Offener Brief von Markus Arndt an Bundeskanzler Faymann

Markus Arndt, Dekan der Fakultät für Physik der Universität Wien, hat zum Thema "Wissenschaft ist Zukunft" einen offenen Brief an den Bundeskanzler verfasst. Lesen Sie hier sein Schreiben.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Sie werden sich vermutlich fragen, wieso gerade ich mich an Sie wende, um Sie um Ihre klare und nachhaltige Unterstützung für die Bildung, Wissenschaft und Grundlagenforschung in Österreich zu bitten.
Wir kennen uns noch nicht. Ich will Ihnen daher gerne erklären, warum mir Österreich persönlich wichtig ist. Ich bin nur Gast in Ihrem Land, wenn auch nun auch schon seit 17 Jahren. Zudem erfreue ich mich seit vielen Jahren einer vollen Universitätsprofessur an der Universität Wien und bis Herbst dieses Jahres meines Amtes als Dekan der Fakultät für Physik. Das hat mir in den letzten beiden Jahren einen guten Blick hinter die Kulissen auch der Universitätspolitik und Forschungsförderung gewährt, natürlich vor allem aus der Perspektive des Faches Physik, insbesondere der experimentellen Physik und meiner eigenen Spezialisierung in experimenteller Quantennanophysik.

Wann immer mich in den letzten zehn Jahren Kollegen gefragt haben, was mich nach Österreich gelockt hat und auch bis dato hält, so habe ich voller Stolz geantwortet, dass hier eine exzellente Forschungslandschaft aufgebaut wird, dass wir erstklassige AbsolventInnen haben, die auch nach Abschluss an der Uni Wien sehr gute Chancen als Postdocs an Eliteuniversitäten auf jedem Kontinent der Erde haben, und dass hier seit meinem Eintreffen vor 17 Jahren eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, die mich einfach fasziniert.

Wenn mich dagegen heute junge MitarbeiterInnen aus Österreich fragen, wohin sie ihre Karriere führen soll, so muss ich derzeit ehrlich antworten, dass mir eine Chance auf eigenständige Forschung in den nächsten Jahren in Österreich sehr stark gefährdet erscheint. Ich muss antworten, dass ich nicht sicher bin, ob ich selbst meine eigenen Forschungsinteressen in diesem Land noch weiter werde realisieren können. Die fehlende Klarheit zu Gunsten von Bildung, Forschung und Wissenschaft lassen mich befürchten, dass in Österreich der Blick für die Zukunft verloren gegangen ist.

Meine persönliche Karriere in Österreich basiert zu einem sehr großen Teil auf der damaligen Einsicht, dass man intensiv nationale Forschungsmittel für Bildung und spannende wissenschaftliche Projekte einsetzen sollte, gerade auch weil echte Neuerungen nicht vorhersehbar sind. Oft wird viel zu verkürzt von Innovation im Sinne technischer Entwicklungen gesprochen. Innovation erwächst aber vielmehr aus dem völlig Unerwarteten. Dieser Geist der Grundlagenforschung, die Suche nach dem Unbekannten inspiriert junge Menschen und stärkt sie auch auf einem Arbeitsmarkt, der in der Praxis dann vielfach stärker entwicklungs- als grundlagenorientiert ist.

Ich selber habe vom START-Preis und Wittgenstein-Preis des FWF enorm profitiert und trage durch meinen ERC Advanced Grant und andere EU-Projekte jetzt zum Geo-Return Österreichischer Investitionen bei. Wäre Österreich in den letzten zehn Jahren nicht in der Lage gewesen, mich zu fördern, wäre ich heute nicht hier und könnte heute auch keine Europäischen Forschungsmittel in mehrfacher Millionenhöhe wieder ins Land zurückführen – Geld, das vor allem wieder in die Ausbildung hochmotivierter junger WissenschafterInnen fließt. Hätten FWF und Universität Wien nicht substantiell in die Unterstützung von Spezialforschungsbereichen und Doktoratskollegs investiert, hätten unsere AbsolventInnen nicht die Voraussetzungen, nach ihrem Abschluss bei uns auch an internationalen Top-Universitäten und in besten Arbeitsumgebungen in der Österreichischen Wirtschaft zu arbeiten.

Die Universitäten und Fachhochschulen, der Wissenschaftsfonds (FWF) und die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sind die Brutstätten neuer Ideen. Diese Organisationen müssen stark und nachhaltig gefördert werden. Selbst Projekte, die nicht in drei Jahren zu einem Produkt führen, erfüllen eine der wichtigsten Aufgaben des Staates: junge Menschen auszubilden, rationale Methoden zu entwickeln, um auch in Zukunft komplexe Probleme lösen zu können.

An vielen Orten der Welt werden gerade jetzt frische Bildungs- und Forschungsinitiativen aufgelegt. Österreich hatte bislang eine gute Startposition im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe. Seit einiger Zeit vernehme ich nun Befürchtungen, die Grundlagenforschung könnte radikal und bis an die Grenze der Lebensfähigkeit beschnitten werden. Ich sehe die Sorge, dass den Universitäten bald das Basisbudget fehlt für Lehre, Laboratorien und Praktika.

In Krisenzeiten und wirtschaftlicher Not kann es durchaus geschehen, dass man große Ziele zurückstecken muss. Meines Wissens stehen die Bewertungen Österreichs durch große Ratingagenturen wie Moody's und Fitch aber derzeit auf Triple A. Moody's Ausblick wurde erst zu Beginn dieses Monats von negativ auf stabil erhöht – aller Bankprobleme zum Trotz. Österreich geht es objektiv betrachtet wirtschaftlich blendend im Vergleich zu fast jeder Nation auf diesem Planeten.

Ich bin als Quantenphysiker durchaus mit scheinbaren Paradoxien vertraut. Aber die politische Paradoxie, beim faktisch existenten heutigen Wohlstand überhaupt darüber diskutieren zu müssen, dass der Wohlstand der Zukunft aufs Spiel gesetzt werden könnte, verblüfft mich.

Ist es nicht offensichtlich, dass nur eine starke Grundlagenforschung echte Neuerungen schafft? Ist es nicht offensichtlich, dass viele auch gesellschaftlich wichtige Probleme nur mit staatlicher Förderung angegangen werden können, weil selbst reiche Unternehmen gar nicht die strategische Perspektive haben, Ideen zu entwickeln, die uns in zehn oder gar zwanzig Jahren erst einen neuen wirtschaftlichen Schub oder die Lösung eines gesellschaftlichen Problems anbieten? Ist es nicht offensichtlich, dass viele wirtschaftliche Schäden der Vergangenheit hätten vermieden werden können, wenn es mehr Forschung und mehr Faktenwissen gegeben hätte? Ist es nicht offensichtlich, dass Wissenschaft ein wichtiges Kulturgut Österreichs ist? Natürlich muss man auch stärker die Anbindung der Grundlagen an die Wirtschaft fördern. Aber wenn es nichts mehr anzubinden gibt, weil das Interesse am Wissen abgewürgt wird, was dann?

Wir haben persönlich nie darüber gesprochen. Vielleicht habe ich nicht die richtigen Informationen. Vermutlich liegen die richtigen Gesetzesentwürfe schon unterschrieben in der Schublade der Regierung.

Ich sähe es als einen erster Befreiungsschlag und einen ersten Schritt in die richtige Richtung, wenn Sie die Forderungen des Bundesministers Mitterlehner und der Initiative Wissenschaft-ist-Zukunft rasch und vollständig umsetzen könnten.

Hochachtungsvoll,

Markus Arndt
Dekan der Fakultät für Physik der Universität Wien