Museum der Möglichkeiten

Am 7. November erschien die neueste Ausgabe von "univie". Lesen Sie hier einen ausgewählten Artikel aus dem aktuellen Heft: Gabriele Zuna-Kratky, Direktorin des Technischen Museums Wien, und Innovationsforscher Markus Peschl von der Universität Wien über Wissensräume und die Rolle von Kunst dabei.

univie: Sie sind beide in Einrichtungen tätig, in denen Wissen generiert, weitergegeben und aufbereitet wird. Was ist Ihnen bei der Vermittlung von Wissen wichtig?
Gabriele Zuna-Kratky: Man muss den Menschen entgegenkommen und Räume schaffen, damit sie besser lernen und aufnehmen. Man muss die Dinge in Zusammenhang stellen. Früher standen bei uns Vitrinen voller Objekte. Heute ist das aufgebrochen, ganz anders.

Markus Peschl: Ich finde den Begriff „Wissensvermittlung“ problematisch, weil er davon ausgeht, dass fertiges Wissen in die Köpfe hinein muss. Besser ist, Wissen nicht als statischen Gegenstand, sondern als sich ständig verändernden Prozess zu begreifen, dann sehen auch die pädagogischen Konzepte anders aus. Als Lehrender etwa ist man gefordert, eher als Moderator aufzutreten und einen Raum, sprich Rahmenbedingungen, zur Verfügung zu stellen, damit neues Wissen entstehen kann.
Wissen ändert Wahrnehmung. Was heißt das für das Design von Ausstellungen?

Zuna-Kratky: Ausstellungen müssen die Leute dort abholen, wo sie stehen und auch ohne Führung funktionieren. Das ist schwierig, da unsere BesucherInnenstruktur sehr heterogen ist. Manche kommen mit Kindern, andere haben ein ganz spezielles Interesse an einem Objekt. Ich darf das Wissen der Menschen weder über- noch unterschätzen. Wir bieten deshalb unsere Beschriftungstexte in verschiedenen Verständnis-Ebenen an. Man muss eine Atmosphäre schaffen, in der die Leute gerne verweilen und sie in einen Dialog mit den Objekten treten können.

Das Technische Museum zeigt derzeit die Ausstellung "At your Service – Kunst und Arbeitswelt", warum haben Sie sich die Kunst als Dialogpartnerin zur Technik geholt?
Zuna-Kratky: Wir versuchen mit Kunst an die Technik heranzuführen, um andere Zielgruppen anzusprechen. Die künstlerischen Interventionen bringen etwas völlig Konträres ein. In der aktuellen Schau haben wir KünstlerInnen eingeladen, ihre Gedanken zum Thema Arbeit in Werke umzusetzen. Man sieht beispielsweise Schreibmaschinen mit Geschichten von Leuten, die noch das Zehn-Finger-System gelernt haben, und schon ist man ganz anders interessiert daran.

Herr Peschl, Sie arbeiten sehr stark interdisziplinär, mit TechnikerInnen, KünstlerInnen und DesignerInnen. Was bringt das?
Peschl: Interessant ist der Perspektivenwechsel. KünstlerInnen haben einen viel freieren, reflektierten Zugang zu ihrer Arbeit. Sie arbeiten nicht so unstrukturiert, wie es manchmal scheint. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Zugängen, die analytisch geprägt sind, gehen KünstlerInnen sehr synthetisch vor. Es geht letztlich nicht darum, die beiden Ansätze gegeneinander auszuspielen, sondern daraus zu lernen.

Zuna-Kratky: Es stellt sich auch die Frage, wie weit man sich was trauen kann. Wir haben eine Ausstellung mit einer Malerin gemacht, ihre Bilder sind riesengroß und sehen aus wie flüssiger Stahl. Diese Kunstwerke wurden im Museum im Bereich der Schwerindustrie ausgestellt. Vor ein paar Jahren hat man noch gefragt: "Ja, dürfen die denn das?" Darf ein technisches Museum Kunstobjekte ausstellen? Diese Grenzen sind heute fließend.

Peschl: Innovation ist nur dann möglich, wenn man sich etwas traut und je mehr sich gemeinsam etwas trauen, desto besser.

Wissensräume der Zukunft – Museum oder Universität – was müssen sie bieten?
Peschl: Die Universität der Zukunft muss sich als Ort verstehen, wo gemeinsam Wissen geschaffen wird. Die Uni Wien steht mitten in der Stadt und hat enormes Potenzial, aber wenig Strahlkraft nach außen. Der soziale oder wirtschaftliche Impact ist wahrscheinlich weit unter den Möglichkeiten, die in einer Stadt wie Wien möglich wären. Wir haben hier eine Vielfalt an Naturwissenschaften, Humanities, Technik und Kunst, aber noch nicht begriffen, was das Potenzial solcher Kooperationen ist, für die Universität und für den Wirtschaftsstandort. In Kalifornien entwickelt sich derzeit eine sehr dynamische Start-up-Szene, die stark durch die Kooperation von Design und Technologie geprägt ist. Das ist ein Ansatz, der das Künstlerische, das Technische, aber auch den Businessaspekt sehr schön integriert und konsequent über die klassischen Grenzen hinausgeht.

Zuna-Kratky:
Das Museum der Zukunft muss multiple Möglichkeiten bieten. Unser musealer Auftrag lautet: sammeln, bewahren, zugänglich machen. Wie auch bei anderen Museen, haben wir einen großen "Altbestand" an Objekten, die wir über Hunderte Jahre gesammelt haben. Früher hat man alles gesammelt, was neu und innovativ war. Wir haben z. B. eine Glasaugensammlung, eine Zigarettenpapiersammlung, eine Schlüsselsammlung und vieles mehr. Heute müssen wir manche historische Sammlung noch ergänzen, wollen aber auch eine Brücke in die Zukunft legen. Das können wir nur, indem wir uns als Plattform für aktuelle Diskurse anbieten. Wir wollen das Museum auch abseits des normalen Besuchs erlebbar machen, Kinder können etwa bei uns übernachten. Sie kommen mit der Zahnbürste und dem Schlafsack unterm Arm und erleben das Museum auf diese Weise völlig neu.

Peschl: Den Museumsraum auch als sozialen Raum zu verstehen, wo die Leute miteinander ins Gespräch kommen, das ist eine interessante Sache. Auch die Verbindung mit modernen Technologien finde ich spannend, etwa dass man sich seinen privaten Katalog zusammenstellen kann.

Zuna-Kratky: Das können Sie bei uns schon. Sie können sich die Ausstellungsinhalte abrufen, heimschicken und sich Ihr Programm zusammenstellen. Eine witzige Aktion hat das Science Museum in London gemacht. Die haben eine interaktive Ausstellung am Abend für Erwachsene geöffnet und auch eine Bar hingestellt – und wurden zur „hottest dating location“ in London gewählt. Da saßen einander zum Beispiel zwei Leute gegenüber, bekamen ein spezielles Stirnband aufgesetzt und konnten kraft der Gedanken eine Kugel hin und her bewegen. So sinken die Hemmschwellen!

Danke für das Gespräch!

LESEN SIE HIER die Langversion des Round-Table-Gesprächs


Am 7. November erschien die neueste Ausgabe von "univie", dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien.