Die zwei Büchertürme

Die Tour über die universitären Dächer geht zu Ende. Für den letzte Beitrag haben die Redakteurinnen von uni:view gemeinsam mit dem stv. Leiter des Bibliotheks- und Archivwesens, Wolfgang Nikolaus Rappert, die Büchermagazine im Süd- und im Nordturm besucht.


2,7 Millionen Bücher aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Wien sind alleine an ihrem Hauptstandort im Hauptgebäude der Universität Wien untergebracht. Der Großteil davon steht in Reih und Glied in den beiden universitären Türmen: dem Süd- und Nordturm, die schon Architekt Heinrich von Ferstel als Büchermagazine angedacht hat.


Dem damaligen Bibliotheksdirektor Dr. Friedrich Leithe war dies jedoch ein Dorn im Auge – eine Bibliothek brauche ihr eigenes Gebäude, man werde sich in alle Ewigkeiten mit den anderen Universitätsangehörigen um Räumlichkeiten streiten – und er nahm seinen Hut. Sein Stellvertreter Dr. Ferdinand Grassauer kam zum Zug und übersiedelte 1884 mit 300.000 Büchern von der Postgasse in das gerade fertig gestellte, neue Universitätshauptgebäude an der Ringstraße. Das erzählt uns Wolfgang Nikolaus Rappert, stv. Leiter des Bibliotheks- und Archivwesens, während er uns hoch über den Köpfen der lernenden Studierenden durch verwinkelte Gänge und normalerweise verschlossene Türen führt.


Platz war also schon im 19. Jahrhundert Mangelware an der Uni. Aber ob Direktor Leithe seinerzeit damit gerechnet hätte, dass die UB einmal insgesamt mehr als  7,1 Millionen Bücher ihr Eigen nennen würde? "Es gab sogar einmal Ideen, das Glasdach über dem Großen Lesesaal in eine normale Decke umzuwandeln und den Raum, in dem wir uns gerade befinden, für andere Zwecke zu verwenden – das hat man aber zum Glück abgelehnt", lacht Rappert. Bei nach wie vor echtem Tageslicht lässt es sich doch besser lernen als bei künstlichem!


Den Studierenden unter uns im Lesesaal ist vielleicht schon aufgefallen, dass es hier seit dem Sommer 2014 merklich heller ist. In einer aufwändigen Aktion wurde das Oberlicht vor kurzem generalgereinigt. "Früher wurde das Putzen über diese bewegliche Brücke bewerkstelligt, die man händisch – durch Kurbeln des Antriebsrads, das wie ein Steuerrad ausschaut, übers Glasdach fahren konnte", erzählt Rappert. Heute geht das nicht mehr, weil das später installierte Belüftungssystem im Weg ist.


Wenn er darüber nachdenkt, ist Wolfgang Nikolaus Rappert eigentlich recht oft am Dachboden des Hauptgebäudes unterwegs. Neben den regelmäßigen Sicherheits-Inspektionen gemeinsam mit Vertretern der Bundesimmobiliengesellschaft kontrollieren er und seine MitarbeiterInnen u.a. auch nach jedem Gewitter, ob es ja nicht irgendwo hereingeregnet hat oder sonstige Beschädigungen aufgetreten sind, die den kostbaren Bücherschatz gefährden könnten. Und hin und wieder führt er BesucherInnen durch den Dachboden – zum Beispiel auch einmal die Familie des Rektors. "Hier kann man gut die Gedanken auslüften", schmunzelt Rappert.


Früher haben sich mitunter die MitarbeiterInnen der UB heimlich unters Dach geschlichen, um zu rauchen – einige haben sich hier mit Kritzeleien an den Wänden verewigt. "Schwitzen sehr!" – der Sommer 1972 war wohl ähnlich heiß wie heuer! Heute haben nur mehr wenige berechtigte Personen Zugang zum Dachboden.


Während die 13 Stockwerke des Süd- und Nordturms mit Büchern vollgestopft sind, ist der restliche Dachboden der Universität Wien leer. Keine geheimen Schätze oder historische Forschungsinstrumente – eine Reihe alter Lampenschirme, die vergessene Jacke eines Elektrikers und der ausgediente Stuhl einer früheren  Lesesaal-Garnitur sind die einzigen Gegenstände, die wir entdecken.

Unspektakulär, vielleicht, aber unverzichtbar für den reibungslosen Ablauf des Universitätsalltags im Hauptgebäude: Hier sind u.a. Zu- und Abluftanlagen, Kälteleitungen und Kühltürme sowie die Oberlichter von Stiegenhäusern und Hörsälen zuhause. 


Und natürlich Lesestoff: 74 Kilometer wären die Regalbretter der beiden größten Magazine der Universitätsbibliothek aneinandergereiht lang (im Bild zwei Aufnahmen aus den 1960er Jahren). Laufend  kommen neue Bücher dazu. Wird der Universitätsbibliothek Wien in absehbarer Zukunft der Platz ausgehen? Derzeit liegen die Pläne und Ideen für den Tag X noch in der Schublade, zuckt Wolfgang Nikolaus Rappert mit den Schultern. Wir rechnen zum Spaß: Würde man den aktuellen Bücherbestand der Hauptbibliothek auf alle MitarbeiterInnen der Universität Wien aufteilen, müssten jede/r rund 278 Bücher unterbringen …

Zum Abschluss unseres Rundgangs werfen wir noch einen letzten Blick über die Dächer von Wien – nach der langen Hitzewelle ist das Regenwetter eine Wohltat und auch am Dachboden herrschen angenehme Temperaturen ("Noch vor wenigen Tagen war die Hitze hier am Dachboden unerträglich") – …


… und bedanken uns bei unserem Guide, der sorgfältig alle Luken wieder hinter uns verschließt, damit hier, in der Schatzkammer der Universitätsbibliothek, alles schön trocken bleibt. (Text: Bernadette Ralser, Fotos: Marion Wittfeld, Universität Wien, Bild 12: Universitätsbibliothek Wien)

Für unsere Sommerserie haben wir uns auf den Dächern der Universität Wien umgeschaut und berichten wöchentlich von unseren Entdeckungen. Zum Dossier "Sommer am Dach"

Auch im Rahmen des "#instawalk650" Ende Juli 2015, dem ersten Instawalk an der Universität Wien, sind Fotos vom Dachboden des Hauptgebäudes entstanden. Mehr dazu im Uni Wien Blog