Unsere Kristallographie (Teil 2)

"Im Bereich Umweltschutz liegen spannende Zukunftsaufgaben für KristallographInnen", so Tamara Djordjevic und Astrid Wittwer von der Universität Wien. Für die Interview-Serie "Unsere Kristallographie" berichten sie über aktuelle Forschungsergebnisse und innovative Anwendungsbereiche.

Redaktion: Was fasziniert Sie an der Kristallographie?
Tamara Djordjevic: Ihre Vielfalt! Während meines Studiums der Mineralogie und Kristallographie an der Universität Belgrad lernte ich etwas über die unterschiedlichsten festen Stoffe – von Kristallisationsformen in Margarine über Nierensteine bis hin zu metallisch-organischen Verbindungen. Da aber die Mineralogie meine "große Liebe" ist, habe ich entschlossen, weiter in diese Richtung zu forschen. Seit 2002 bin ich an der Universität Wien und arbeite in den Bereichen mineralogische Kristallographie, Feststoffchemie und Umweltmineralogie.

Astrid Wittwer: Ich wollte schon immer wissen, warum es so viele verschiedene Materialien gibt und wie sie aufgebaut sind. Das Studium der Kristallographie an der Universität Wien lieferte mir diese Antworten. Es ist faszinierend, wie die Anordnung der verschiedenen Atome im Kristallgitter nicht nur das Aussehen, sondern auch physikalische und chemische Eigenschaften beeinflusst. Beeindruckend ist auch, wie viele Kristallformen es gibt, die unterschiedlichen Symmetrien folgen.

Redaktion: Woran forschen Sie derzeit?
Tamara Djordjevic: Ich leite derzeit das Forschungsprojekt "Kristallographie von umweltrelevanten Oxosalzen des Arsens", das vom FWF im Rahmen des Elise-Richter-Programms finanziert wird. Im Fokus stehen umweltrelevante Verbindungen von Arsen. Wir untersuchen strukturelle Merkmale und die Stabilität der natürlich vorkommenden Verbindungen von Arsen.

Darüber hinaus analysieren wir mineralähnliche synthetische Verbindungen, die als Folge menschlicher Aktivitäten auftreten und für umweltrelevante Fragestellungen von Nutzen sein können. Wir möchten auch das Verhalten synthetischer Verbindungen verstehen. Aus diesem Grund brauchen wir eine strukturelle Klassifizierung von natürlichen, arsenhaltigen Oxosalzen (Arsenite und Arsenate).

Astrid Wittwer: Ich arbeite im Zuge des Projekts von Tamara Djordjevic an meiner Masterarbeit. Darin beschäftige ich mich vorrangig mit der Synthese und Charakterisierung bisher unbekannter Arsen-Verbindungen, wie sie zum Beispiel bei Minenabwässern oder Abfällen von Verhüttungsprozessen vorkommen könnten. Es ist wichtig, die Auswirkungen von Abfallprodukten der Rohstoffindustrie auf die Umwelt zu untersuchen. Schließlich ist Arsen ein gefährlicher Umweltschadstoff und wir sollten so viel wie möglich darüber erfahren.


"Mein Lieblingskristall ist wahrscheinlich der Magnetit: Er bildet meist oktaedrische, magnetische Kristalle mit metallischem Glanz aus, die so aussehen, als würden sie von einem anderen Planeten stammen." (Foto: Rob Lavinsky/Wikimedia) 



Redaktion: Was war Ihr wichtigstes bisheriges Forschungsergebnis?
Astrid Wittwer: Es ist mir gelungen, neue Arsenate zu synthetisieren, aber auch zwei neue Arsenite. Darüber freue ich mich besonders, da diese viel seltener vorkommen als Arsenate.

Tamara Djordjevic: Kristallographie ist notwendig, um die verschiedenen festen Modifikationen einer Verbindung voneinander zu unterscheiden. Die Verbindungen können in unterschiedlichen kristallinen Formen existieren, die man Polymorphe nennt. Alle polymorphen Formen einer Verbindung besitzen unterschiedliche Eigenschaften. Im Rahmen von zwei aktuellen Publikationen habe ich die Polymorphe von Pbca-Ba (AsO3OH) und P21-Ba (AsO3OH) genauer unter die Lupe genommen. Die Suche nach verschiedenen Polymorphen und deren Kristallstrukturen ist von großer Bedeutung, denn dadurch können wir Stoffe gezielter einsetzen und kostengünstiger herstellen.

Redaktion: Die UNESCO hat das Jahr 2014 zum Jahr der Kristallographie erklärt. Warum ist die kristallographische Forschung wichtig für unsere Gesellschaft? Was sind die großen aktuellen Fragen?

Astrid Wittwer: Wie bereits erwähnt, beeinflusst die Anordnung der Atome die Eigenschaften in Kristallen. Man ist stets auf der Suche nach neuen, besseren Materialien, z.B. für die Halbleiterindustrie, da bestimmte Materialien zu teuer oder nur begrenzt verfügbar sind. Darum ist es wichtig, an neuen Materialien zu forschen und beispielsweise zu erfahren, wie durch die Manipulation der Kristallstruktur die Eigenschaften von Materialien verändert werden können.

Tamara Djordjevic: Vom Design neuer Materialien bis hin zur Entwicklung von Medikamenten – die Kristallographie kann in vielen Bereichen wichtige Erkenntnisse beisteuern. Auch im Umweltschutz liegen spannende Zukunftsaufgaben. Dies ist auch ein wiederkehrendes Thema in meiner Forschungsarbeit: Dank der Kristallographie können wir Bergbauabfälle charakterisieren, benötigte Materialien aus dem Bergbauabfall extrahieren und die Auswirkung des Bergbauabfallmaterials auf die Umwelt prognostizieren. Darüber hinaus können wir kristallographisches Wissen nutzen, um Umweltverschmutzungen zu reduzieren, z.B. verwendet die Geochemie kristallographische Ergebnisse für die Geo-Thermo-Barometrie und für den Umweltschutz.


"Was meinen Lieblingskristall betrifft: 'Die innere Schönheit zählt.' Manchmal sind es die unspektakulären Kristalle, die beeindruckende Eigenschaften haben. Mir gefällt der Calcit, den ich auch auf meinem Schreibtisch liegen habe. Bis heute wurden weltweit mehr als 300 Kristallformen des Calciten identifiziert; wenn sich diese Formen kombinieren, können buchstäblich tausend verschiedene Kristallvariationen entstehen." (Foto: Parent Géry/Wikimedia)



Redaktion:
Was wissen die meisten Menschen nicht über Kristallographie?

Astrid Wittwer:
Kristalle gibt es nicht nur in der Mineralogie und den Geowissenschaften, sondern zum Beispiel auch in der Biologie – Proteine und Vitamine etc. sind nämlich ebenfalls Kristalle.

Redaktion: Wo trifft man im täglichen Leben überall auf Kristalle?
Tamara Djordjevic: Erkenntnisse aus der Kristallographie gehören zum Alltag: Sie lassen sich im Handy, Waschmittelenthärter, Kochsalz, Zucker oder in der Schokolade finden. Kristalle können gezüchtet werden oder wachsen auf natürliche Weise in Form von Mineralen. Diese Mineralien gibt es aber nicht nur auf der Erde: Der "Curiosity"-Rover hat im Oktober 2012 Bodenproben vom Planeten Mars mittels Röntgenkristallographie untersucht. Die NASA hat den Rover zuvor mit einem Röntgendiffraktometer ausgerüstet. Die Resultate dieser Messungen haben gezeigt, dass der Boden vom Mars den verwitterten basaltischen Böden der Hawaiianischen Vulkane ähnelt.

Astrid Wittwer: Das Prinzip des Bleistifts beruht auf Kristallographie. Die Bleistiftmine besteht heutzutage aus einem Graphit-Ton-Gemisch. Die schichtenförmige Anordnung der Kohlenstoffatome im Graphit ermöglicht erst das Schreiben. Zwischen den einzelnen Schichten herrschen nur schwache Bindungen, beim Schreiben wird eine Schicht nach der anderen abgetragen und am Papier abgelagert. (hm)

Über die Wissenschafterinnen:

Tamara Djordjevic, Habilitandin, 1976 in Belgrad geboren, vom Institut für Mineralogie und Kristallographie der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie kam 2002 im Rahmen eines PhD-Programmes an die Universität Wien und ist seitdem wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lektorin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der mineralogischen Kristallographie, Feststoffchemie und Umweltmineralogie.

Astrid Wittwer, MSc-Studierende, 1989 in Wien geboren, vom Institut für Mineralogie und Kristallographie der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie begann im Oktober 2009 ihr Studium der Erdwissenschaften an der Universität Wien. Derzeit arbeitet sie an ihrer Masterarbeit zum Thema "Drei neue Arsenate des Alluaudit-Typs: Eine kristallographische Charakterisierung" unter der Leitung von Dr. Tamara Djordjevic.