Muslime in Österreich: 100 Jahre Islamgesetz

Mit einem Festakt im Wiener Rathaus am 29. Juni 2012 feiert die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) 100 Jahre offizielle staatliche Anerkennung des Islams. Am Tag zuvor steht das Islamgesetz im Zentrum einer rechtswissenschaftlichen Tagung an der Universität Wien.

Das Verhältnis zwischen dem christlich geprägten Europa und dem Islam war lange Zeit von einem religiös-politischen Gegensatz bestimmt, und die zweimalige Belagerung Wiens durch die Osmanen hat sich im kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen. Das änderte sich für Österreich-Ungarn durch den Berliner Kongress von 1878, der den russisch-türkischen Krieg gegen die osmanische Herrschaft auf dem Balkan beendete. Im Zuge einer neuen Aufteilung der Gebiete wurde Bosnien-Herzegowina Österreich-Ungarn zunächst zur Verwaltung zugesprochen, etwas später, 1908, annektiert.



Am Donnerstag, 28. Juni 2012, findet um 16 Uhr im Dachgeschoß des Juridicum die Tagung "100 Jahre Islamgesetz" statt.
Nach einer Einführung durch Richard Potz, Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht, beleuchten ExpertInnen das Islamgesetz in Geschichte und Gegenwart. Weitere Informationen



Dies machte es notwendig, ein Gebiet mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung in das Rechtssystem der Monarchie einzugliedern und den Islam mit dem seit 1867 geltenden "Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger", das die durch Joseph II. initiierte Religionstoleranz ablöste, in Einklang zu bringen. Dort heißt es: "Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig", ist aber zugleich "wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen". Mit dieser Integration des Islams in die staatliche Rechtsordnung stellt Österreich einen singulären Fall dar.


Der Weg zur Islamischen Glaubensgemeinschaft

Dieses "Islamgesetz" ruhte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie, und die Muslime in Österreich konnten sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in Vereinen organisieren. Aufgrund der zunehmenden Zahl von Muslimen, die in den 1960er Jahren zunächst vor allem als Gastarbeiter nach Österreich kamen, wurde auf der Basis des Gesetzes von 1912 die Einrichtung einer Glaubensgemeinschaft betrieben, zu der es damals noch nicht gekommen war. Dem 1971 gestellten Antrag auf gesetzliche Anerkennung folgten dann nach vielen Verhandlungen mit dem Kultusamt die Genehmigung mit 2. Mai 1979 und die Konstituierung der IGGiÖ.



Die offizielle staatliche Anerkennung der Religion des Islams trat per Gesetz vom 15. Juli 1912 in Geltung. Dieses hundertjährige Jubiläum feiert die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) mit einem Festakt im Wiener Rathaus am 29. Juni 2012.
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Das Gesetz von 1912 war auf die hanefitische Rechtsschule beschränkt, was der Verfassungsgerichtshof bereits 1987 aufhob, da es allein einer Glaubensgemeinschaft zukommt, sich selbst zu definieren. Der IGGiÖ gehörten daher laut Verfassung "alle Anhänger des Islams an, welche in der Republik Österreich ihren Aufenthalt haben" (Art. 1). Nach einer Verfassungsreform 2009 erlangte die "Islamisch Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IAGÖ) im Dezember 2010 die Anerkennung als eigene "staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft". Das macht eine weitere Verfassungsänderung notwendig.


Ein Buch zum Thema

Das Thema "Muslime in Österreich" beschränkt sich nicht nur auf die Rechtsgeschichte seit der Zeit der Donaumonarchie. Ob in kriegerischen oder friedlichen Zeiten, die Begegnungen mit dem Islam haben Österreichs Geschichte insgesamt nachhaltig bestimmt. Wie leben MuslimInnen heute in ihren verschiedenen Organisationen und Vereinen, mit ihrer religiösen Praxis oder mit ihren Migrationserfahrungen? Muslimische Jugendkultur und Frauenbewegungen, Geschlechterrollen und Eherecht oder Moschee- und Minarettbau sind in der öffentlichen Diskussion präsent; aber auch "heiße Eisen" wie Extremismus und Genitalverstümmelung oder Zwangsehen und "Ehrenmorde". Worin unterscheiden sich die islamische und die christliche Religion? Ist die eine kriegerisch, die andere friedlich?

Diesen Themen und Fragen stellt sich das im Frühjahr erschienene Buch "Muslime in Österreich", das drei WissenschafterInnen der Universität Wien gemeinsam verfasst haben: der Jurist Richard Potz, der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker und die evangelische Theologin Susanne Heine. Die AutorInnen sehen sich einer Kultur des genauen Hinsehens verpflichtet und wollen einer unaufgeregten Politik dienen, die sich den Herausforderungen auf realistische Weise stellt. Es geht ihnen auch um Bildung, damit Menschen verschiedener Kulturen und Religionen einander besser kennenlernen, um gegenseitige Vorurteile und Missverständnisse aufzulösen und Unterschieden mit Respekt zu begegnen. Damit will das Buch "Muslime in Österreich" auch den interreligiösen Dialog fördern.



In "Muslime in Österreich" geben Susanne Heine, Rüdiger Lohlker und Richard Potz fundierte Einblicke in Geschichte, Religion und Lebenswelt von MuslimInnen in Österreich.
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O. Univ.-Prof. Dr. Susanne Heine ist emeritierte Professorin am Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie.