Nelson Mandela: "Eine Regenbogennation im Frieden mit sich selbst"

Am 18. Juli 2018 wäre der erste schwarze Präsident Südafrikas, Nelson Mandela, 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass sprach uni:view mit dem Sozialhistoriker Walter Sauer, der selbst in der Anti-Apartheid-Bewegung aktiv war und dem Land persönlich und auch wissenschaftlich verbunden ist.

uni:view: Herr Sauer, bevor wir auf Nelson Mandela zu sprechen kommen – wie sieht Ihr persönlicher Zugang zu Südafrika aus?
Walter Sauer:
Anfang der 1980er Jahre, in meiner Studienzeit, habe ich das Problem der Apartheid in Südafrika für mich entdeckt. Diese Unrechtssituation hat mich motiviert, selbst in der österreichischen Anti-Apartheid-Bewegung aktiv zu werden. Dabei haben wir sehr eng mit den Widerstandskräften in Südafrika zusammengearbeitet. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass wir vor Ort einen Beitrag zu einer Verbesserung in Südafrika leisten, da es starke wirtschaftliche Verflechtungen – z.B. von Seiten der staatlichen Stahlindustrie oder Banken – gab. Relativ spät, im Jahr 1985, hat dann Österreich ebenfalls Sanktionen im internationalen Gleichklang verhängt.

uni:view: Mit der Angelobung von Nelson Mandela 1994 als erster schwarzer Präsident war die Apartheid offiziell Geschichte. Sie waren bei dieser historischen Zeremonie als Ehrengast dabei. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Sauer:
Nelson Mandela hat nicht nur VertreterInnen der Regierungsspitzen eingeladen, sondern auch jeweils ein bis zwei Mitglieder der Anti-Apartheid-Bewegung. So durfte auch ich mit dabei sein. Das war sicherlich eines der größten Erlebnisse meines Lebens. Es war auch insofern ein bedeutender Moment, da zum ersten Mal in der Geschichte Südafrikas ein multikulturelles Staatsevent abgehalten wurde.

uni:view: Am 18. Juli 2018 wäre Nelson Mandela 100 Jahre alt geworden. Welche Bedeutung hat der Ausnahmepolitiker für Südafrika bis heute?
Sauer:
Seine unglaubliche historische Bedeutung liegt darin begründet, dass Mandela den Übergang von einem rassisch getrennten System in ein gemeinsames politisches System begleitet und gesteuert hat. Er hat immer das Gespräch gesucht, unabhängig von Glauben und Hautfarbe.

Nelson Mandela (1918-2013) war ein führender südafrikanischer Anti-Apartheid-Kämpfer sowie von 1994 bis 1999 der erste schwarze Präsident Südafrikas. Aufgrund seiner Aktivitäten gegen die Apartheidpolitik musste Mandela 27 Jahre als politischer Gefangener in Haft verbringen. Er gilt als international herausragender Vertreter im Kampf für Freiheit, gegen Rassentrennung, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. 1993 erhielt er den Friedensnobelpreis. (© South Africa The Good News/www.sagoodnews.co.za; CC BY 2.0)

Heute sehe ich seine Bedeutung vor allem in der Rückkehr zu den universellen menschlichen Werten, die er verkörperte. In einer Phase lange nach seiner Präsidentschaft war das politische System stark profitorientiert. Nun, mit dem neuen Präsidenten, kommt es wieder zu einer Rückbesinnung, einer Art Mandela-Renaissance.

uni:view: Wo sehen Sie die derzeitigen Brennpunkte in Südafrika?
Sauer:
Südafrika ist eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit. Das hängt einerseits natürlich mit dem Erbe der Apartheid zusammen, andererseits aber auch mit der sehr hohen Arbeitslosigkeit, die wiederum an die Handels- und Industriepolitik gekoppelt ist. So halte ich etwa die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Südafrika für extrem benachteiligend für Südafrika. Die EU verkauft beispielsweise billige Agrarprodukte und unterläuft damit die dortige Landwirtschaft. 

uni:view: Obwohl die Apartheid seit über 20 Jahren beendet ist und bereits unter Mandela sozial "umstrukturiert" wurde, ist die Mehrheit der Schwarzen immer noch arm und die Weißen reich …
Sauer:
Nicht mehr so klar definiert wie unter der Apartheid. Es hat sich eine schwarze Mittelschicht etabliert, die es früher nicht in der Dimension gab. Trotzdem lebt immer noch mindestens ein Drittel in Armut. Die Arbeitslosigkeit heute ist höher als damals – bedingt u.a. durch die Globalisierung – und die Unzufriedenheit ist extrem groß. Heute ist die Weisheit Mandelas wieder gefragt, im Sinne seines berühmten Zitats "Eine Regenbogennation im Frieden mit sich selbst".

Mandela-Tag Wien 2018: Anlässlich des Gedenktages für den südafrikanischen Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger lädt der Verein SADOCC (Dokumentations- und Kooperationszentrum südliches Afrika), dessen wissenschaftlicher Leiter Walter Sauer ist, am Mittwoch, 18. Juli 2018, zu einem Spaziergang zum Nelson Mandela-Platz in der Seestadt Aspern. Treffpunkt: 18 Uhr, Hannah-Arendt-Platz, 1220 Wien. Nähere Informationen (© SADOCC)

uni:view: Aktuell wird in Südafrika wieder über eine große Landreform debattiert. Wie schätzen Sie diese ein?
Sauer:
Das ist eine wirklich heiße Geschichte, die bereits unter Nelson Mandela eingeleitet wurde. Dabei geht es um eine Umverteilung des Grundbesitzes. Während der Apartheid waren rund 87 Prozent der Grundfläche Südafrikas im Besitz von Weißen – gesetzlich vorgeschrieben. Unter Mandela wurde eine Landreform eingeleitet: Schwarze Familien bekamen ihren Grund zurück, sofern sie nachweisen konnten, dass sie unter der Apartheid enteignet wurden. Auch das Grundbuchsrecht wurde geändert. Dennoch sind immer noch rund 60 Prozent des Landes im Besitz von Weißen, was natürlich für große Unzufriedenheit sorgt.

Aktuell wird die Frage der Landreform stark von Populisten vereinnahmt, die für eine Enteignung der Weißen plädieren. Es rächt sich, dass die wohlhabenden Weißen über all die Jahre hinweg mit wenigen Ausnahmen nichts freiwillig abgegeben haben. Die Emotionen sind extrem angespannt. Meiner Meinung nach ist eine Landreform notwendig, aber Enteignungen können nicht die Lösung sein. Und es wäre auch sicherlich nicht im Sinne Mandelas.

uni:view: Wie schätzen Sie persönlich die Zukunft Südafrikas ein?
Sauer:
Grundsätzlich glaube ich, dass Südafrika im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern ein Erfolgsmodell ist. Natürlich sind viele Probleme ungelöst, wie die soziale Ungleichheit. Südafrika ist grundsätzlich ein reiches Land und diesen Reichtum sieht man auch, trotzdem lebt die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Die Menschen sind unzufrieden und die Situation kann leicht kippen. Das zeigen auch die vielen gewalttätigen Ausschreitungen bei fast jeder Demonstration. Doch in Summe glaube ich, dass diese Probleme letztlich zu lösen sind.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Walter Sauer lehrt am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte Afrikas, den österreichisch-afrikanischen Beziehungen und der Afrika-Rezeption in der Kulturgeschichte Österreichs. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (SADOCC). (© Universität Wien)