Von Wien nach ... Palma de Mallorca

Die Entdeckung der Gravitationswellen 2015 durch ein WissenschafterInnenteam galt als einer der Favoriten für den Physik-Nobelpreis. An der "LIGO Scientific Collaboration" war auch der Physiker und Alumnus der Universität Wien Sascha Husa beteiligt. Im Interview erzählt er über seinen Part im LIGO-Projekt und seine Studienzeit.

1918 wurde von Albert Einstein eine völlig neue Erklärung der für uns alltäglichen und allgegenwärtigen Schwerkraft gefunden: die Krümmung der Raumzeit. Doch erst rund 100 Jahre später gelang es WissenschafterInnen erstmalig, diese Vorhersage anhand von Signalen nachzuweisen. Im Rahmen des internationalen LIGO-Projekts (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), an dem mehrere hundert WissenschafterInnen in über 40 Instituten weltweit mitwirken, wurde 2015 die Existenz der Gravitationswellen, also minimaler Verzerrungen der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen, nachgewiesen.

Die Entdeckung der Gravitationswellen wurde als einer der Geheimfavoriten für den am 4. Oktober 2016 verliehenen Physik-Nobelpreis gehandelt. Auch wenn es heuer nicht geklappt hat – der Preis ging an die US-Forscher David J. Thouless, F. Duncan M. Haldane und J. Michael Kosterlitz für die Erforschung topologischer Phasenübergänge und topologischer Phasen von Materie – gilt der Nachweis als sensationell. 

Sascha Husa, Gravitationsphysiker und Alumnus der Universität Wien, ist einer der Wissenschafter des LIGO-Projekts. Vor kurzem besuchte er für einen Vortrag auf der 66. Jahrestagung der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft (ÖPG) seine Alma Mater, die Universität Wien. uni:view nutzte die Gelegenheit, um den Wissenschafter über die Entdeckung, seine Forschung und seine Zeit an der Universität Wien zu interviewen.

uni:view: Mit dem Nachweis der Existenz von Gravitationswellen wurde Albert Einsteins These bewiesen. Was können wir noch aus der Entdeckung der Gravitationswellen lernen?
Sascha Husa: Wir bekommen Informationen über den Lebenszyklus von Sternen, konkret darüber, wie Sterne sterben. Zudem wird z.B. bei Zusammenstößen von Neutronensternen oder Supernova-Explosionen auch neues Material wie Sauerstoff ins Weltall geschleudert. Ohne solche Ereignisse würde es uns also gar nicht geben, deswegen ist es wichtig, dass wir sie verstehen.

In seiner Arbeit von 1918 hat Einstein gezeigt, dass Gravitationswellen durch bewegte Massen entstehen. Hätte Sascha Husa die Möglichkeit, den Entdecker der Relativitätstheorie zu treffen, dann würde er ihn aber "wahrscheinlich gar nichts über Physik fragen", sondern lieber über andere Dinge sprechen, denn "Einstein war ja insgesamt eine äußerst interessante Persönlichkeit". (Foto: Ferdinand Schmutzer, 1921/Wikimedia)

uni:view: Was war Ihr Part bei dem Nachweis von Gravitationswellen im Rahmen des LIGO-Projekts?
Husa: Unsere Aufgabe war es, Modelle zu entwickeln, mit denen die kürzlich gemessenen Signale der kollidierenden Schwarzen Löcher auf ihre Echtheit überprüft werden konnten. Für die Analyse der Daten braucht man eine sogenannte Näherungsformel. Das ist eine Formel, die kein exaktes, sondern nur ein angenähertes Ergebnis liefert. Denn genau ausrechnen kann man das nicht. Die Formel muss sagen: Wenn zwei Schwarze Löcher mit einer bestimmten Masse und Rotationsgeschwindigkeit zusammenstoßen, wie sieht dann die Welle aus? Unser Hauptbeitrag war es, verschiedene Rechnungen für diese Näherungsformel zu finden.

Am ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen waren neben Sascha Husa auch weitere AbsolventInnen der Universität Wien beteiligt: die PhysikerInnen Michael Pürrer, Patricia Schmidt und Gernot Heißel. Sie sind Teil der mehr als 1.000 WissenschafterInnen umfassenden "LIGO Scientific Collaboration". Das Video zeigt die Geschichte des LIGO-Projekts von der Idee bis zum Nachweis der Gravitationswellen (englisch).

uni:view: Was passiert nun nach dem Nachweis der Gravitationswellen?
Husa: Wir verbessern unsere Modelle. Der erste Durchlauf der zweiten Generation wurde im Jänner abgeschlossen und Verbesserungen durchgeführt. Demnächst beginnt der zweite Durchlauf. In einem Jahr folgt der nächste – und so weiter. So wird es bis 2020 weitergehen.

uni:view: Gehen wir zurück zu Ihren wissenschaftlichen Anfängen. Sie haben an der Universität Wien Physik studiert und anschließend auch hier promoviert. Wie ist es für Sie, hier an Ihrer Alma Mater zu sein?
Husa: Ich bin immer mal wieder in Wien und auch an der Fakultät für Physik, denn meine Schwester arbeitet hier in der Bibliothek. Aber in dem Hörsaal, in dem ich gestern meine Public Lecture über die Entdeckung der Gravitationswellen hielt, war ich bestimmt schon über 20 Jahre nicht mehr. Das war schon aufregend.

uni:view: Wieso haben Sie sich damals nach der Matura für das Physikstudium entschieden?
Husa: Ich habe mich schon früh für Physik interessiert. Den Ausschlag gab aber tatsächlich in der 7. oder 8. Klasse ein Besuch der Fakultät für Physik der Universität Wien. Der Vater einer Klassenkameradin war Laborant und lud unsere Klasse zu einer Besichtigung ein. Wir betraten das Gebäude durch den Keller, in dem lauter Experimente aufgebaut waren, für die sich die WissenschafterInnen irgendwelche provisorischen Hilfsmittel gebastelt hatten. Ich erinnere mich z.B. an den Einsatz eines alten Commodore 64 als Elektronik bei einem komplizierten Experiment. Mir hat sofort gefallen, wie die Leute arbeiten und wie sie auf kreative Art Probleme lösen. Da war mir klar: Das möchte ich auch später machen. (lacht)

uni:view: Gibt es etwas aus Ihrer Studienzeit, an das Sie sich besonders (gerne) erinnern?
Husa: Spontan fällt mir da das Gschnas der Theoretischen Physik ein. Gemeinsam mit StudienkollegInnen habe ich das etwas in Vergessenheit geratene Faschingsfest wiederbelebt. Das berühmte Gschnas der Gravitationsgruppe wurde daraufhin viele Jahre am Campus der Universität Wien gefeiert. Natürlich musste das Fest aus praktischen Gründen immer bis in die frühen Morgenstunden gehen, damit wir mit der U-Bahn heimfahren konnten. (lacht)
Nein, aber ernsthaft, das hat viel zur Verbindung und Vernetzung zwischen den Leuten beigetragen. Die Universität Wien hat den logistischen Vorteil, mitten im Stadtzentrum zu sein. Da gibt es einfach eine ganz andere Interaktion. Der Austausch zwischen Studierenden und DoktorandInnen ist wesentlich intensiver, als ich es an anderen Universitäten erlebt habe.

uni:view: Nach Ihrer Promotion an der Universität Wien habilitierten Sie an der Universität Jena in Theoretischer Physik. Aktuell sind Sie assoziierter Professor an der Universität der Balearen in Palma de Mallorca (Spanien) – was hat Sie nach Spanien verschlagen?
Husa: Ich bin seit September 2008 an der Universität der Balearen. Meine Frau, die übrigens auf demselben Gebiet wie ich arbeitet, stammt aus Menorca und hatte auf Mallorca schon vorher eine Stelle. Es hat sich zum Glück ergeben, dass ich ebenfalls eine Stelle dort bekam – das ist nicht selbstverständlich.

uni:view: Was möchten Sie in Ihrer wissenschaftlichen Karriere unbedingt noch machen?
Husa: Es gibt es natürlich verschiedene Traumprojekte. Eine spannende Frage ist beispielsweise, was wir durch die Gravitationswellen über das Universum lernen können. Aber ich glaube, man muss sich von allzu großen Plänen frei machen und Chancen ergreifen, wenn sie sich auftun – zum Beispiel überraschende Erkenntnisse, die weiter zu untersuchen sich lohnt. Bei LIGO war das ursprüngliche Hauptziel auch zunächst, die Kollision von Neutronensternen zu untersuchen und nicht jene von Schwarzen Löchern. Es zeigte sich aber, dass wir Kollisionen von Schwarzen Löchern wesentlich öfter messen konnten. Nicht unbedingt, weil sie häufiger vorkommen, sondern weil sie viel stärker sind. Ich hoffe aber, dass wir demnächst auch Kollisionen von Neutronensternen nachweisen können.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (mw)