind.

Kinderuni-Reporterinnen: Was würde diese Frau wohl denken, wenn sie wüsste, was man mit ihren Knochen heute alles anstellt?
Kirchengast: Das ist eine ethische Frage. Wir sagen auch den Studierenden immer, dass alte Knochen kein Spielzeug sind und dass das, was sie in den Händen halten, einst ein lebendes Wesen wie du und ich war. Diese Römerin hat sich vor 1.900 Jahren sicher nicht vorgestellt, dass sie einmal in der Kinderuni am Tisch liegen wird. Ich weiß, dass auch mein Skelett in ein paar hundert Jahren bearbeitet werden könnte, aber da ich eher ein Problem mit dem Verwesungsprozess habe, werde ich mich verbrennen lassen.


Den Text haben die Kinderuni-Reporterinnen Dominika Kassovicova und Emi Gerstbauer verfasst. Die Fragen für das Interview hat Dominika gestellt, fotografiert hat Emi. Dominika ist 13 Jahre alt und besucht das Albertus Magnus Gymnasium und Emi ist 12 Jahre alt und besucht das Gymnasium Purkersdorf.