Kreative im digitalen Schwarm

Kreativschaffende in Wien und Umgebung arbeiten zunehmend über Crowdworking-Plattformen. Eine aktuelle Studie des Soziologen Jörg Flecker von der Universität Wien zeigt, dass die Digitalisierung vor allem die Zusammenarbeit zwischen KollegInnen und KundInnen verändert.

Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigen sich Jörg Flecker und sein Team mit der Digitalisierung der Arbeit. In einem aktuell abgeschlossenen, vom Jubiläumsfonds der ÖNB geförderten Projekt untersuchten die SoziologInnen konkret Erwerbsbiografien von WienerInnen, die in der Kreativwirtschaft tätig sind. Die Studie ist in die groß angelegte EU-COST Action "Dynamics of Virtual Work" eingebettet, in deren Rahmen Flecker die Arbeitsgruppe "New geographies and the new spatial division of virtual labour" leitet.

Was ist COST?
Die European Cooperation in Science and Technology (COST) ist das älteste europäische Forschungsnetzwerk für Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie. Seit über vierzig Jahren finanziert und unterstützt COST sogenannte COST-Actions: Projekte, die es WissenschafterInnen ermöglichen, Forschungsfelder multidisziplinär unter einem gemeinsamen Dach zu erforschen. Ein Beispiel dafür ist die COST-Action Dynamics of Virtual Work, innerhalb welcher Jörg Flecker eine Arbeitsgruppe leitet, die sich mit virtueller Arbeit und den damit verbundenen Veränderungen befasst.

Alles neu?

Überraschenderweise hat sich in den vergangenen zehn Jahren für die Kreativschaffenden gar nicht so viel verändert – zumindest was die konkreten Arbeitsschritte betrifft. Noch immer arbeiten sie zum Großteil vor dem Bildschirm; ihre technischen Werkzeuge – etwa zur Bildbearbeitung oder zum Schnitt von Bild- und Tonmaterial – haben sich zwar weiterentwickelt, sind aber nicht grundlegend neu.

Ganz anders schaut es aus, wenn man die Art und Weise, wie die Menschen zusammenarbeiten, in den Blick nimmt: "Das Internet, schrittweise erfolgte technische Modernisierungen und vor allem das Aufkommen von 'Crowdworking' haben die Verbindung mit KundInnen und KollegInnen verändert und können die Arbeit Kreativschaffender auf eine neue Basis stellen", fasst Projektleiter Jörg Flecker zusammen. Diese Entwicklung betrifft vor allem die Gruppe der BerufseinsteigerInnen.

Als Crowdworking wird ein Phänomen digitaler Arbeitsweise bezeichnet, bei der Unternehmen Aufträge mittels webbasierten Plattformen an eine große Menge von Menschen, die sog. Crowd, vergeben. Crowdworking ist an keine Grenzen gebunden, die Jobs werden mitunter weltweit vergeben. Nationale Arbeitsrechte und soziale Absicherung der CrowdworkerInnen greifen nur unter Umständen. (Foto: Rainer Sturm/pixelio.de)

Crowd Youth

Für die aktuelle Studie haben Flecker und Co. zum einen Kreativschaffende aus Wien und Umgebung befragt, deren Erwerbsbiographien sie bereits 2005 in einem Vorläuferprojekt erhoben hatten. Zum anderen interviewten sie gezielt CrowdworkerInnen, die erst seit kurzem im Berufsleben stehen. "Die bereits etablierten AkteurInnen aus der ersten Gruppe waren von den Entwicklungen kaum betroffen", bilanziert Flecker: "Crowdworking-Plattformen werden in erster Linie von BerufseinsteigerInnen genutzt."

Letztere verwenden die Plattformen, obwohl damit Nachteile wie prekäre Arbeitsbedingungen, niedrige Bezahlung und hoher Zeitdruck bzw. Konkurrenz verbunden sind: "Weil sie sich erhoffen, in der Branche Fuß zu fassen, ein Portfolio aufzubauen oder um als autodidaktisch trainierte QuereinsteigerInnen Zugang zum betreffenden Arbeitsmarkt zu erhalten", erklärt Projektmitarbeiter Philip Schörpf.



Sprungbrett ins Haifischbecken?

Ähnlich wie soziale Netzwerke arbeiten Crowdworking-Plattformen in hohem Maße mit Standardisierungen. Die Profile von Kreativschaffenden beinhalten eine Vielzahl von statistischen Informationen: "Bewertungssysteme, die den Befragten zufolge von enormer Bedeutung für Folgebuchungen sind, Prozentsätze rechtzeitig fertiggestellter Aufträge – sogenannte 'Completion Rates' – sowie Tests zu bestimmten Fähigkeiten", zählt Schörpf auf.

Zwar sind diese Bewertungssysteme hilfreich für potenzielle AuftraggeberInnen, aber im Vergleich zum "altmodischen" Reputationssystem über Mundpropaganda steigt der Druck, der auf den Kreativschaffenden lastet, enorm an: "Gerade zum Berufseinstieg nehmen die jungen Menschen viel in Kauf, etwa nicht vorher verabredete Überarbeitungen oder ähnliches, um ja keine schlechte Bewertung zu riskieren", berichtet der Projektleiter.

Jörg Flecker und sein Team interessieren sich vor allem auch für die Entgrenzung der Arbeit. Ein Beispiel aus der aktuellen Erhebung: Crowdworker Markus H. arbeitet für eine Firma, die in den USA ansässig ist. Zum morgendlichen Meeting über das Internet findet er sich um 17 Uhr Ortszeit zum Arbeitsbeginn vor dem Bildschirm ein – und arbeitet dann bis in die frühen Morgenstunden. "Der gesamte Arbeitstag verschiebt sich, die Synchronisierung mit seinem Auftraggeber und dortigen KollegInnen erfordert dies", so Flecker.

Nacht- und Wochenendarbeit sind in der Branche nicht unüblich – abgesehen davon macht es die Vielfalt an Arbeitsweisen schwierig, den oder die prototypische/n CrowdworkerIn zu charakterisieren.


Ein zweischneidiges Schwert

Jörg Flecker zufolge wird die neue Crowdworking-Generation die etablierte Kreativwirtschaft wohl nicht so bald ersetzen, sondern besetzt eher das niedrigere Preissegment: "Bisher profitieren tendenziell eher die AuftraggeberInnen, zumal ihnen durch Crowdworking-Plattformen mehr Auswahl und billigere Arbeitskraft zur Verfügung stehen". Nicht selten sind die niedrigen Preise aber mit Abstrichen bei der Qualität der Produkte verbunden.

In ihrer aktuellen Forschungsarbeit im Rahmen der COST-Action untersuchen die ForscherInnen der Universität Wien nun weiter, wie sich Crowdwork in die Aus- und Verlagerung von Arbeit insgesamt einfügt. "Erst dadurch lässt sich abschätzen, welche Auswirkungen auf die Arbeitswelt zu erwarten sind", so Flecker. (hma)

Das ÖNB-Jubiläumsfonds-Projekt "Arbeit und technischer Wandel in der Kreativwirtschaft – Erwerbsbiografien zwischen lokalen kreativen Milieus und Perspektiven virtueller Arbeit" wurde – eingebettet in die EU-weite COST-Action "Dynamics of Virtual Work" – von Univ.-Prof. Dr. Jörg Flecker von der Fakultät für Sozialwissenschaften geleitet und 2016 abgeschlossen.