Können Algorithmen unserer Umwelt helfen?

Was hat Informatik mit Umweltschutz zu tun? Was sind Graph-Algorithmen? Und wie ressourcenintensiv sind unsere Facebook-FreundInnen? Die Informatikerin Monika Henzinger erklärt, warum ihr Forschungsbereich uns alle angeht und wie sie sich in diesem von Männern dominierten Feld durchsetzt.

uni:view: Ihre Frage im Rahmen der Jubiläums-Kampagne der Universität Wien lautet "Können Algorithmen unserer Umwelt helfen?". Warum haben Sie diese Frage gewählt?
Monika Henzinger: So wie wir, die Menschheit, die Rechner benützen, ist das sehr belastend für die Umwelt. Man kann ungemein viel Strom mit Computern verbrauchen; es gibt zahlreiche Statistiken dazu, wie viel Energie z.B. Dienste wie Google verbrauchen. Außerdem erzeugen Rechner auch eine Menge Hitze, weshalb sie gekühlt werden müssen. Große Rechenzentren werden daher oft in der Nähe des Meeres oder von Seen gebaut. Und schließlich sind auch die Werkstoffe, die man braucht, um Computer herzustellen, teilweise seltene Rohstoffe. Wenn man versucht, mit möglichst wenig Rechenzeit und möglichst wenig Speicherplatz auszukommen, versucht man letztendlich Strom und Hardware, also Rohstoffe, zu sparen und die Umwelt zu schützen. Die Algorithmik versucht seit jeher, Probleme möglichst effizient zu lösen, das heißt, möglichst schnell, und mit wenig Speicherplatz. Aber diese Relevanz für unsere Umwelt ist neu, weil die Menschheit so viele Rechner besitzt wie nie zuvor, und das wollte ich betonen. Deshalb diese Frage.

uni:view: Hat Sie das Thema Umwelt immer schon interessiert?
Henzinger: Ja, aber jeder sollte sich Gedanken machen, wie er die Umwelt schonen kann, z.B. wie er seinen Müll entsorgt und ob er nicht lieber öffentlich fährt. Ich denke, das geht uns alle an.

uni:view: Haben Sie schon eine Antwort auf Ihre Frage gefunden?
Henzinger: In meinem ganzen Forscherinnenleben beschäftige ich mich damit, für unterschiedliche Probleme schnellere Algorithmen zu finden und Algorithmen mit wenig Speicherplatz zu entwickeln. Es gibt nicht die eine Antwort, es gibt viele verschiedene Antworten auf viele verschiedene Fragen.

uni:view: Gibt es ein konkretes Problem, an dem Sie jetzt gerade arbeiten?
Henzinger: Ich arbeite immer an mehreren Problemen gleichzeitig. Nehmen wir als Beispiel die kürzesten Wege im Straßennetzwerk. Im Allgemeinen beschäftige ich mich oft mit sogenannten Netzwerk- oder Graph-Algorithmen. Wenn Sie sich eine Straßenkarte vorstellen, auf der Städte als Punkte dargestellt sind, dann nennen wir diese Punkte Knoten. Wenn es zwischen zwei Städten eine Straßen-, Zug- oder Autobahnverbindung gibt, dann gibt es zwischen den entsprechenden Knoten eine Kante. Das gibt einen Graphen bestehend aus Knoten und Kanten. Manche Knoten haben Kanten zwischen einander und manche nicht. Kanten können auch eine Richtung haben von einem Knoten zum anderen. Auf dieser Basis lässt sich vieles berechnen: etwa der kürzeste Weg, um von A nach B zu kommen. Stellen Sie sich vor, Sie haben den kürzesten Weg berechnet, und dann fällt eine der Kanten aus, weil es zum Beispiel einen Stau gibt. Meine Frage ist jetzt: Wie können wir einen neuen kürzesten Weg finden, ohne wieder den ganzen Graphen analysieren zu müssen? Können wir uns von der vorherigen Berechnung genug merken, dass wir nur lokal im Graphen suchen müssen?

Ein weiteres Beispiel für Eigenschaften von Graphen sind Cluster: Denken Sie an ein soziales Netzwerk wie Facebook. Jede/r BenutzerIn ist ein Knoten, und wenn zwei NutzerInnen miteinander befreundet sind, ist eine Kante zwischen ihnen. Sie möchten jene Personen finden, die stark miteinander befreundet sind, das sind die Cluster. Diese verändern sich aber dauernd, Facebook hat zum Beispiel 150 Millionen neue Kanten pro Tag. Unsere Aufgabe ist es nun das Clustering, das wir berechnet haben, zu erneuern, während sich der Graph verändert, und das möglichst effizient.

uni:view: Und warum eignet sich die Universität Wien besonders gut dafür, um diese Dinge zu erforschen?
Henzinger: Grundsätzlich kann ich meine Forschung an jeder Universität betreiben, da ich keine teure Infrastruktur dafür brauche. Universitäten haben gegenüber der Industrie den Vorteil, dass man Grundlagenforschung betreiben kann, für die in der Industrie keine Zeit ist. In der Industrie geht es hauptsächlich darum, möglichst schnell Produkte zu entwickeln. Hier an der Universität habe ich Zeit, um zu überlegen: Welche Eigenschaften des Graphen sind es denn, die wir bräuchten? Woran liegt es denn? Ich kann fundamentale Fragen beantworten, ohne den Druck zu haben, meine Erkenntnisse nächste Woche in einem Navigationssystem implementieren zu müssen.

Hier an der Universität können wir uns die Probleme, die wir lösen wollen, selbst aussuchen und solange daran arbeiten, bis wir sie hinreichend verstehen. Unser Ziel ist es in erster Linie, zu veröffentlichen, und nicht, Produkte zu entwickeln.

uni:view: Wie kann man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen?
Henzinger: Ich habe zurzeit drei Postdocs und vier DoktorandInnen, das ist mein Team. Wir lesen Publikationen, halten Vorträge, setzen uns zusammen und denken gemeinsam über unterschiedliche Aufgaben- und Fragestellungen nach. Irgendwann hat man eine Idee, veröffentlicht diese und fährt auf eine Konferenz, um sie zu präsentieren.

Videoantwort von Monika Henzinger

Eine Anfrage in einer Suchmaschine verbraucht 200 Milligramm CO2 – pro Tag werden vier Milliarden Suchanfragen gestartet. Informatikerin Monika Henzinger sucht nach besseren und schnelleren Algorithmen.

uni:view: Arbeiten Sie lieber alleine oder brauchen Sie auch den Austausch mit Ihrem Team?
Henzinger: Es ist gemischt. Manchmal denkt man besser alleine. Wenn man zu viel mit anderen interagiert, kann man sich bisweilen nicht gut genug auf das Problem konzentrieren. Aber wenn einem die Ideen ausgehen, dann ist es wieder sehr gut, das Problem jemand anderem zu erklären, denn dann hat vielleicht der oder die andere eine Idee. Mir ist beides wichtig.

uni:view: Sie sind dieses Jahr auch Teil der Jury für den SchülerInnenwettbewerb der Universität Wien. Die Frage, die Sie dafür beigesteuert haben, lautet: "Wie kann die Informatik helfen, Ressourcen zu sparen?" Sind Sie gespannt auf die Antworten der jungen Leute?
Henzinger: Ich bin gespannt, was sie zu sagen haben. Ich glaube nicht, dass die SchülerInnen für diese Probleme, die wir gerade veröffentlichen, gleich einen neuen Algorithmus vorschlagen werden. Aber es wird interessant sein zu sehen, was sie unter "Ressourcen sparen" verstehen und was ihnen dazu einfällt.

uni:view: Würden Sie sich wünschen, dass Sie mit Ihrer Teilnahme an dem Wettbewerb mehr junge Menschen für das Fach begeistern können?
Henzinger: Ja, sicher. Oft wird Informatik in den Schulen so vermittelt, dass die Jugendlichen hinterher denken, es geht nur darum, Excel-Spreadsheets auszufüllen. In Wahrheit ist das nicht der Fall. Ich glaube, SchülerInnen bekommen auch oft den falschen Eindruck, dass InformatikerInnen alleine rumsitzen und dass es nur die Computer-Nerds sind, die das interessiert. Und das ist eigentlich nicht der Fall. Wenn man Informatiker ist, muss man sich immer austauschen, kommunikativ sein. Alleine kann man nicht viel bewirken.

uni:view: Haben Sie je das Gefühl gehabt, Sie werden als Frau in der Informatik nicht wahrgenommen?
Henzinger
: Ich denke als Frau in einer Männerdomäne fällt man immer auf. Was auch auffallend ist: Männer haben andere Verhaltensmuster als Frauen. Bei Frauen ist es eher so, wenn man etwas nicht kann, dann sagt man es, und dann erwartet man, dass die andere Frau sagt, ja, mir geht es genauso. Männer würden nie zugeben, dass sie etwas nicht können. Wenn man Männern erzählt, dass man etwas nicht kann, dann würden sie höchstens sagen: Also bei mir ist das kein Problem. Männer sind da nicht sehr ermutigend. Wenn man in der Informatik ist, muss man sich daran gewöhnen. Man braucht nicht auf das Mitgefühl von irgendjemandem hoffen, das gibt es einfach nicht. (lacht)

Ich nehme das niemanden übel, das sind einfach Verhaltensmuster, die Männer untereinander anwenden. Ich habe dadurch gelernt, dass man sich nicht gleich einschüchtern lassen darf. Ich habe Informatik studiert, weil ich wissen wollte, wie ein Computer funktioniert, und ich hatte Bekannte, natürlich männliche, die mir erklärt haben, dass sie das schon alles wissen. Ich hatte keine Ahnung im ersten Semester, habe aber dann beschlossen: Ich bin da, weil ich das lernen möchte, und die Tatsache, dass die mehr wissen, macht gar nichts. Man darf sich nicht entmutigen lassen, das gilt für alle Frauen in Männerdomänen.

uni:view: Wissen Sie noch, welcher Ihr erster Computer war?
Henzinger:
Ja, ich hatte einen Commodore 64 zu Hause, wie jeder damals. Das war ein halbwegs erschwingbarer Rechner für zu Hause. Man konnte programmieren, aber er hatte sehr wenig Speicherplatz und war sehr langsam, man konnte daher nichts Komplizierteres damit machen.

uni:view: Haben Sie das Bedürfnis, immer das neueste Smartphone oder das neueste Gadget zu haben?
Henzinger
: Nein. (lacht) Das hatte ich aber nie. Ich überlege mir eher, ob es sich rentiert, diese Sachen zu haben. Es gibt auch InformatikerInnen, die immer mit dem Neuesten rumlaufen, und ich finde das interessant, aber ich brauche es nicht.

uni:view: Wie nutzen Sie privat Ihren Computer? Spielen Sie auch?
Henzinger
: Dafür habe ich keine Zeit. (lacht) Ich arbeite mit dem Computer, mache meine Vorträge, bereite meine Vorlesungen vor und so weiter. Aber privat ... ich bin mit Familie so weit ausgelastet, dass ich ihn daheim nicht benutze.

uni:view: Dürfen Ihre eigenen Kinder so lange den Computer benutzen, wie sie möchten?
Henzinger
: Bei meinem jüngsten Kind schränke ich schon ein, wieviel es spielen darf, weil ich glaube, dass Computerspiele süchtig machen können. Bei den zwei Größeren nicht, ich sehe auch nicht, dass es ein Problem wäre.

uni:view: Zurück zur Universität Wien: Was wünschen Sie ihr zum 650. Geburtstag?
Henzinger:
Weniger Regeln und mehr Freiheit. Mehr Freiheit in dem Sinne, dass alles viel flexibler wird. Den Studierenden hier wünsche ich auch etwas: Ich sehe oft, dass viele lernwillig sind, aber nicht genug Zeit haben, um zu lernen, da sie finanzielle Belastungen haben. Sie arbeiten neben dem Studium und konzentrieren sich nie voll auf das Studium. Das spiegelt sich dann in der Studienlänge und den Abbrechquoten wieder. Ihnen wünsche ich mehr Zeit und Energie fürs Studium.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!


Über Monika Henzinger
Univ.-Prof. Dr. Monika Henzinger ist seit 2009 Professorin für Computational Science – Algorithmik- und Informationstechnologie an der Fakultät für Informatik an der Universität Wien. Sie studierte an den Universitäten des Saarlandes, in Princeton und Cornell. Von 2000 bis 2004 war sie Director of Research bei Google, ehe sie 2005 eine Professur in Lausanne annahm. Seit 2009 lehrt und forscht sie an der Universität Wien und erhielt 2013 den ERC Advanced Grant für ihre Arbeit.

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