Klimaabkommen für alle?

Der Klimagipfel in Paris ging am Freitag zu Ende, was bleibt ist ein Vertrag mit ambitionierten Klimaschutzzielen. Über Gewinner und Verlierer des COP 21, Machtstrukturen und politische "Beruhigungspillen" spricht Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik der Universität Wien.

uni:view: Welche großen Klimaschutzziele wurden auf der UN-Klimakonferenz COP 21 (kurz für: United Nations Framework Convention on Climate Change, 21st Conference of the Parties) beschlossen?
Ulrich Brand:
Ein wichtiges Ziel ist, die von Menschen verursachte Erderwärmung zwischen Beginn der Industrialisierung und dem Jahr 2100 auf deutlich unter 2 Grad zu halten. Überraschend für viele: Das ambitionierte Ziel ist sogar breit akzeptiert. Dafür soll der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gelingen. Ein weiteres Bestreben ist, die Entwicklungsländer bei Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu unterstützen – ab 2020 sollen jährlich 100 Milliarden US-Dollar in einen internationalen Fonds fließen.

uni:view: Wie sollen die Ziele umgesetzt werden?
Brand:
Bereits vor zwei Jahren hatten sich die Regierungen darauf geeinigt, dass die einzelnen Länder freiwillige "geplante nationale Beiträge zur Treibhausgasminderung" (Englisch: INDC) einbringen sollten. Im Kyoto-Protokoll von 1997 gab es noch das Prinzip der Verbindlichkeit, das nicht funktionierte. Entscheidend wird nun sein, ob die Staaten sich an die Ziele halten und ob sie "dynamisiert", also ab 2023 nach oben geschraubt werden.

Veranstaltungstipp:
Round Table: Waren die Klimaverhandlungen erfolgreich?

Im Anschluss an den Klimagipfel gibt es am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien die Möglichkeit, sich über die Ergebnisse aus Sicht von Teilnehmenden an der Konferenz zu informieren und die Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. War die COP 21 ein Erfolg? Was waren wichtige Ergebnisse und Fortschritte? Wo gab es Probleme? Auf welche Klimaschutzziele und Instrumente haben sich die verhandelnden Parteien geeinigt? Welche Positionen wurden von der Zivilgesellschaft formuliert und welche Aktionen durchgeführt?

Es diskutieren:
Helmut Hojesky (Österreichischer Verhandler in Paris / Bundesministerium für Land-und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft)
Johannes Wahlmüller (Zivilgesellschaftlicher Vertreter bei Verhandlungen in Paris / Allianz für Klimagerechtigkeit / Global 2000)
Magdalena Heuwieser (Aktivistin / Initiative "System Change, not Climate Change!" / Finance & Trade Watch)
Moderation: Ulrich Brand (Professor für Politikwissenschaft, Universität Wien)

Dienstag, 15. Dezember 2015, 18.30-20 Uhr
Hörsaal II, NIG (Erdgeschoss), Universitätsstraße 7, 1010 Wien

uni:view: "Shall" oder "should" – wie verbindlich ist denn das Klimaabkommen für die einzelnen Staaten?
Brand:
Die Verbindlichkeit ist das Hauptproblem. Ein zentrales Element der COP 21 ist aber, dass sich alle Länder zu Reduktionen verpflichten. 1997 waren es nur die 39 Industrieländer, nicht aber die Schwellenländer, deren rasanter Aufstieg ja damals erst begann.

uni:view: Mit welchen Sanktionen hätten die Länder bei Nicht-Erfüllung zu rechnen?
Brand:
Mit Sanktionen ist es immer schwierig. Der Druck und das Umsteuern muss viel stärker in den Gesellschaften erfolgen: hier in Österreich, in der EU, aktuell dramatisch in China. Die Politik darf sich nicht mehr rausreden, dass sie einerseits für Klimaschutz sein will, aber andererseits Freihandelsabkommen plant, die vielen Studien zufolge zu mehr Transport und mehr Emissionen führen.

Entscheidend wird zudem sein, wie transparent die Entscheidungen umgesetzt werden. Ist beispielsweise der Klimafonds für die Entwicklungsländer wirklich nach deren Bedürfnissen ausgerichtet oder eher eine Exportförderung für die Industrieländer?

uni:view: Wer ist "Gewinner", wer ist "Verlierer" des Klimaabkommens?

Brand:
Aus meiner Sicht sind die "Gewinner" weiterhin die Bergbau- und Energiefirmen, die fossile Brennstoffe fördern und verbrennen. Machen wir uns klar: Um zwischen dem Beginn der Industrialisierung und 2100 die Erderwärmung zu begrenzen, müssen zwischen 80 und 90 Prozent der fossilen Energieträger im Boden bleiben. Da geht es um sehr viel Geld und Macht. Die weltweit bekannten Öl- und Kohlereserven heute betragen 35 Trillionen, also 35.000 Milliarden Dollar. Wie deren Macht eingehegt wird, bleibt ausgeblendet.

"Verlierer" sind die Inselstaaten. Denn die von den Ländern eingebrachten freiwilligen Anstrengungen laufen schätzungsweise auf eine Erwärmung zwischen 2,7 und 3,4 Grad bis 2100 hinaus. Potenziell verlieren auch Hunderte Millionen KleinbäuerInnen, weil die großen Agrarunternehmen nun unter dem Begriff der "klima-intelligenten Landwirtschaft" weiterhin ihre monokulturellen und industriellen Praktiken vorantreiben können. Wir wissen aus vielen Studien, dass das oft mit Vertreibung und Gewalt einhergeht.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik mit den Forschungsschwerpunkten Umwelt- und Ressourcenpolitik und Leiter der Forschungsgruppe Internationale Politische Ökologie am Institut für Politikwissenschaft der Fakultät für Sozialwissenschaft. (Foto: Baerbel Hoegner)

uni:view: Viele Umweltverbände loben das Klimaabkommen – waren die Verhandlungen in Paris aus Ihrer Sicht erfolgreich?
Brand:
Vordergründig waren sie erfolgreich, denn es gibt ein Abkommen. Doch entscheidende Fragen bleiben unbeantwortet. In meinen Forschungen zeige ich seit vielen Jahren, dass der internationale Mechanismus nicht ausreicht, um die Produktions- und Lebensweise grundlegend und klimafreundlich umzubauen. Denn die jetzige Lebensweise ist eng verbunden mit Interessen- und Machtstrukturen, mit einer Kultur des "Immer-mehr", die täglich verkündet und gelebt wird. Wenn wir in diesen Tagen den österreichischen Umweltminister Rupprechter hören, dann sind seine Kommentare eine Art Beruhigungspille: "Kein Problem. Wir kriegen das alles hin." Eigentlich sagt er: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."

uni:view: Reichen die gesteckten Ziele? Oder: Was müsste Ihrer Meinung nach noch getan werden?
Brand:
Wir sollten bei der Debatte um eine klimaverträgliche Wirtschaft und Gesellschaft zudem von der Fixierung auf Strom wegkommen. In Österreich sind bereits 70 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie. Klimawandel wird aber auch durch den Verkehr und die industrielle Landwirtschaft verursacht, auf globaler Ebene durch die rasante Abholzung von Wäldern. Da stehen noch große Aufgaben vor uns.

Weiters muss Klimapolitik nicht nur mit Fragen politischer und wirtschaftlicher Macht verbunden werden, sondern auch mit Fragen der Gerechtigkeit. Denn wenn Menschen Angst vor sozialem Abstieg oder Ausgrenzung haben, wenn sie sehen, dass die Politik zwar große Ziele formuliert, aber dann doch zu sozialer Spaltung und zum Positionserhalt der Eliten beiträgt, dann werden sie kaum den Appellen zu mehr Klimaschutz folgen. (red)

Dossier "Das Wetter von morgen"
Ein Thema, das die WissenschafterInnen der Universität Wien quer durch alle Disziplinen beschäftigt: der Klimawandel. Wir halten Sie über ihre Forschungsergebnisse auf dem Laufenden.