Offener Brief von Walter Pohl an Bundeskanzler Faymann

Walter Pohl, Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien, hat einen offenen Brief an Bundeskanzler Faymann, Vizekanzler Spindelegger und Minister Mitterlehner verfasst. Lesen Sie hier sein Schreiben.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Faymann,
sehr geehrter Herr Vizekanzler Spindelegger,
sehr geehrter Herr Minister Mitterlehner,

als Wittgensteinpreisträger 2004 schreibe ich Ihnen aus Sorge um die Zukunft der Grundlagenforschung in Österreich. Unser Land hat seit den neunziger Jahren stetig seine internationale Position und Reputation in der Forschung ausgebaut. Österreichische Forschungsstätten haben weltweites Ansehen gewonnen, erstklassige Leute aus dem Ausland sind zu uns gekommen, und österreichische Forschende haben internationale Karriere gemacht. Ich selbst habe manche dieser Möglichkeiten nützen können und seit 1998 das Institut für Mittelalterforschung der Akademie der Wissenschaften aufbauen können, das heute Weltruf genießt. Viele FWF-Projekte sowie der Wittgenstein-Preis des FWF und ERC-Grants haben dabei mitgeholfen. 2011 erhielt ich dann einen Ruf an das Institute for Advanced Study in Princeton – ein Traumjob für jeden Wissenschaftler. Ich habe den Ruf letztlich abgelehnt, weil ich das junge Team von Forschenden nicht im Stich lassen wollte, das ich in Österreich hatte aufbauen können. Diese Entscheidung lag letztlich an der Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Österreich. Viel bleibt zu verbessern, im Vergleich mit den führenden Forschungsnationen sind Unis, FWF und außeruniversitäre Grundlagenforschung immer noch unterdotiert, aber wir waren auf einem guten Weg.

Doch jetzt ist dieser erfolgreiche Forschungspfad durch Budgetkürzungen bedroht. Es rächt sich, dass das Budget von FWF und ÖAW viele Jahre lang aus den verschiedensten Zusatztöpfen aufgebessert statt tatsächlich erhöht wurde. Ich hoffe, dass die kolportierten Zukunftsszenarien nicht Wirklichkeit werden. Denn es dauert lange, um die Reputation eines Wissenschaftsstandortes aufzubauen, sie kann aber viel schneller wieder verloren gehen. Das würde bedeuten, dass wir im Wettbewerb um die besten Köpfe längerfristig unterlegen sein werden. Anderswo wird investiert: Als Mitglied des Entscheidungsgremiums der Exzellenzinitiative der DFG war ich im Juni 2012 dabei, wie 2,4 Milliarden Euro an Forschungsmitteln vergeben wurden. Vielleicht braucht Österreich kein Exzellenzprogramm, aber es braucht dringend eine ausreichende Dotierung des FWF. Sonst können viele exzellente Forschungen nicht betrieben werden, viele hochbegabte Nachwuchskräfte nicht an die Forschung herangeführt werden, und aus vielen internationale Kooperationen und Netzwerken, in denen Spitzenforschung geschieht, würde Österreich herausfallen. Sehr geehrte Herren, Sie verkörpern die Hoffnung auf eine zukunftsfähige Politik. Lassen Sie nicht zu, dass die österreichische Forschungslandschaft beschädigt wird. Zumindest die von Herrn Bundesminister Mitterlehner geforderten Budgetmittel für die Forschung sind nötig, um in unserem Land weiter Spitzenforschung auf breiter Basis betreiben zu können.

Hochachtungsvoll,
Walter Pohl
(Universität Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften)