"Nicht Blumen, Rechte fordern wir!" Ein Interview zum Muttertag

Plakat Frauenprotesaktion 1986

Am 14. Mai ist Muttertag. Wie jedes Jahr bekommen Frauen/Mütter auch heuer wieder Blumen, Rabatte und andere Geschenke. Doch geht es darum? uni:view sprach mit Zeithistorikerin Maria Mesner über Frauen- und Familienbilder sowie über die Geschichte des Muttertags und dessen verschleiernde Funktion.

uni:view: Die Idee des Muttertags, der in seiner heutigen Form im deutschsprachigen Raum jährlich am zweiten Mai-Sonntag begangen wird, stammt ursprünglich aus den USA. Wann und wie kam die Idee nach Deutschland und Österreich?
Maria Mesner: Die um die Wende zum 20. Jahrhundert im Umfeld sozialreformerischer Frauenbewegungen entstandene Idee des Müttergedenkens stieß in Europa auf viel Widerhall. 1922/23 wurde der Muttertag in Deutschland eingeführt und ein Jahr später in Österreich. In Deutschland war vor allem der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber maßgeblich an der Durchsetzung beteiligt. Auf diese Weise sollte die durch die Wirtschaftskrise bedingte Flaute im Blumenverkauf behoben werden.

Gleichzeitig hatte die Idee des Mütterfeierns aber auch schon einen nationalistischen Bezug: Frauen wurden auf die einzige Funktion als Mutter reduziert, aufopferungsvoll und selbstlos verantwortlich für die Fortpflanzung des Volkes. Das sprach viele nationale Gruppierungen und Personen an. Die Etablierung des Muttertags war also eine Mischung aus Geschäftsinteresse und einem nationalistischen Zugang zu Frauenbiografien und Frauenkörpern.

uni:view: Wie sah es in Österreich aus, wer forcierte hier die Einführung des Muttertags?
Mesner: In Österreich waren vor allem die katholische Kirche und katholische Laienbewegungen zentral beteiligt. Der Katholizismus sieht für Frauen ja auch keine vielfältigen Rollen vor. In der bewegten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bot die Idee der Mutterrolle als von Gott und der Natur gewollt auch eine Art naturhafte Sicherheit gegen alle als Bedrohung empfundenen Veränderungen der Gesellschaft.

Maria Mesner ist stellvertretende Vorständin des Instituts für Zeitgeschichte und Leiterin des Referats Genderforschung an der Universität Wien. Sie forscht u.a. zur Geschichte der politischen Kultur sowie zur Geschlechter- und Körpergeschichte. (Foto: Universität Wien)

uni:view: Im Nationalsozialismus wurde der Muttertag als Feiertag fortgeführt…
Mesner: Ja, die Nationalsozialisten haben den Muttertag – wie so viele andere Dinge – übernommen. Auch wenn er in der NS-Zeit natürlich in einem anderen politischen Kontext stand, unterschied er sich nicht fundamental zu der Zeit davor – die nationalistischen Implikationen und die Indienstnahme von Frauen, ihren Körpern und Kapazitäten waren ja bereits von Beginn an vorhanden. Auch in Österreich brachte der Nationalsozialismus außer den Mutterkreuzverleihungen bei der Begehung des Muttertags keinen entscheidenden Wandel. Ein Jahr nach dem "Anschluss" zog das Deutsche Reich bereits in den Krieg – und ab da sollten Frauen vor allem in die Kriegsproduktion eingebunden werden.

uni:view:
Was passierte nach Kriegsende, wurde der Muttertag weiter gefeiert oder hatten die ÖsterreicherInnen erst einmal genug von Mutterschaftsideologien?

Mesner:
Der Muttertag wurde bruchlos weiter zelebriert. Nach 1945 herrschte in Österreich eigentlich bei allen politischen Kräften eine pronatalistische, d.h. die menschliche Reproduktion befürwortende Stimmung. In den 1950er Jahren fingen sogar die SozialdemokratInnen an, Muttertage zu feiern. In der Zwischenkriegszeit hatte die Sozialdemokratische Partei das noch abgelehnt; mit dem Argument, dass statt symbolischer Ehrung der Mütter sozialpolitische Maßnahmen wichtiger seien.

uni:view: Wieso änderte sich diese Haltung in der Nachkriegszeit?

Mesner: In den 1950er Jahren setzte sich in der Gesellschaft die Vorstellung einer Normfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, durch. Der Vater sollte arbeiten gehen, während sich die Mutter daheim um die Kinder und ihren Ehemann kümmert. In der Nachkriegszeit war, historisch betrachtet, die Idee von einem Einkommen pro Kleinfamilie für einen Großteil der Bevölkerung das erste Mal überhaupt denkbar.

Für viele Frauen war es eine Zeitlang wohl eine attraktive Vorstellung, nicht mehr den Spagat zwischen Erwerbs- und Familienarbeit machen zu müssen. Denn viele Frauen gingen damals arbeiten, um die geringen Löhne ihrer Männer aufzubessern. Weil die Familienarbeit undiskutierbar als weibliches Feld angesehen wurde, konnte die Mehrfachbelastung also nur durch das Wegfallen der Erwerbstätigkeit beseitigt werden. Auch wenn diese Idee in der Realität oft scheiterte, führte es dazu, dass der Muttertag in den 1950/60er Jahren unwidersprochen anerkannt wurde. Parallel bestanden weiterhin ökonomische Interessen, die ja auch heute noch maßgeblich sind.

uni:view: Wurde die Muttertagsidee denn auch kritisiert?

Mesner: In Österreich wurde das Bild, dass sich Frauen in der Mutterrolle ohne eigene Bedürfnisse für ihren Ehemann und ihre Kinder aufopfern, erst durch die sogenannte Zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren in Frage gestellt.

Am 7. Mai 1971 demonstrierten in Wien 130 Frauenrechtlerinnen am Muttertag für Gleichberechtigung und gegen den Abtreibungsparagraphen. (Foto: IMAGNO/Votava)

uni:view: Wie schaut es heutzutage mit dem Muttertag aus?
Mesner: Auch heute handelt das Muttertagsnarrativ noch davon, dass Frauen sich selbstlos und aufopferungsvoll verhalten sollen. Das sind Ideologisierungen und Idealisierungen, die kaum etwas mit der Realität von Frauen mit Kindern gemein haben. Auch heutzutage sind es vor allem noch Frauen, die unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten. Deswegen ist auch der Muttertag noch existent.

Einmal im Jahr sollen Frauen für ihre nichtbezahlte und nicht so geschätzte Arbeit symbolische Anerkennung erhalten. In vielen Fällen zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Der Vatertag hat ja nie diese symbolische Bedeutung und ideologische Aufladung erhalten, sondern war von Anfang an hauptsächlich kommerziell. Die Inhalte des Muttertags dagegen sind idealisierend und verschleiernd. Solche Feiertage braucht man nur, wenn das Konstrukt nicht ganz stabil ist. Denn wenn Mutterschaft, wie sie im Muttertagsnarrativ idealisiert, so natürlich wäre, bräuchte man sie nicht durch Rituale abzusichern.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (mw)

Zur Person:
Doz. Mag. Dr. Maria Mesner studierte Geschichte, Deutsche Philologie und Soziologie an der Universität Wien, wo sie 1994 promovierte. 2004 folgte die Habilitation (Thema: "Geburten/Kontrolle. Reproduktionspolitiken in Österreich und in den USA im 20. Jahrhundert") an der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Seit 2000 leitet Maria Mesner das Wiener Bruno-Kreisky-Archiv und seit 2015 das Referat Genderforschung der Universität Wien. Seit Oktober 2016 ist sie zudem stellvertretende Institutsvorständin des Instituts für Zeitgeschichte.