Sozial-ökologische Verantwortung der Sozialwissenschaften

Kürzlich wurde auf der UNESCO Generalversammlung der "World Social Science Report" präsentiert, der auch einen Beitrag von Ulrich Brand enthält: Darin plädiert der Politikwissenschafter der Universität Wien für mehr sozialwissenschaftliche Umweltforschung. Für uni:view berichtet er über die Hintergründe.

Die jüngst in Warschau zu Ende gegangene 19. Weltklimakonferenz hat wieder einmal gezeigt, dass es in der Klimapolitik nicht vorangeht. Es herrscht Frustration auf den alljährlichen Treffen der Vertragsstaaten eben jener Klimarahmenkonvention, die 1992 beim Nachhaltigkeitsgipfel in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde. Weltweit nehmen Ressourcenverbrauch und Emissionen weiterhin zu. Letzteres zeigt auch der Weltklimarat IPCC in seinem kürzlich veröffentlichten Teilbericht des inzwischen fünften Assessment der Klimaforschung.

Eine Politik, die sich nicht traut

Die Gründe für die schleppende Politik sind vielfältig: Der ressourcenintensive Lebensstil der Menschen im globalen Norden, der sich in den Schwellenländern ausbreitet. Die auf Gewinne ausgerichteten Unternehmen, die zwar Nachhaltigkeit mehrheitlich als Werbestrategie erkannt haben, aber weitgehend so weitermachen wie bisher. Die Macht der Bergbau-, Gas- und Ölkonzerne, die ihre Geschäftsgrunde nicht gefährden wollen. Dazu kommt eine Politik, die sich nicht traut, den Umbau hin zu einer zukunftsfähigen Produktions- und Lebensweise ganz oben auf die Agenda zu setzen. In Krisenzeiten noch viel weniger.

Kann aber auch einer der Gründe für politische Rückschritte darin liegen, dass die Sozialwissenschaften in der Umweltforschung insgesamt zu wenig berücksichtigt werden? Dies ist die Ausgangsthese des gerade publizierten "World Social Science Report" des International Social Science Council (ISSC), der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und der Wirtschaftsorganisation der Industriestatten (OECD).

Übergewicht der Naturwissenschaften

Das Übergewicht der Naturwissenschaften in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in der Forschungsförderung haben dazu geführt, dass die gesellschaftspolitische Dimension des Umwelt- bzw. Klimathemas unterschätzt wurde. Österreich ist hier nicht auszunehmen, auch wenn sich insbesondere der Klima- und Energiefonds (KLIEN) zunehmend für sozialwissenschaftliche Fragestellungen öffnet.

Umweltveränderungen eng verbunden mit sozialen Krisen

Der Report hat es in sich, öffnet er doch ein weites Terrain für problemorientierte, interdisziplinäre und gesellschaftlich verantwortliche Forschung. So schreiben die für den Report verantwortlichen Wissenschafterinnen, Heide Hackmann und Susanne Moser, in ihrer Einleitung, dass die globalen Umweltveränderungen eng verbunden sind mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen wie Armut und Ungleichheit. Globale Nachhaltigkeit könne entsprechend nicht nur darin bestehen, die vereinbarten Klimaziele einzuhalten, sondern auch Gerechtigkeit, würdiges Leben und Wohlbefinden für alle Menschen zu schaffen. Sozialwissenschaften hätten hierbei die Aufgabe, die gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen der Umweltveränderungen eigenständig zu erforschen und sich den Takt nicht von den Naturwissenschaften vorgeben zu lassen – gleichwohl aber den gleichberechtigten Dialog mit jenen zu führen.

State of the Art

Es wird ein Plädoyer entwickelt, entlang von einigen Eckpunkten eine "transformative Wissenschaft" voranzutreiben. Wissenschaft hat dabei nicht nur problemorientiert zu sein, sondern sie stellt das Wissen bereit, damit Entscheidungen politischer und gesellschaftlicher Akteure besser werden, indem Blockaden überwunden, Verantwortlichkeiten benannt, positive Ansätze in Nischen verstärkt und positive Visionen aufgezeigt werden. Wissenschaft hat also ausgehend von rigoroser Analyse auch eine explizit normative Komponente – implizit hat sie die ohnehin immer, auch wenn das in manchen Strömungen bestritten wird.

Die Auswahl des Themas selbst zeigt an, für wie wichtig umwelt- und ressourcenpolitische Themen innerhalb der Wissenschaftsgremien der UNO-Apparatur erachtet werden. In einem aufwändigen Prozess der Einreichung von Abstracts sowie der anonymen Begutachtung der Artikel stellt der Report einen beeindruckenden "State of the Art" dar, der mit eher kurzen Beiträgen von etwa 150 WissenschafterInnen nicht nur die Scientific Community, sondern auch die breite Öffentlichkeit erreichen soll.

Beteiligung aus Österreich

Aus Österreich sind sieben AutorInnen an zwei Beiträgen beteiligt. Ich selbst habe einen Beitrag von zwölf AutorInnen aus sechs Ländern koordiniert, der einen knappen Überblick über die aktuelle sozialwissenschaftliche Diskussion über "sozial-ökologische Transformation" gibt. Das Team agiert um ein vom BMWF für 2012 und 2013 finanziertes Forschungsprojekt an der Universität Wien, das den Stand der Debatte um "Transformation" und "Transition" in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung aufbereiten und Forschungsempfehlungen abgeben soll.

Das Projekt wiederum ist eine Aktivität im Bereich der europaweiten Joint Programming Initiative JPI CLIMATE, an der inzwischen 15 Länder beteiligt sind und in der die Klimaforschung stärker aufeinander abgestimmt werden soll. Zentraler Partner in Österreich ist das Climate Change Center Austria (CCCA), an dem unsere Universität beteiligt ist. Derzeit läuft ein Call für die Sozialwissenschaften, in dem das Transformationsthema zentral ist.

Bessere Zeiten für sozialwissenschaftliche Umweltforschung?

Brechen bessere Zeiten für die sozialwissenschaftliche Klima-, Umwelt- und Ressourcenforschung an? Man wird sehen. Zum einen ist die Forschungsförderung immer noch stark in den disziplinären Bahnen verankert, was konkret bedeutet: Umwelt, Klima und Ressourcen werden tendenziell den Natur- und Ingenieurswissenschaften zugeschlagen. Eine hoffnungsvolle Initiative des Wissenschaftsministeriums, etwa in der Forschung zu natürlichen Ressourcen stärker sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu fördern, hat sich noch nicht in Forschungsförderaktivitäten niedergeschlagen.

Zudem lassen die derzeit entwickelten Teilprogramme der EU im Rahmen von "Horizon 2020" im Bereich Umwelt, Klima und Ressourcen eher darauf schließen, dass es statt Öffnung zu einer Schließung kommt. Forschung in diesem Bereich – so der Stand der Dinge – soll die europäischen Unternehmen und Standorte wettbewerbsfähiger machen: Der Fokus liegt auf technologischen Innovationen statt auf einer guten Mischung von technologischen und sozialen Neuerungen – und es geht um Wirtschaftswachstum als zentrale Orientierung. "Grünes Wachstum" natürlich.

Doch mit solch engen Fragestellungen wird die Forschung kaum dazu beitragen, dass in Zukunft bessere Nachrichten von den Weltklimakonferenzen kommen.

Der World Social Science Report geht in eine ganz andere Richtung und man wünscht ihm, dass er breit und insbesondere bei den Forschungsförderern rezipiert wird, wichtige Debatten auslöst und weitertreibt sowie spannende und gesellschaftlich relevante Forschungen vorantreibt.



Univ.-Prof. Dipl.-Bw. Dr. Ulrich Brand ist Vorstand des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Das von ihm koordinierte Projekt "Transformation Research Review" läuft von Oktober 2012 bis Ende 2013 an der Universität Wien.