Manuel Güdel: "Ein expliziter Nachweis des neunten Planeten fehlt noch"

US-amerikanische Astronomen haben einen neuen Himmelskörper entdeckt. Die Hinweise auf den "neunten Planeten" beruhen auf mathematischen Modellen. Doch gibt es diesen Planeten tatsächlich? uni:view hat Manuel Güdel, Astrophysiker an der Universität, dazu befragt.

uni:view: Wie ist den US-Astronomen Konstantin Batygin und Mike Brown vom California Institute of Technology die Entdeckung des "neunten Planeten" gelungen?
Manuel Güdel: Heute werden kalte Objekte des äußeren Sonnensystems im sogenannten Kuiper-Belt (außerhalb der Bahn des Neptuns) in großer Anzahl mithilfe empfindlicher Infrarotbeobachtungen, zum Beispiel mit Weltraum-Teleskopen, entdeckt. Im Gegensatz dazu, greifen die US-Autoren in ihrer aktuellen Arbeit auf Methoden zurück, die bereits im 19. Jahrhundert zur Entdeckung des Neptun geführt haben: nämlich auf die gravitationellen Einflüsse von unentdeckten Planeten auf beobachtbare Objekte im Sonnensystem. Diese dynamischen Effekte bzw. Störungen in der Uranus-Bahn führten damals zur Vorhersage und Entdeckung des Neptuns.

Die vermeintlich verbleibenden Bahnunregelmäßigkeiten (die heute widerlegt sind) in der Neptunbahn wurden sogar benutzt, um einen weiteren Planeten vorherzusagen. Später wurde tatsächlich Pluto, der heute als Zwergplanet klassifiziert ist, auf Basis dieser Rechnungen entdeckt. Allerdings kann dieser auf Grund seiner kleinen Masse keine messbaren Störungen in der Neptun-Bahn verursachen.

Manuel Güdel leitet das kürzlich erfolgreich verlängerte Nationale Forschungsnetzwerk "Pathways to Habitability" und ist stv. Leiter des Instituts für Astrophysik der Universität Wien. (Foto: privat)

uni:view: Was haben die Forscher in ihrer aktuellen Arbeit konkret nachgewiesen?
Güdel: Die Forscher zeigen, dass einige der Kleinkörper außerhalb Neptuns Ähnlichkeiten in ihren Bahnen aufweisen (die sonnennächsten Bahnpunkte liegen alle in der Ebene, in der auch die großen Planeten um die Sonne kreisen), die kaum zufällig sein können. Diese Ähnlichkeiten können jedoch durch den ordnenden Einfluss eines weiteren Planeten in großer Entfernung verursacht werden. In ihrer Arbeit berechnen die Astronomen diesen Einfluss im Detail und machen sogar Voraussagen über Bahnbesonderheiten weiterer noch zu entdeckender Kleinkörper in den äußeren Sonnensystem-Regionen.

uni:view: Kann man von einer Entdeckung eines neuen Planeten sprechen?

Güdel: Der neunte Planet wird nicht explizit nachgewiesen und kann daher auch nicht als entdeckt qualifiziert werden. Dennoch handelt es sich um eine wertvolle mögliche Erklärung für die Bahnen im äußeren Sonnensystem. Dieser indirekte Hinweis muss nun zunächst zum wirklichen Nachweis eines solchen Planeten führen, erst dann ist die Entdeckung geglückt.  Auch wenn sich diese Hypothese am Ende nicht als die einzig mögliche herausstellt, darf ihr Wert gegenwärtig nicht unterschätzt werden. Es ist wichtig, dass solche Rechnungen gemacht und als Hypothese vorgestellt werden. Das Verständnis dieser Mechanismen hat sich für das Verständnis der Entstehung und der gegenwärtigen Konfiguration des Sonnensystems und der Bahnen der gegenwärtigen Planeten auch in der Vergangenheit als äußerst wichtig erwiesen.



uni:view: Lässt die Arbeit der Caltech-Astronomen noch weitere Schlussfolgerungen zu?

Güdel: Ja, der "entdeckte" Planet ist auch in anderer Hinsicht wichtig. Es ist sehr schwierig, massive Planeten in der vorausgesagten Distanz (30 Mal die Distanz Neptuns von der Sonne) zu formen. Andererseits könnte dieser Planet in der frühen, dynamisch sehr turbulenten Zeit, aus Regionen, die näher zur Sonne liegen, durch andere massereiche Planeten hinausgestreut worden sein.

Weiters deckt die vorhergesagte Masse – etwa zehn Erdmassen – einen interessanten Massebereich ab ("Super-Erden", "sub-Neptune"), den es in einigen extrasolaren Planetensystemen gibt, bisher aber im Sonnensystem als nicht realisiert galt. Besonders interessant wäre es, die Zusammensetzung dieses Körpers zu kennen – insbesondere seinen Anteil an gesteinsartigem Material, im Vergleich zu Gasen.

uni:view: Wie bewerten Sie als Astronom die Arbeit der beiden Kollegen?
Güdel: Die Arbeit der US-Astronomen ist extrem wertvoll und überzeugend. Der Nachweis ihrer Gültigkeit als einzig richtige Hypothese ist jedoch noch ausständig. Ein solcher Nachweis des Körpers muss durch eine direkte Messung von Strahlung (idealerweise Infrarotstrahlung) noch gemacht werden. Erst dann kann man auch die grobe Zusammensetzung des Planeten inklusive seiner Atmosphäre bestimmen. (red/ps)