Sommer-Buchtipp von Sieglinde Rosenberger

Sieglinde Rosenberger vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien erzählt von ihrer preisgekrönten Publikation "living rooms" und verrät uns ihren Buchtipp für den Lesesommer. Dazu verlost uni:view Bücherpakete.

uni:view: Ihre Publikation "living rooms" ist kürzlich gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet worden: Es wurde als eines der schönsten Bücher Österreichs prämiert, zum anderen gewann das Buch die Goldmedaille bei den "European Design Awards". Was bedeuten Ihnen die beiden Preise?
Sieglinde Rosenberger: Die Preise anerkennen die kreative Visualisierung sozial- und kunstwissenschaftlicher Forschung, insbesondere jene von sozio-ökonomischen Fakten und Zahlen. Sie würdigen das gedruckte Buch, in gewisser Weise die sinnliche Vermittlung von Wissenschaft.

uni:view: Die Publikation basiert inhaltlich auf Forschungsergebnissen eines WWTF-Projekts, in dem Sie zum Thema Zugehörigkeiten und Alltagskonflikte im Gemeindebau forschten. Was fasziniert Sie persönlich am Zusammenleben im Gemeindebau?
Sieglinde Rosenberger: Rückblickend finde ich es faszinierend bzw. überraschend, wie unverhältnismäßig heute das Konzept "Zusammenleben" im Gemeindebau ist: Der Gemeindebau ist eine städtische Wohnform, zwar oft für Menschen mit knappen finanziellen Ressourcen, aber nicht mit dem Anspruch, Nachbarschaft zu leben, sondern urbane Anonymität. Die Idee "Zusammenleben" ist eher eine politische, um Konflikte zu lokalisieren.

uni:view: Im Rahmen des Projekts haben Sie gemeinsam mit KünstlerInnen ein "Wohnzimmer" installiert, in dem die BewohnerInnen Alltagsobjekte platzieren, die sie mit Heimat und Zugehörigkeit verbinden. Was waren für Sie die berührendsten Objekte?
Sieglinde Rosenberger: Eindrücklich waren die Objekte, die Heimat und imaginäre Verwurzelung ausdrückten, und zwar sowohl in räumlicher als auch in sozialer Hinsicht. Über diese Objekte – Bilder, Fotos, nationale Symbole, bürgerliches Inventar – wurde in Interviews in berührender Weise entlang von persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen gesprochen.

uni:view: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der Universität für angewandte Kunst erlebt – eine doch eher ungewöhnliche Kooperation?
Sieglinde Rosenberger: Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, wage ich zu sagen, immer eine Herausforderung. Und wenn das Interesse an Text und Wort einerseits und künstlerische Intervention andererseits aufeinander treffen, dann erfordert dies viele Gespräche über Deutungen und Bedeutungen, über Sinn und Zweck von Forschung, aber auch über den Stellenwert der Präsentation. Gerade letzteres hat sich durch die Prämierung des Buches als besonders erfolgreich heraus gestellt.



GEWINNSPIEL

uDas Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.

1 x "living rooms - Politik der Zugehörigkeiten im Wiener Gemeindebau" von Florian Bettel, Julia Mourão Permoser und Sieglinde Rosenberger (Hg.). Ambra Verlag 2012.
1 x "Kapital"http://ubdata.univie.ac.at/AC09594179  von John Lanchester. Klett-Cotta-Verlag 2014.



uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen für den Sommer?
Sieglinde Rosenberger:
Ich empfehle den Roman "Kapital" von John Lanchester.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Sieglinde Rosenberger: Lanchester lässt die Finanzkrise in einer Londoner Straße kulminieren. Die Geschichten von Menschen unterschiedlichster sozialer und regionaler Herkunft, wie etwa einer abgelehnten Asylwerberin und eines auf Boni bauenden Bankers, treffen aufeinander; die Klüfte sind groß und werden größer, und doch sind die Schicksale und Lebensläufe durch die Krise miteinander engstens verflochten. Der Roman zeigt Abhängigkeiten, Gleichgültigkeit aber auch Empathie, Menschen, die ihre Leben in die Hand nehmen können, Menschen, die dies nicht (mehr) können.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Sieglinde Rosenberger: Dass Leistung in der gegenwärtigen globalisierten Gesellschaft keineswegs mehr ausreicht, um gut zu leben, sondern dass es das Glück der Herkunft braucht.


Univ.-Prof. Mag. Dr. Sieglinde Rosenberger lehrt und forscht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und ist stv. Leiterin der Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary European Society". Die gemeinsam mit Florian Bettel und Julia Mourão Permoser herausgegebenen Publikation "living rooms – Politik der Zugehörigkeiten im Wiener Gemeindebau" erhielt Gold bei den European Design Awards 2014 in der Kategorie "Book Layout". Der Band ist als eines der Schönsten Bücher Österreichs 2013 ausgezeichnet worden.